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FU2006FC
Der Studentische Filmclub der Freien Universität Berlin (FUFC)
am Seminar für Filmwissenschaft präsentiert:

Chinesische Hochzeit auf Amerikanisch

Das dramatische Subjekt im Widerspruch zur Familie / Ang Lees THE WEDDING BANQUET
Vortrag von Johannes Bennke

Meine Thesen möchte ich versuchen so anzulegen, dass sie für sämtliche Filme von Ang Lees Oeuvre Geltung haben. Aus seinem Oeuvre eignet sich meiner Meinung nach THE WEDDING BANQUEST besonders für unsere Reihe „Die Westöstliche Leinwand“, da hier der Konflikt zwischen östlicher und westlicher Lebensweise am deutlichsten hervortritt. Ich werde daher zwar meine Thesen formulieren, die allgemein für Ang Lees andere Filme gelten, werde mich aber in der Ausführung besonders auf THE WEDDING BANQUEST beziehen.


Meine 1. These lautet:

Der Protagonist steht als dramatisches Subjekt im Widerspruch zur Familie.


Diese Konstellation innerfamiliärer Spannungen ist Kennzeichen aller Ang Lee Filme. Der Verlust der Vergangenheit, der eigenen Herkunft, der Tradition und Ordnungsstrukturen steht am Anfang aller seiner Filme und bereitet zugleich das Konfliktfeld für die dramatischen Veränderungen. In SENSE AND SENSIBILITY verliert die Familie den Vater, der als Familienoberhaupt auch für die finanzielle Sicherheit verantwortlich war; in „Ride with the devil“ sterben im Nord-Süd-Staaten Krieg die Väter und die Söhne ziehen aus Rache in den Krieg; in HULK ist der Verlust der Familie als Trauma ins Unterbewusste verdrängt.

In THE WEDDING BANQUET lebt der 30 jährige Taiwanese Wai-Tung als US-Amerikanischer Staatsbürger in New York und wohnt mit seinem Lebenspartner Simon in einem Appartment zusammen. Die Tatsache, dass sie schwul sind macht nicht die Homosexualität selbst zum Thema des Films, obgleich es einer der Hauptkonflikte bildet, sondern macht die neugewonnene Freiheit in der westlichen Welt deutlich. Sie ist die Ausdruck seines Willens aus sich und der Familie herauszutreten.

Ein Mensch ist nur in seiner Kultur zu verstehen.“ („du763 – Ang Lee und sein Kino“, darin: „Ang Lee –“ ein Schiffbrüchiger zwischen Tao und Tragödie“ von Georg Seeßlen)

Aus dieser Perspektive heraus wird der Widerspruch des Protagonisten, Wai-Tung, zu seiner Familie deutlich. Er ist als derjenige, der die Geschichte vorantreibt, das dramaturgische Subjekt. Sein Vater ist Ausdruck der patriarchalen Familien- und Gesellschaftsstruktur. Im Film wird der Vater von Sihung Lung gespielt, der in vielen Ang Lee Filmen die autoritäre Vaterfigur verkörpert. Hier spielt er einen ehemaligen, angesehenen General. Ihm ist als Familienoberhaupt daran gelegen die konfuzianischen Werte der Harmonie, patriarchalen Ordnung und der bedingungslosen Ehrfurcht der Kinder gegenüber den Eltern aufrechtzuerhalten. Wai-Tung hingegen möchte von den Eltern ungestört seine neugewonnene Freiheit in Demokratie und materiellem Wohlstand mit Karrierechancen auch sexuell ausleben. Wai-Tung möchte aber seine Eltern und vor allem seinen Vater nicht enttäuschen. Die Ehrfurcht vor den Eltern ist noch zu stark, die Herkunft doch noch nicht ganz verdrängt. Seine sexuelle Identität wird zum Ausgangspunkt des dramaturgischen Spiels, in der die Familienharmonie nur noch durch Lügen aufrechterhalten werden kann. Der Vater-Sohn Konflikt ist natürlich auch ein Generationenkonflikt.


2. These:

In dem Protagonisten bereiten sich die Konflikte unter der Oberfläche der Harmonie vor, um plötzlich zu explodieren. Erst dieses führt zu einer neuen Balance.


Auffallend in den Ang Lee Filmen ist, dass diese in der Familie, wie auch immer sie ausschauen mag, angesiedelt sind.
Der Widerspruch der Protagonisten lädt sich in angesammelter Aggression auf und entlädt sich explosionsartig. In SENSE AND SENSIBILITY wird die gezügelte Leidenschaft durch die gesellschaftlichen Konventionen und die Enttäuschung über die Männer so stark, dass die Frauen sich entweder in die Literatur und Musik flüchten oder sich in hysterischen Weinkrämpfen entladen. Das sinnhafteste Bild stellt hier wohl HULK dar, in dem sich der Wissenschaftler Bruce Banner in das grüne Monster verwandelt, sobald er aggressiv wird. Aber auch in BROKEBACK MOUNTAIN findet sich in den Bergen Wyomins ein Ort, in dem sich die unausgelebte Leidenschaft entlädt.

THE WEDDING BANQUET siedelt die explosive, unterdrückte Dramatik am Essenstisch an. Die verdrängte Herkunft, unausgelebte Leidenschaft und die große Familienlüge zum Zwecke der Harmonie werden im wahrsten Sinne des Wortes „aufgetischt“.

In einer Szene gegen Ende des Films hat Simon die vielen Lügen satt und schreit Wai-Tung am Essenstisch an. In dieser Szene wird die vermeintliche Barriere der Kultur durch die Sprache am deutlichsten. Die Eltern sitzen wie versteinert da, der Vater gibt ganz in seiner Rolle als Familienoberhaupt, der Mutter Anordnungen wie sie sich zu verhalten habe und sagt zu ihr auf chinesisch: „Sei still und iss.“ Dass gerade hier die Sprache zum Verrat der Lüge von Wai-tung wird, stellt sich zum Ende als ein Mittel zum Zwecke einer neuen Balance heraus.

Wai-Tung orientiert seine Werte nach westlichen Maßstäben, verdrängt und unterdrückt dabei aber die traditionellen, patriarchalen Konventionen seines Elternhauses ins Unterbewusste. In einer Szene spricht Wai—Tung mit einer jungen Opernsängerin, die von seinen Eltern aus Taiwan nach New York eingeflogen wurde, um sie mit ihm zu verkuppeln. Sie erzählt ihm, dass sie mit einem Amerikaner zusammen ist und sich nicht traut es ihren Eltern zu sagen. Wai-Tung ist nicht der einzige Chines, der seine Eltern belügen muss, um seine Liebe und Sexualität ausleben zu können. Er steht damit exemplarisch für viele Chinesen, die in den Westen gegangen sind und ihre Herkunft verdrängen.

Eben darin zeigt sich, dass der Protagonist den Wendepunkt einer Gesellschaft darstellt. Die Familie kann die Konflikte nicht mehr kontrollieren, die zum Umbruch in der Geschichte werden.
Jedoch verursacht diese Verdrängung der Herkunft Aggression. Die Eingangssequenz zeigt ihn bei einer Tätigkeit: er stemmt im Fitnessstudio Gewichte und hört dabei die per Kassette geschickten Briefe der Mutter.

Gegen Ende des Films wird er hierhin noch einmal zurückkehren und als Zuschauer werden wir uns über die Bedeutung dieser Handlung im Klaren. Diesmal allerdings hört er Heavy-Metal-Musik. Das Krafttraining ist seine Form des Aggressionsabbaus vom frustrierenden Kampf gegen die eigene Herkunft, gegen sexuelle Unterdrückung und gegen die Angst in seiner Freiheit vor dem finanziellen Ruin. Auch diese Wahl des Sports ist ein Aufbegehren gegen den Vater: später werden wir den Vater sehen wie er joggen geht. Darin ist ein bewusstes Absetzen des Sohnes gegenüber dem Vater zu erkennen.

Während des Hochzeitsbanketts ist Ang Lee in einer Einstellung als einer der Gäste zu erkennen. Auf die vorurteilsbehaftete Äußerung einer der wenigen amerikanischen Gäste: „Ich dachte immer Chinesen wären unterwürfige Mathe-Genies.“, erwidert Ang Lee: „Sie sehen das Ergebnis von 5000 Jahren sexueller Unterdrückung.“


Da der Regisseur hier selbst im Film erscheint, ist es ein Hinweis auf ein persönliches Anliegen des Regisseurs und damit auf seine Biografie. Ang Lee selbst ist mit 24 Jahren von Taiwan nach Illinois ausgewandert, hat dort ein Studium der Theaterwissenschaft und -regie mit einem „Bachelor of Fine Arts“ absolviert und ist dann an der New York Film School in das Filmfach rübergewechselt. Viele seiner frühen Filme sind Migrationsgeschichten. Dass er vielfach in Interviews auf seine Biografie verwiesen hat, erklärt zwar nicht seine Filme, erklärt wohl aber sein Erscheinen in dieser Szene, die dem Film seinen Titel verdankt.


Betrachtet man den Protagonisten in Ang Lees Filmen, so kann man folgende 3. These aufstellen:

Der Protagonist entwickelt sich zu einem Subjekt, das eigene Entscheidungen treffen kann. Er findet seine Utopie in der Imagination der Harmonie.


Das zu einer Entscheidung fähige Subjekt findet in SENSE AND SENSIBILITY seine Erfüllung in der Doppelhochzeit am Ende, in der sich alle gegen das Geld und für die Liebe entscheiden, in RIDE WITH THE DEVIL entscheidet sich Jack für eine Hochzeit, für eine Neugründung der Familie und gegen den ideologischen Krieg, Bruce Banner wählt die Waldeinsamkeit, um mit seinem HULK in Harmonie zu leben, in CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON stürzt sich Jen in die Schlucht um ihre Sehnsucht nach Lo im Tode zu erfüllen.

Wai-Tung entscheidet sich am Ende in THE WEDDING BANQUET für eine Form der modernen Familie. Seine Utopie verwirklicht sich auf Basis zweier Lügen, die zudem auch die Harmonie zu den Eltern sichert. Zum einen ist es die Lüge von Wai-Tung, der dem Vater seine Homosexualität verschweigt, und zum anderen die Lüge des Vaters, der zwar um die Homosexualität von Wai-Tung weiß, es aber verschwiegt, um einen Enkel zu bekommen wie Simon in einer Szene am Hafen sagt, aber er tut es vor allem, um die Familienharmonie zu erhalten. Er belügt zwar die Familienmitglieder, nicht aber die Familienharmonie. Die letzten Einstellungen des Films stellen zu dem die Frage an das Publikum: Was ist die moderne Familie? Was sind ihre Merkmale?


Die 4. These:

Der Prozess der Befreiung des Protagonisten geht mit einem Verlust der Ordnung, der eigenen Persönlichkeit, der Heimat, der Familie, der Zerstörungswut und der Potenz einher.


Man vergleiche nur einmal Beginn und Ende der Ang Lee Filme. Am Anfang besteht eine Form der Harmonie, gleichwohl sie vielleicht nicht glücklich sein mag, diese gerät ins Ungleichgewicht und stellt sich am Ende wieder neu ein. Wir werden gleich sehen, dass die Familienvorstellungen und Lebenstile am Anfang und am Ende unterschiedlich sind und auch nicht unsere Vorstellungen einer traditionellen Familie bedient. Aus der Vater-Mutter-Kind-Familie entsteht eine neue Kombination:

In SENSE AND SENSIBILITY wird aus der Familie von Vater, Mutter und den drei Töchtern eine Familie aus Mutter-Tochter und zwei verheirateten Töchtern. Der Vater, als die potente Finanzkraft musste sterben, die Heimat in dem reich ausgestatteten Landhaus musste einer ärmlicheren Behausung weichen, Elinor Dashwood (Emma Thompson) gibt es auf ihre innere Begierde zu Edward Ferrars (Hugh Grant) zu bekämpfen und sich selbst zu zerstören, in dem sie heiratet.

In RIDE WITH THE DEVIL stirbt die Vatergeneration, werden die Söhne zu Wilden, Kämpfern und Rächern, zu Heimatlosen. Jake verliert seinen kleinen Finger und seinen Freund Jack Bull Chiles und damit den Sinn für seine Zerstörungswut. Denn er zog für den ermordeten Vater von Jack an seiner Seite in den Krieg. In der Heirat mit Sue Lee Shelley wirft er seine wilde, kriegerische Identität zu Gunsten einer häuslichen Identität an der Seite seiner Ehehfrau ab und verwirklicht dazu seine Utopie der Harmonie.
In CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON stammt Jen aus einer reichen Königsfamilie, will aber die Kampfkunst erlernen und ihre Liebe zu Lo ausleben. Sie wird zur gejagten Heimatlosen, die ihre Erfüllung in der Opferung ihres Lebens findet, um sich mit Lo im Jenseits wieder zu vereinigen.

In HULK ist der familiäre Ursprung ins Unterbewusste verdrängt, Bruce Banner ist sich seiner Identität nicht bewusst. Die Entdeckung seiner Traumas schließlich führt ihn zu dem „Hulk“ in ihm, der die „bösen Mächte“, die ihn vernichten möchten, zerstören will. Am Ende hat er eine Menge seiner Kraft im Todeskampf gegen seinen Vater opfern müssen bevor er seine Form der Harmonie in der Einsamkeit herstellen kann.


In THE WEDDING BANQUET ist Wai-Tung der Ausdruck der heimatlosen, ausgewanderten Chinesen. Er lebt ausserhalb der traditionellen chinesischen Familie und innerhalb der westlichen Welt mit seinem schwulen Freund Simon. Durch das ihn auferlegte chinesische Hochzeitsritual verliert er die Kontrolle über seinen Körper und seine Begierde und hört auf seine kulturelle Identität zu bekämpfen.

Auch deshalb wird Wai-Tung am Ende Vater: er muss einen Teil seiner Männlichkeit überwinden, um vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden; die Frauen in den Filmen von Ang Lee hingegen müssen Stärke zeigen, männliche Codes übernehmen und Autarkie gewinnen. Man beobachte die Künstelerin Wei-Wei, wie sie sich in diesem innerfamiliären Konfliktfeld behauptet.

Selbst in der Analyse dieser Protagonisten bei Ang Lee ist der Mensch in all seiner Kultur nicht zu verstehen. Es bleibt ein Rest Unverständis, die dem Zuschauer freisteht zu interpretieren. In einer Szene am Ende teilen Wai-Tungs Vater und Simon die Familienlüge als Geheimnis und Simon sagt danach zu ihm: „I don´t understand.“ Woraufhin Wai-Tungs Vater erwidert: „I don´t understand.“

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