Startseite Impressum Datenschutz-Erklärung
Cover des Buches: Post Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre

Verlag C.H.Beck / 174 Seiten / 12,95€

Bestellen

Christian Heller

POST-PRIVACY

Prima leben ohne Privatsphäre

Die Fesselung der Daten (Auszug)

[…]

Datenschutz und Staat

Der Datenschutz beansprucht die Verteidigung des Bürgers vor den Gefahren der Verdatung an zwei Fronten: gegen den Staat und gegen private Stellen.

Der Staat ist auf den ersten Blick am gefährlichsten: Er baut die Konzentrationslager, er erteilt die Berufsverbote, er führt die größte Bürokratie. Ist der Staat liberal, dann versucht er, autoritäre Auswüchse zu meiden und sich selbst zu beschränken. Soweit sich der Datenschutz als Bürgerrecht gegenüber dem Staat versteht, ist er das Versprechen einer solchen Selbstbeschränkung: Der Staat wird seinen Datenapparat gegenüber dem Einzelnen zähmen.

Seitdem er sich in Gesetze verwandelt, ist der Datenschutz aber nicht einfach eine Schwächung des Staates; er ist ein Teil von ihm. Er wird durchgesetzt über den Staat. Der Staat bezahlt seine eigenen Datenschutzbeauftragten. Er leiht den Datenschutzgesetzen sein Gewaltmonopol als drohende Keule.

Der Datenschutz ist Teil der Aufgaben, die dem Staat seine Existenzberechtigung geben. Die «informationelle Selbstbestimmung» ist heute eng verwachsen mit dem Ideen-Korpus rund um die «Menschenwürde», mit dem die Bundesrepublik ihren Wertekanon und Auftrag rechtfertigt.

Durch seine Verrechtlichung gerät der Datenschutz in eine riskante Schicksalsgemeinschaft – und zwar mit dem Datensammler, vor dem er in erster Linie schützen soll. Dass der Staat zuweilen in die «informationelle Selbstbestimmung» eingreift, war durchaus schon im Volkszählungsurteil vorgesehen. Dieses Grundrecht ist genauso wenig ein absolutes wie andere auch; wo die Staatsräson es für nötig hält (im Namen gesellschaftlichen Interesses), schränkt sie es ein. Damit der moderne Staat funktioniert, muss er seine Bürger in gewissem Maße verdaten, ob diese das wollen oder nicht. Ermittlungsbehörden, Verfassungsschutz und Geheimdienste finden es sogar oft notwendig, die Betroffenen von ihrer Überwachung in Unkenntnis zu halten. Wie weit die Einschränkungen dieses Grundrechts gehen, das ist politische Verhandlungsmasse – genauso wie die Höhe der Steuern oder die Dauer der Wehrpflicht. Interessen wie innere Sicherheit oder Sozialpolitik wiegen da oft stärker als nebulöse Warnungen des Datenschutzes vor möglichem Datenmissbrauch.

Das muss der Datenschutz ertragen. Er kann sich nicht in Totalverweigerung üben, wenn er sich nicht ins eigene Fleisch schneiden will. Wie jeder Mitspieler in der Politik muss er Kompromisse eingehen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar mag «Big Brothers härtester Gegner»6 sein. Aber am Ende des Tages muss er sich mit «Big Brother» einigen: Dann legt Schaar konstruktive Vorschläge vor, wie sich etwa die Überwachungsstruktur der «Vorratsdatenspeicherung» im Detail ausgestalten ließe – statt sie ganz abzulehnen.7

Die «informationelle Selbstbestimmung» ist ein vom Staat durchgesetztes Recht. Als solches gibt der Staat es und nimmt es. Der Staat bestimmt Tragweite und Grenzen dieses Rechts. Der Staat bestimmt, in welchen Fällen es zusteht und in welchen nicht. So muss der Hartz-IV-Empfänger selbstverständlich detailliert seine Lebensverhältnisse gegenüber der Bürokratie offenlegen, wird der Asylbewerber selbstverständlich ausgiebig überwacht. Wie sonst sollte das Recht gegen diese Gruppen durchgesetzt werden, wenn nicht durch erhebliche Einschnitte in ihre «informationelle Selbstbestimmung»? Wenn der Staat meine Daten als Werkzeug zu meiner Kontrolle und Gängelung ernstlich braucht, bleibt Datenschützern wenig mehr als ein Schulterzucken. Revolution ist nicht ihre Aufgabe.

Insofern erweist sich dieses vermeintliche Machtmittel des Bürgers gegen den Staat auf den zweiten Blick meist als Papiertiger. Der Staat gewährt die «informationelle Selbstbestimmung», wo sie ihm einigermaßen egal sein kann; er zieht sie ein, wo das nicht der Fall ist. Wo der Staat tatsächlich autoritäre oder diskriminierende Neigungen entwickelt, spielt der Datenschutz wenig mehr als einen schüchternen Bedenkenträger. Die Sicherheit, nicht überwacht zu werden, erhält nur der, an dessen Überwachung der Staat kein ausreichendes Interesse hat.

Datenschutz und private Akteure

[…]


Anmerkungen

  1. ^ Stefan Krempl, «Peter Schaar: Big Brothers härtester Gegner», Financial Times Deutschland, 6. 11. 2003: http://www.ftd.de/politik/deutschland/:peter-schaar-big-brothers-haertester-gegner/1067671008789.html
  2. ^ Christian Rath, «Zwei Wochen lang alles speichern», taz.de, 12. 11. 2010: http://www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/zwei-wochen-lang-alles-speichern/