KurzVortrag gehalten am 2012-10-24 am Bad Homburger ForschungsKolleg HumanWissenschaften (ForschungsBereich "Digitales Selbst") der Goethe-Universtität zu Frankfurt.
Titel: "Sei ein Mensch und namenlos. Identität in Netz-Communities."
Folien-Gerüst im pinpoint-Format (Quelltext ohne Bilddateien): http://files.plomlompom.de/vortraege/2012/2012-10-24_BadHomburg/badhomburg.pin
Text-Begleit-Paper:
24. Oktober 2012 / Christian Heller / Forschungskolleg Humanwissenschaften / Bad Homburg
Sei ein Mensch und namenlos. Die verschiedenen Identifizierungs- und Anonymitäts-Zwänge der Netzgemeinschaften
Persönliche Identitäten in Computer-Netzen / historischer Abriss
- CTSS / Compatible Time Sharing System (1961): Betriebssystem mit Benutzerkonten, zur personell differenzierten Zuteilung von Computer-Kapazitäten an verschiedene Terminal-Nutzer
- CTSS MAIL (1965): verschiedene Benutzer-Konten können einander Nachrichten schreiben
- Community Memory (1973): von verschiedenen öffentlichen Standorten können nicht-professionnelle Nutzer via Terminal beliebige Texte (z.B. Koch-Rezepte, Gedichte, Verabredungen) austauschen – anonym
Bulletin Board Systems (1978), Usenet (1980): von zuhause per Computer und Telefon anwählbare Diskussions-Foren mit verschiedenen Namens-Politiken
- MUD (1978), Habitat (1985): virtuelle Online-Welten, textbasiert oder grafisch, als Communities, wo Nutzer mit Fantasie-Identität und "Avatar" auftreten können
1990er Jahre: Mailing-Listen, Web-Foren, Chats und Instant Messenger werden populäre Kommunikations-Formen, pflegen unterschiedliche Identitäts-Kulturen
- Soziale Netzwerke: SixDegrees.com (1997), Friendster (2002), MySpace und LinkedIn (2003), Facebook (2004) betonen Abbildung sozialer Beziehungen und persönlicher Profile
Identitäts-Vorgaben in Sozialen Netzwerken
- persönliche Repräsentations-Möglichkeiten sind von den Rastern der Social-Networking-Dienste vorgegeben
- politische Auseinandersetzungen über die vorhandenen Auswahl-Möglichkeiten zur Selbstdarstellung
- häufige Kontroversen: Namenswahl, Geschlechtswahl, Zensierbarkeit und Löschbarkeit des Kontos durch Dienstleister
Anonymitäts-Kultur
- Argumente von "Shii" / “Shiichan Anonymous BBS”: <http://wakaba.c3.cx/shii/>
- "Registration keeps out good posters"
- "Registration lets in bad posters”
- "Registration attracts trolls"
- "Anonymity counters vanity"
- Durchsetzung der Anonymitäts-Norm in der Imageboard-Kultur (2channel, 4chan, Krautchan)
- fördert bestimmte Formen von Kreativität, Schwarm-Identitäten und Diskussion tabuisierter Themen
Mensch vs. Code/Automat
- Captchas als Turing-Tests für Nutzer-Identitäten mit beweglichem KI-Ziel
- Spam-Roboter-Bekämpfung / anthropozentrisches Identitäts-Regime
- API-Politiken (API = Application Programming Interface) einzelner Plattformen fördern oder blockieren automatisierte Identitäten und Interaktionen
Forschungs-Vorschläge
- Prüfung der Erzählungen über Schaden oder Nutzen von Anonymität, Pseudonymität oder Realnamenszwang
- Funktionstüchtigkeit und Auswirkung von Identitäts- und Menschlichkeits-Tests (z.B. Zukunftsfähigkeit von Passwort-Systemen)
- Gründe für Florieren oder Scheitern von Online-Communities und ihren Diskussions-Kulturen (vgl.: kuro5hin / “Attacked from within”: <http://www.kuro5hin.org/story/2009/3/12/33338/3000> vs. Clay Shirky, “A group is its own worst enemy”: <http://www.shirky.com/writings/group_enemy.html>)
- Welche Macht entfalten Soziale Netzwerke als Identitäts-Provider, wie stark und einschließend/ausschließend sind ihre Lock-in- und Netzwerk-Effekte?