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Buch: Wolfgang Sofsky, "Verteidigung des Privaten". Kurzfassung: Libertär-konservatives Privacy-Argument, wobei die Ismen auch hier und da ihre eigenen kleinen Nebendiskurse aufmachen.
Lektüre-Notizen:
- "Spuren":
- "Macht und Privatheit":
- Macht unterwirft, indem sie gleichschaltet. Ihr steht der "Eigensinn" (S. 17) entgegen, das Private als "machtfreies Terrain" des Individuums; die Macht betrachtet das Private als Feind und versucht, es auszulöschen. (Wie erklärt Sofsky die Macht des Marktes, des Kapitalismus? Lebt der nicht gerade vom Eigensinn der Teilnehmer und von Privateigentum?)
- Demokratien sind dabei nicht prinzipiell besser als Diktaturen. Hier muss die Elite in ihrer Herrschaft den Mob befriedigen, der zu Furcht und Kopf-ab-Rufen tendiert. Auch Mob-Macht ist süchtig danach, immer größere Lebensbereiche autoritären Normen-Kontrollen zu unterwerfen. Auch ein Rechtsstaat als Proxy des Mobs ist keine Rettung, denn auch das Recht möchte sich verabsolutieren, nichts ungeregelt lassen, alles erfassen. (Libertäre Polemik gegen Demokratie und Regulierung.)
- All dem steht nur die Verteidigung eines individuellen Lebensraums gerade außerhalb des Politischen entgegen. (Sofsky ist ein Feind der Parole "das Private ist politisch"). Der Schutz des Privaten erfordere dabei mehr als nur rechtsstaatlichen Datenschutz; er erfordere "die reale Geheimhaltung durch jeden einzelnen." (S. 28) Privatheit, das heißt auch: Privateigentum und denken und leben und bewegen, wie ich will, frei von äußeren Eingriffen.
- "Rückblicke":
- Der Autor hat ebenfalls "A History of Private Life" gelesen, interpretiert's aber anders als @plomlompom: als Geschichte von Fort- & Rückschritt der allgemeinen Idee der Privatsphäre, stets umkämpft zwischen Freiheitsbedürfnis der Einzelnen und Machtansprüchen der Obrigkeit. (Ich las das mehr so, jedenfalls in Band #1 und #2: Privatheit bedeutete sehr unterschiedliche Dinge, oft unabhängig dem modernen personalistischen Individualismus, der in langen historischen Perioden eher unterentwickelt war.)
- Schon immer habe die Obrigkeit/Macht/Gesellschaft versucht, diese oder jene Bereiche des Privatlebens unter seine Kontrolle zu bringen. Bei Sofsky klingt es so, als habe es bestimmte Dinge schon immer als Institutionen des Privaten statt Öffentlichen gegeben, nur zuweilen aufgerieben im Machtkampf der beiden Pole; "Privatheit ist zugleich eine historische und anthropologische Tatsache" (S. 31). (Argumentiert, als habe es schon immer das bürgerliche Subjekt gegeben, die Öffentlichkeit, den Individualismus.)
- Wo Bürger Macht & Freiheit hatten, gönnten sie sich Privaträume; ihre Häuser waren so groß, um individuellen Rückzugsräumen Platz zu bieten. Nur Armen und Unterdrückten wurde der Privatraum abgesprochen, auch wenn sie insgeheim sich sicher danach sehnten (dieses "zwar keine äußerlichen Anzeichen, aber innerlich haben die Menschen sicherlich!" beliebte Argumentationsfigur). Es gibt nur das freie Individuum mit seinen eigenen vier Wänden oder die Unterworfenen, Kontrollierten in Kaserne, Gefängnis, Kloster.
- "Freiheit und Privatheit":
- "Reservate des Individuums":
- "Geheimnisse des Körpers":
- Kulturgeschichte der Scham. Scham ist nicht einfach nur das Unwohlsein über die eigene Offenlegung nach Außen; Scham kann auch das Individuum mit sich allein im Badezimmer vorm Spiegel empfinden -- das Nicht-den-eigenen-Ansprüchen-Genügen genauso wie das Nicht-den-fremden-Ansprüchen-Genügen. Das Individuum braucht die da draußen gar nicht für die Selbstkritik!
- Privatsphäre als Zwiebel hat als Kern, Allerprivatestes, den Körper und den Umgang mit ihm (Selbstmord, Drogenkonsum -- dessen höchste Ekstase im Alleinsein). Verdient also besonderen Schutz. Was aus ihm herausdringt hat besonders kritische Wirkung, und die kritischsten Angriffe auf die Privatsphäre fokussieren auf den Körper selbst. Die Biopolitik des modernen Staates, Geburtenförderung, Abtreibungspolitik, Regulierung genetischer Selbstverbesserung, Drogenverbot -- alles untergräbt den Kern des Einzelnen!
- Die Tabus des Körperlichen, Sexuellen, Chemischen -- der Autor verteidigt sie gegen Lobeshymnen auf die Offenheit, denn offenbar kann keine kulturelle Liberalisierung gegen die Dünkel und Eifersüchte und Kurzschlüsse der menschlichen Psychologie ankommen. Monogamie mag eine Illusion sein, aber totale Ehrlichkeit zwischen Partnern über ihre Seitensprünge führt auch nur ins Verderben der Beziehung.
- Zugegeben, im Privaten etwa der Familie könne das Individuum auch unterdrückt werden, und dann könne es schon hilfreich sein, sich im Draußen Hilfe zu suchen. (Ein erstes Wort zum Privaten als dem Privaten des Kollektivs. Zu oft scheint der Autor das Individuum als Kern des Privaten zu denken. Als hätten Menschen schon immer auf eine Ein-Personen-Eigentumswohnung hingearbeitet.)
- "Private Räume":
- Die eigenen vier Wände, das bürgerliche Privileg, durch gesellschaftlichen Fortschritt demokratisiert. Freiheitsraum der Familie, vom Autor rege idealisiert, mit nur harmlosen Schönheitsflecken: "Das Familienleben ist geprägt von Liebe und Verpflichtung, von Rücksicht und Fürsorge, gelegentlich aber auch von Ignoranz, Leidenschaft und Streit." (S. 79) Problem ist nur, was den Frieden, die Ruhe stört.
- Das Heim als Raum der Selbstbestimmung, zivilisierte Menschen erbieten ihm Respekt selbst wo die Schwelle/Tür unsichtbar ist. Unzivilisierte hängen für ihr Hippie-Sein die Türen aus. Faschisten nutzen gezielt die enge Verbindung von Heim und Selbstwertgefühl, um durch Eindringen ins Heim auch die psychologische Abwehr des Opfers zu zersetzen.
- Der Webcam-Exhibitionist soll mal ruhig machen, er kann die Kamera ja jederzeit ausmachen und stellt eh nur einen ausgewählten Teil seiner Wohnung unter Videoüberwachung -- also immer noch Selbstbestimmung!
- "Eigentum":
- Jaja, Privateigentum hat einen schlechten Ruf, aber eigentlich ist es knorke: Es schafft gesellschaftliche Ordnung, erlaubt Arbeitsteilung und treibt Motivation. Es fördert Individualismus, indem es die Menschen (je nach Eigentums-Stand) verschieden macht, und bietet dem Einzelnen durch Sachen, die ihm gehören und über die er voll und ganz selbst verfügen kann, ohne Rechenschaft an Dritte, private Freiheit. Geld macht frei, denn Geld macht flexibel.
- Der Feind des Eigentums ist der Staat, denn der sehnt sich in seiner Machtgier nach nichts mehr als nach Enteignung an Leben wie an Gegenständen und Geld. Steuern sind das Grundübel, und der Versorgungs- und Umverteilungsstaat gleich mit -- denn so rechtfertigt er seine Steuergier. Besser wäre zweckgebunden, wie früher, wo nur im Notfall wie Krieg versteuert wurde. Einzige legitime Aufgabe des Staates: die Sicherung der persönlichen Freiheit und Abwehr von Krieg. (Und was ist mit Durchsetzung von Eigentum?)
- "Informationen":
- "Gedankenfreiheit":
- Das Kapitel-Titelthema nutzt der Autor, um über Gott und die Welt zu reden. Gefühlt die Hälfte ist Überlegungen zu Glauben, Theodizee, Transzendenz usw. gewidmet. Unwille gegenüber der Verortung des Glaubens im Privaten: Schließlich handele es sich um eine Ideologie, und Ideologien seien ja die Antithese zum freien Geist des selbstbestimmten Individuums! Die andere Hälfte greift Zensur, öffentliche Denkverbote, rhetorisches Duckmäusertum an. Gesunde Öffentlichkeit braucht Streitkultur!
- "Die Agenturen der Gedankenpolitik" (S. 136) von totalitärer Gehirnwäsche bis zu Pädagogik und Geschichtsunterricht wollen unsere Gedanken kontrollieren, von Widersprüchen reinigen, dem offiziellen Diskurs anpassen. Schlimmer noch als die böse Obrigkeit ist aber derjenige, der das mit sich machen lässt: die willigen Konformisten, Gleichgültigen, Faulen, Feiglinge; all jene, die nicht Individuum sein wollen, gegen die Ethik des Autors ihre Ruhe darin finden, unmündig zu sein.
- "Hinweise":