Buch: "Leben im Rausch. Evolution Geschichte Aufstand" / Daniel Kulla 2012/2013
Lektüre-Notizen:
- "Packungsbeilage":
- Einleitung, Übersicht Aufbau, Themen, Methodik, Positionierung des Autors und des Lesers (was kriegst du geliefert, was nicht, bist du der richtige oder der falsche Leser) und der PersonalPronomen: Meidung des Wir, Konzentration aufs Du oder Ich.
- Rausch ist nicht einfach das, was "Drogen" machen. "Droge" an sich schon fragwürdiger Begriff (meint man Psychedelika? Substanzen, deren Einnahme das Bewusstsein beeinflusst (welche Substanz tut das nicht?)? Sucht-erzeugende/ungesunde Substanzen?). Amerika hat den "War on Drugs" und die "Drug Stores". (Und wir die "Drogerie".)
- Über "Drogen" wird "Rausch" gern definiert als durch diese verursachte Veränderungen oder "Störungen" von Bewusstsein, Kognition usw. Aber Gleiches tritt z.B. im Traum oder SchlafEntzug auf, als Folge heftiger Erlebnisse etc. "Drogen"-induzierte Effekte wiederum sind stark bedingt durch Körper der Konsumenten und ihre Umfelder.
- Ein befriediger Rausch-Begriff fehlt, sagt @kullisti auch (und führt es auf die Probleme zurück, denen das Buch sich widmet). So wie er den Begriff hin und her fechtet, scheint er Formen individuellen oder kollektiven Bewusstseins oder Gefühls, der Verfasstheit von Erfahrung/Wahrnehmung/Kognition zu meinen.
- Dieser Rausch-Begriff klingt vage bis allumfassend. Das wird aber aufgefangen: 1. Verschiedene Arten von Rausch werden besprochen und verglichen und wenn schon nicht erschöpfend, so doch gegeneinander definiert. 2. Ein Jenseits-des-Rauschs wird eh ausgeschlossen. Jede Nüchternheits-Bewegung steigerte sich zu ihrer eigenen Form des Rauschs.
- Rausch wird nicht für-sich betrachtet, sondern in seinen gesellschaftlichen Formen und Rollen. Es gibt Räusche, die bekämpft das GesellschaftsSystem, und solche, die es fördert, die es benötigt. Rausch wird "verwaltet". Der Stress, mit dem uns der Kapitalimus zur Arbeit hetzt, ist ein Rausch, und ebenso die FeierAbend-Betäubung.
- Historische Rausch-Kämpfe: der kollektive Rausch etwa im Faschismus, der seinen Feind in den individualistisch Berauschten erkannte; der revolutionärische Rausch der 1960er (deren Revolution @kullisti als niedergeschlagen markiert).
- Rausch-Forschung im Revolutions-Gestus: Wie funktioniert Rausch als etwas, dass herrschendes System bestätigt, den Widerstand betäubt, die Kräfte in seine Reproduktion leitet; und wie kann Rausch umgekehrt Mittel der Befreiung sein, oder aber guter Rausch überhaupt erst in bisher fehlender oder zu knapper Freiheit erkundet werden?
- "Dosierung. Die heutige Rauschwelt":
- Traditionell (und in HöchstForm bei den Nazis) wird Arbeits-konformer Rausch gefördert und Arbeits-störender Rausch bekämpft. Es gibt geduldete bis geförderte RauschMittel, die zum richtigen ZeitPunkt (jenseits der Arbeit) betäuben oder (zur Arbeit) aufpeitschen. Dämonisiert werden die Mittel, die in umgekehrter Weise wirken.
- Traditionell schafft die Gesellschaft "VentilSitten", über die ihre MitGlieder z.B. gefährliche psychische Spannungen abladen oder abbauen; die zur Duldsamkeit erziehende Meditation; oder die Feste zum Sau-Rauslassen, wo Verhältnisse umgekehrt werden usw. – damit es leichter fällt, den Rest der Zeit brav zu sein.
- Auch DrogenKonsum kann zu den VentilSitten gehören. Gegenüber kollektiv ausgeführten (z.B. GesellschaftsFeiern) gehört er aber zu den gefährlicheren, weil er individuell, der sozialen Kontrolle entzogen stattfinden kann. So steigt die Chance, dass der Rausch über die sozialverantwortlich duldbaren Stränge schlägt, anders abbiegt, als vorgesehen.
- Eine weitere handels-übliche Bedeutung von "Rausch": die Erfahrung, die anders ist als das Normale. Führt freilich dazu, dass Rausch gerade über das Normale (also im Verhältnis dazu) definiert wird. Auch die NormAbweichung kann aber system-/arbeitskonform eingemeindet werden: etwa als KreativitätsTechnik. Der künstlerisch produktive Trip.
- Mitte des 20. Jahrhunderts: medizinisch-transhumanistische Euphorie über Bewusstseins-verändernde Drogen; sie versprechen, die Menschen noch besser an die Anforderungen der Welt anzupassen. Doch in den 50er/60er Jahren wird langsam ein Wirkungs-Überschuss dieser WunderMittel spürbar, der mehr einzureißen droht als systemkonform erwünscht.
- Revolutionäre Tendenzen der amerikanischen 60er Jahre sind stark von neuen RauschMitteln geprägt, vor allem LSD (gleichzeitig muss davor gewarnt werden, sie als alleinige TriebFeder zu lesen); halfen, bisherige Sicherheiten oder Alternativlosigkeiten im Denken abzuschütteln, das Denken zu de-automatisieren, Welt veränderbarer wahrzunehmen.
- Die revolutionäre Situation der USA um 1970 lässt sich nicht überschätzen. Alltägliche Aufstände versetzen Nixon spürbar in Angst. Spezifische RauschMittel sind integraler BestandTeil dieser GegenKultur – und ihrer Kriminalisierung. Millionen waren dank Marijuana eh schon mit einem Fuß im Knast, warum also um GesetzesTreue sorgen?
- Es folgt Prohibition mit aller Härte, anfangs gerade auch gegen die Konsumenten. Später schwankt man von den Massen der BürgerSöhne als ZielScheibe aber um auf die (oft marginalisierten Gruppen zugehörigen) Dealer; Lockerung der Konsumenten-Strafen, Steigerung derer für Vertrieb. Das entsolidarisiert (Trennung Konsumenten und Verbreiter).
- Der Dealer der RevolutionsZeit verstand sich als LSD-Missionar, gab großzügig in politischem Auftrag. Der Druck der Kriminalisierung vernichtet ihn. Höheres Risiko schafft einen Profit-genötigten Markt, der von den traditionell Arbeits- bzw. Betäubungs-fördernden SuchtDrogen (KundenBindung!) Kokain und Heroin bestimmt wird.
- Die LSD-Rausch-Revolution ist niedergeschlagen, der DrogenMarkt verwaltet nun erstmal wieder traditionell SystemKonformität, gerät ultra-kapitalistisch und vollzieht sich in Kooperation mit den KriegsGeschäften der GeheimDienste, die sich teilweise durch ihn finanzieren.
- Spuren der LSD-Revolution: die Psyche der Hacker-Szene, die Farben des World Wide Web, Douglas Engelbarts Usability-Einfälle. Auch: die postmodernen Philosophen, wobei sich in deren Schriften eher schlechte als gute Trips widerspiegeln.
- Die Antriebe/Ursachen für die Drogen-Prohibition sind heute abgeebbt, und so erklären sich auch diverse Legalisierungs-Impulse. Der Aufstand ist erfolgreich niedergeschlagen, und der Kapitalismus verlangt gleichzeitig andere Formen von ArbeitsProduktivität als früher – manche illegale Substanz kann beim BrainStorming helfen.
- Der Widerstand gegen die Legalisierung findet sich vor allem bei denen, deren Macht und GeldFlüsse mit dem WarOnDrugs entstanden/gewachsen und durch diesen gesichert sind – DrogenKartelle, polizeiliche und medizinische Behörden, auch diverse längst kommerzielle und staatlich geförderte Betreuungs-/AusstiegsHilfe-Angebote.
- Aber was bringt schon die Legalisierung des einen oder anderen Rauschs? LegalisierungsBewegungen fallen auf durch ihre Untertänigkeit gegenüber dem RauschVerwaltungsSystem, verteidigen ihre Räusche als ArbeitsGesellschafts-konformer als andere, pflegen "SubstanzFaschismus" ihrer "guten" Drogen gegen andere "böse" Drogen. So passiert keine Revolution.
- "Der Rausch. In der Zeitmaschine":
- Berauschtes Verhalten findet sich auch bei anderen TierArten. LSD-SpinnWebe. Ameisen halten, pflegen, betreuen bestimmte Käfer für deren Sekrete, von denen ihre Bewegungen wackelig werden. Bestimmte nervensystemische Voraussetzungen kommen der RauschFähigkeit entgegen; Ganglien/NervenKnoten bei den Ameisen, PräFrontalCortex (PFC) bei Menschen.
- Ab gewisser Komplexität des NervenSystems/seiner Vorgänge scheint die Synthese/Synchronisation vieler Prozesse, Systeme, Signale große Rolle zu spielen. Unter Bedingungen des Rauschs gerät die Kalibrierung durcheinander: Was vorher gleichzeitig gesetzt wurde, gerät nun ins Ungleichzeitige, und umgekehrt. Anderes oder mehr fällt zusammen oder auseinander als vorher.
- James Kents "Psychedelic Information Theory" erklärt (http://psychedelic-information-theory.com/Download) psychedelische Visuals informatisch über verschobene BildSignal-Synchronisierungs-Parameter (verzögerte, asynchrone Signale). Analoges möglich für andere psychedelische Erfahrungen, verändertes KörperGespür, Hören, ZeitEmpfinden.
- Pflanzliche Drogen entstehen zur Zeit der Saurier als AbwehrGifte gegen das GefressenWerden. Ihre Wirkung auf die niederen NervenSysteme ist tödlich oder zumindest abschreckend. NervenSysteme entwickeln sich in eine Richtung, die Wirkungen der NervenGifte länger zu ertragen (um mehr der giftigen Pflanzen essen zu können) oder ins Nützliche zu absorbieren.
- PFC könnte sich mit/zugunsten steigender Verarbeitung und ProduktivMachung dieser NervenGiftWirkungen entwickelt haben. Manche steigern Überlebens-nützliche WahrnehmungsFähigkeiten, hemmen Müdigkeit, öffnen WahrnehmungsFilter usw. Terence McKennas StonedApeTheory erklärt gar Gehirn/Geist des Menschen als Ergebnis seiner KoEvolution mit DrogenPflanzen.
- EntSynchronisierung der Signale, Zerstreuung der VerarbeitungsBahnen, Öffnung/Lockerung der InfoFilter im Rausch lässt anderes/mehr als sich gleich/ähnlich denken als vorher; schafft so: Abstraktion (Nietzsche: GleichSetzung des Ungleichen) im Denken/Wahrnehmen. Entstanden so Sprache (durch Synästhesie, In-eins-Fallen von Klang und Bild), Logik-Denken?
- Entwicklung von NervenSystem und Geist denken als Abfolge von EskalationsStufen/NotfallSystemen: Was sich im primitiveren System nicht mehr synthetisieren lässt, provoziert abstraktere (mehr Schablonen/Daten/Taktiken ausprobierende / vergleichende) Synthese-Versuche. So treibt die Verwirrung in Überforderung wie Rausch Entstehung z.B. des Bewusstseins/Verstands voran.
- Gewitter, das auch Bewusstsein/Verstand nicht mehr bewältigen, treibt das NervenSystem zu noch radikaleren Versuchen, zu abstrahieren, Entferntes zusammen zu denken, Schablonen fürs Erfahrene zu (er-)finden, zu wilderen Assoziationen. So entstehen Halluzinationen, Ideen, Wahn, GeistesBlitze. Nicht Ende, sondern ÜberSchäumen des Geistes.
- Erlebnis des ÜberSchäumens kann zu erschrockener Abwehr oder Dämonisierung führen, oder zu des Rausches Mystifizierung bzw. Vergöttlichung, oder zur LeichtGläubigkeit gegenüber den durch den Rausch eingegebenen Ideen. Da er unter Bedingungen äußerster nervlicher Empfindlichkeit stattfindet, können negative Reize hier psychisch besonders verheerend wirken.
- Allerdings kann Umgang mit Rausch geübt werden; wie man seine Eingebungen einzuschätzen hat, unter welchen Bedingungen man ihn sich antun kann, wie man von ihm wieder herunter kommt. Eine auf Prohibition ausgelegte Politik erschwert aber dieses EinÜben. Mangel an Erkenntnis schadet auch denen, deren Räusche nicht durch Drogen entstehen, sondern z.B. durch Psychosen.
- "Herrschaft. Der Rausch wird eingeklemmt":
- Herrschaft ist mehr als biologisch veranlagte HackOrdnung: Sie ist das bewusst (unter anderen Alternativen) gewählte, planmäßige Zwängen Anderer unter eigene Ziele, in Einschränkung der HandlungsFreiheit dieser Anderen; sie dazu nötigen, anders als aus ihren eigenen Interessen, und vielleicht sogar gegen diese zu handeln.
- Autonomie, Spontaneität, Kreativität und KommunikationsFähigkeit des Menschen ermöglichen Herrschaft: Sie geben den Herrschenden potente Werkzeuge an die Hand, um Andere zu steuern. Herrschaft erfordert zugleich die Unterdrückung dieser Eigenschaften (und mit ihnen der Räusche, die sie fördern) bei den Beherrschten.
- McKenna-Schule romantisiert paradiesische tribale UrZeit herbei, in die dann die herrschaftliche Zivilisation als ÜbelTäter hereinbrach. Kulla skeptisch: Idealisierung der exklusiven Körper Stamm und "Gemeinschaft", Aberkennung des Nutzens (inklusiverer?) "Gesellschaft". Diese frühen AgrarWirtschaften liefen auch sicher nicht herrschaftsfrei.
- Umgekehrt idealisiert die bürgerliche GeschichtsSchreibung Herrschaft zur Bedingung von Zivilisation und zum schützenden WohlTäter gegenüber einer lebensfeindlichen VorZeit/Natur. Ohne sie kein Fortschritt, keine Kooperation? Frage: War Herrschaft je notwendig für ein besseres Leben, und selbst wenn, ist diese Notwendigkeit unabschüttelbar?
- Herrschaft entstand wohl als Erhebung der Männer über die Frauen (dass es zuvor ein Matriarchat gegeben habe, ist mitsamt dessen Niederwerfung bloß patriarchaler Gründungs-/Rechtfertigungs-Mythos); so wurde HerrschaftsMethodik und die dafür nötige Psyche (Härte) eingeübt, mit der sich dann auch KlassenHierarchie durchsetzen konnte – als Form, die aufkommende AgrarWirtschaft zu organisieren.
- Das Patriarchat entstand, als Männer Rausch-hafte (gewöhnliches Denken übersteigende) Anregungen ihres Gehirns zur Unterwerfung / Ordnung der Welt (oder nur der Frauen?) nicht anders zu deuten wussten denn als göttliche Eingabe, und infolge ihre SelbstErmächtigung als höchstes Recht und Gebot. (Unklar: Warum nur Männer, nicht Frauen solche Räusche / Rausch-Deutungen erfahren haben sollten.)
- Seitdem weiß Herrschaft sich als mehr als bloßer (z.B. tribaler) Egoismus: als Durchsetzung eines höheren Rechts qua Gott, später WerteSystem. Läuft prima, wenn Herrscher und Beherrschte beide davon überzeugt sind. Macht auch die Herrscher zu SelbstBeherrschern. (Selbst-)Kontrolle/Stärke/Härte als (männlicher) Wert, KontrollVerlust/Schwäche/Genuss als (weibische) Schande.
- Das Patriarchat trennt guten männlichen vom schlechten weibischen Rausch; die AgrarGesellschaft hegt den Rausch weiter ein, der sich nun rationalen Kriterien beugen muss: spektakuläre Gelage nur noch, wenn es sich mit der langfristigen Vorräte-Planung verträgt; nur noch zu festgelegten Tagen, als VentilSitte zum Dulden der restlichen Zeit.
- Unter Jägern/Sammlern waren Kreativität und Sinnes-Verfeinerung aller nützlich. Nun (bis zur Antike): VorRecht der herrschenden (nicht-arbeitenden) Klasse, die sich die Ressourcen zur Steigerung von Empfinden und Denken auf Kosten Beherrschter leistet, bei denen derlei Räusche die Herrschaft nur stören würden. Das Christentum wird die OberSchicht für solche Räusche der Dekadenz schelten.
- Bis in frühe NeuZeit totale Umkehr dieses Rausch-Verteilungs-Verhältnisses: Der Rausch wird der OberSchicht ausgetrieben, sie definiert sich jetzt mehr und mehr über Vernünftigkeit, Ordentlichkeit, Nüchternheit. Das Elend der Beherrschten dagegen treibt diese in den permanenten Rausch, durch Hunger wie durch davon ablenkende betäubende Drogen.
- Permanente Berauschung der Unterschicht erklärt mittelalterliche Massenhysterien und die sie aufpeitschenden Charismatiker – letztere oft versprengte Mitglieder der OberSchicht, die deren einziges verbliebenes Ventil in den Rausch wählten: Mönch werden. Das Mönchs-Leben ist ganz auf Rausch durch Askese ausgelegt.
- Katholen hatten kirchlichen Rausch; bei manchen Festen besoffen sie sich aufs Äußerste zur Freude Jesu. Der Protestantismus giert auf Auslöschung aller Räusche (Luther hasst, Calvin verbietet (u.a.) Alkohol) außer dem aller-reinsten verinnerlichten des Glaubens. Gebärt aber wiederum gläubige Gruppen-Ekstasen – und indirekt mit VoranTreiben des Kapitalismus dessen WarenFetisch-Räusche (?).
- Mit der aufkommenden Moderne werden die RauschMittel immer präzisiert portioniert und kontrolliert vertrieben, optimiert auf Ökonomisierung des Lebens (Förderung von Koka und Koffein als Arbeits-Anregungs-Mittel), um Unerwünschtes bereinigt (ReinheitsGebote sorgen dafür, dass die bis zu den BauernKriegen Psychedelika-durchsetzten Biere nur noch als BetäubungsMittel dienen).
- Die Abstinenz-und-Anti-Opium-Bewegungen ab dem späten 19. Jahrhundert speisen sich stark aus dem Protestantismus, argumentieren moralisch bis rassistisch (wider weiße Adaption der asiatischen Schwäche Opium). Keine vergleichbaren Keime in katholischen Gegenden.
- Nationale WirtschaftsInteressen und DrogenHandel um die JahrhundertWende eng verbunden: britische Opium-Kriege, deutsche Chemie-Konzerne (Kokain, Heroin). WirtschaftsGegner instrumentalisieren moralistische Anti-Drogen-Bewegungen gegeneinander, um Konkurrenten zu bekämpfen. Ersten großen DrogenVerbots-Konventionen entstehen im gegenseitigen Hoch-Pokern von Verbietest-du-mir-Verbiete-ich-dir.
- Die entstehenden internationalen Verbote und Regulationen bändigen die RauschMittel ganz unters Diktat moralistischer Prohibition auf der einen und hinreichend Lobby-kräftiger pharmazeutischer Konzerne auf der anderen Seite, die darüber ihre MarktKontrollen und Kartelle auszubauen wissen. Forschung zur Gefährlichkeit diskutierter Substanzen und wirksamen SuchtBekämpfung spielt kaum eine Rolle.
- Heute wissen wir: Die wenigsten Substanzen sind aus sich selbst stark Sucht-erzeugend. LebensUmstände wie ArbeitsStress machen abhängig, sind ohne manche Drogen kaum auszuhalten. Der Entzug treibt dann nicht in Freiheit von Abhängigkeit, sondern andere Übel, gefährliche ErsatzDrogen (Freud bewarb Kokain als Morphium-Heilung) oder neue selten gesündere Abhängigkeiten (Sport, Sekten, Arbeit).
- Kritik der Pharmakologie als herrschafts-wissenschaftlicher HerangehensWeise: fokussiert ganz auf die Substanzen und verfehlt dabei den Blick auf die Umstände ihres Wirkens; ist blind für ihre eigenen Bedingungen als Instrument herrschaftlicher Rausch-Politik; alternative Verwissenschaftlichung z.B. durch AußenSeiter/Laien tut not. Immerhin: Ein Pharmakologe hat LSD erfunden.
- Permanente/r Stress/Hetzerei, worunter uns der Kapitalismus setzt, fördert Süchte nach Drogen zur SelbstKontroll-/Produktivitäts-Steigerung und macht gleichzeitig Angst-loses Fallen in KontrollVerlust-Räusche unmöglich. Unter diesen Umständen wird's schwierig mit den guten Trips. Es fehlen die Gefahren-freien Räume zum sorglosen FallenLassen, insbesondre für die UnterPrivilegierten.
- Staatliche Drogen-Regulierungs-Politik z.B. in Sachen Alkohol-Verboten zielte auf Sicherung erwünschter ArbeitsKräfte. Das Dritte Reich schickte die Nutzer der falschen RauschMittel ins Lager (wo an ihnen mit weiteren Substanzen experimentiert wurde) und konditionierte seine Soldaten mit Speed / Crystal Meth zu LeistungsFähigkeit und Härte. Heute passiert's nur etwas weniger krass.
- "Revolution. We all could be free":
- Leo Perutz schreibt ("St. Petri-Schnee") zehn Jahre vor der Entdeckung des LSD einen Roman über selbiges, die Verbindung der Chemie mit traditionellen Auslösern religiöser Erfahrungen und ihrem Potential als Revolutions-Trigger. Perutz ist kein Freund dieses Potentials. Aber er mag das erzählerische Spiel mit der Frage, was Wirklichkeit sei und was nicht.
- Fehler, die Perutz macht: Er glaubt in seinem Proto-LSD einen Zugang zum ÜberMenschlichen / Göttlichen, statt sowohl in religiösem Erleben wie DrogenRausch einfach ein Aufschließen noch unverstandener Potentiale im menschlichen NervenSystem zu erkennen. Und er fetischisiert die spezifische Substanz als Ursache des Rauschs, statt sie als einen Rausch-Faktor unter vielen zu begreifen.
- Nach der Erfahrung des NationalSozialismus: Kritik des (Massen-)Rauschs durch diverse linke Theoretiker. SpannungsVerhältnis zwischen "Rausch führt in den Faschismus" und "im Rausch könnten emanzipative Potentiale enthalten sein" (z.B. durch ein "überschießendes Element", das den Rausch als bloßes Kontroll-Instrument transzendiert, neue/ungeplante Erfahrungen auslöst usw.).
- Als NationalSozialismus-Analyst sieht der Marxist materiell-politische Bedingungen als Ursache (scheitert aber daran, bessere zu schaffen), der Bourgeois psychische Aberration. Kontinuitäten der jeweils eigenen Ordnung zu der der Nazis sind ausgeblendet. Der böse Rausch ist Irrtum, WahnVorstellung – in Abgrenzung zu den guten/wahren Vorstellungen von Aufklärung, Liberalismus und Christentum.
- Noch in der Psychedeliker-Bewegung tagt die bürgerliche Vorstellung, primär das falsche Bewusstsein sei für den Faschismus verantwortlich – man müsse die Psychen nur mittels LSD umprogrammieren, um in die bessere Welt zu gelangen.
- Der Weather Underground medikamentiert seine eigene RevoluzzerBiografie. Mit LSD initialisieren die WeatherMen ihr Bewusstsein von Möglichkeit und Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung. Dann wechseln sie zu Speed, um sich in Gewalt-bereite KämpferNaturen zu transformieren. Dann entspannen sie sich mit Cannabis und leiten so eine ErfolgsKette symbolischen BombenLegens ohne Tote ein.
- WarOnDrugs vernichtet den Rausch der 68er und sein EmanzipationsPotential. Daneben: Liberalismus-Sieg; Herrschaft wird dezentral, verinnerlicht. Gekämpft wird nur noch für Kapitalismus-Reförmchen. 1968 gilt als realisiert in seinen duldbaren/brauchbaren Teilen; Rest: "an sich selbst" gescheitert (statt brutal niedergeschlagen), gilt im Rückblick (v.a. aufs RauschHafte) als übertriebener Wahn.
- Revolutions-Optimismus und FortschrittsGlaube der 60er weicht die FolgeJahrzehnte Enttäuschung, RückSchrauben von Erwartungen; nicht nur bei LSD'lern, auch in TechnologieGroßProjekten wie der RaumFahrt. In Hinwendung zu dieser als WeltErweiterungsChance erweist sich der späte Leary noch als materialistischer Revoluzzer; Kents Psychedelik-Informatik dagegen verspricht nur noch New-Age-Esoterik.
- Der gute Umgang mit dem Rausch erfordert Übung, LernBereitschaft. Erkunde zuerst deine Körper-eigenen RauschFaktoren, -Sensibilitäten usw., bevor du die Substanzen hinzusetzt. Dann setze die Substanzen behutsam-erforschend hinzu. Beobachte genau, ob sie machen, was du wünschst, und auch, wie sich dein Wünschen durch sie verändert (in okaye Richtung? Oder wirst du abhängig?).
- Bedenke: Viele Substanzen wirken wie "ZeitBomben". Entfaltet sich die Wirkung gemächlich, ist das wünschenswert; eine gemächliche Steigerung macht die Wirkung nämlich viel verständlicher, und verhindert die FehlAnnahme, der Rausch sei ein zum "NormalZustand" völlig Anderes. Aber auch eine blitzartige radikale Sofort-Wirkung kann eine wertvolle Erfahrung sein (eher was für Fortgeschrittene?).
- Fürs VorStudium Körper-eigener RauschKapazitäten lohnt sich Studium der Erfahrungen und GebrauchsAnweisungen der StraightEdger und von Guides wie "Stoned Free. How To Get High Without Drugs". Problematisch sind hier die RandErzählungen der Dämonisierung von Substanz-induzierten Räuschen – denen gegenüber der Substanz-freie Rausch idealisiert und in seinen Gefahren verharmlost wird.
- Beachte stets Set und Setting. Trippe betreut durch TripSitter. TripSitten kann eine für Tripper wie Sittenden wertvolle Erfahrung sein, lernt man sich doch so sehr intim kennen. Obsessiere nicht in eine Furcht vom Absturz in die Abgründe deines Inneren: Unser Inneres ist keine andere Dimension gegenüber dem Rest der Welt, und grad in unserer Psyche sind wir rege in die Welt eingebunden.
- Suche Rausch als SprungBrett/BewusstseinsErweiterung. Meide den Rausch als Abhängigkeit, Verdinglichung. Gerade abhängig-machende Räusche und Räusche als auf sich selbst isoliertes Erlebnis-Spektakel saugen dir Kraft/Trieb zur Veränderung ab, sind VentilSitte statt revolutionäre Praxis. Wie die Gewalt muss die Linke sich auch Rausch und Hedonismus mit Vorsicht, Taktik, Analyse aneignen.
- Wahrnehmungs-EntAutomatisierung als Ziel, die Verhältnisse als veränderlich sichtbar macht, Rauschenden Mechanismen, Annahmen, Zwänge offenlegt, die sie bisher steuern. LSD schafft das nicht von allein, kann aber helfen. Wichtiger: Training zur "Besinnung": aus erwartet-angewöhntem Denken/Verhalten austreten. Manchmal reicht schon, außerplanmäßig inne zu halten oder spazieren zu gehen.
- Eine Welt guten (angstfreien) Rauschs setzt Emanzipation voraus. Rausch wiederum kann (aber nicht allein) taugen als Werkzeug hin zur emanzipierten Welt. Henne-Ei-Problem? Man versuche beides gleichzeitig: Rausch taktisch mit der emanzipativen Arbeit verbinden. Den Rausch emanzipativ machen und aus der emanzipativen Arbeit Berauschendes heraus kitzeln.
- Der Rausch ist kein SelbstZweck. Trage die VeränderungsGedanken aus dem Rausch in die Welt hinaus. Sei skeptisch gegenüber Eindrücken, der Rausch an sich habe dich und die Welt schon verändert, die Transformation sei schon abgeschlossen oder liege eben in der Substanz (die du nur fortwährend zu dir nehmen müsstest).
- Zum Einen Verdammung verdinglichten statt entfalteten, des instrumentellen Rauschs, der uns besser unsere in der existierenden Welt vorgesehen Funktionen erfüllen lässt, der eingesperrt ist in seine Zweckbindung. Zum Anderen Gebot des bewusst-analytischen, nicht kopflosen Umgangs mit Rausch, zum Zwecke der Revolution. Problem: Ist nicht beides Instrumentalisierung, zweckhafte Zurichtung und so Einsperrung?