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DieIdeologieDatenschutz
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Siehe auch: IdeologieDatenschutz

Below der Volltext des bei Carta veröffentlichten plomlompom-Artikels "Die Ideologie Datenschutz", in der vorletzten Fassung (plomlompom schickte seine Fassung an Carta, Carta redigierte ein bisschen und schickte an plomlompom zum Weiterkürzen und Korrigieren zurück; diese Fassung liegt hier; danach wurde auf Carta noch etwas weiterredigiert, diese allerletzte und publizierte Fassung liegt bei http://carta.info/24397/die-ideologie-datenschutz/ )

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Die Ideologie Datenschutz

Datenschutz ist nicht gleich Kampf um digitale Freiheitsrechte. Er dient bestimmten Vorstellungen von Staatsrecht, Geistigem Eigentum, Menschenbild und Status Quo. Ihm entgegen lassen sich Daten-Explosion und Erosion des Privaten nicht nur als Gefahr, sondern auch als emanzipative Chance begreifen.

Dem Datenschutz geht es um nichts weniger als den Kampf gegen „das absolut Böse“. Das bedeutet die Reduzierung des Wunders Mensch auf bloße verrechenbare und somit beherrschbare Zahlen, folgt man der Argumentation von Frank Rieger. Dieser mobilisierte mit solcherart Parolen auf der Keynote des letzten Chaos Communication Congress (Audiomittschnitt):

„Konkret“ und „radikal“ müsse man jetzt der Kultur des Datensammelns entgegen treten: "Das geht nicht mehr. Die Zeit ist vorbei, wo das zu tolerieren ist." Der "gesellschaftliche Konsens" gehöre endlich auf „Datensparsamkeit“, „Datenvermeidung“ eingeschworen. Gegendenkende Ansichten seien „Verirrung“. Man dürfe "Datenverbrechen" nicht länger "als Kavaliersdelikte" behandeln: "Es muss den Leuten tatsächlich persönlich an ihre Existenz gehen".

Diese Leidenschaft des Datenschutzes folgt dem Leitspruch der britischen Fernsehserie "The Prisoner"/"Nummer 6" (1967): "I will not be pushed, filed, stamped, indexed, briefed, debriefed or numbered. My life is my own." Mein Leben gehört mir; wer ohne meine Erlaubnis aus meinem Leben resultierende Informationen zieht, behält, weiterverarbeitet oder gar benutzt, der handelt wider dieses Eigentumsverhältnis; greift meine Freiheit und Selbstbestimmung an, meinen Selbstbesitz; wirft mich unter seine Kontrolle.

Ein alarmierender Aufruf, ethisch fordernd wie ein Menschenrechtsartikel; etwas, um Bürgerrechtsbewegungen zu begründen und auf die Straße zu treiben. Bei genauerem Hinsehen, das sollen die folgenden Ausführungen skizzieren, ist Datenschutz aber vor allem auch: Ideologie und Instrument bestimmter Vorstellungen von Staatsrecht und geistigem Eigentum; Rettungsanker für bestehende Ordnungen im Guten wie im Schlechten; und Schutzversprechen für fragwürdige identitäre Logiken.

Datenschutz: freiheitlich-demokratisch, verfassungs- und staatstreu

Der Staat, das hat das 20. Jahrhundert bewiesen, wird selbst da, wo er sich Demokratie nennt, rasch zum Ungeheuer, seine Polizei zur Securitate, seine Bürokratie zum KZ-Verwalter, wenn dem Bürger nicht unveräußerliche Privilegien und Schutzbereiche gegenüber staatlicher Kontrolle eingeräumt werden. Folgt man der Logik des Datenschutzes, gilt das auch fürs Sammeln von Daten über den Bürger.

Diese Denkrichtung teilen Grundpfeiler der Bundesrepublik Deutschland, in reuevoller Selbstbeschneidung ihrer Befugnisse. Wir verdanken ihr verfassungsrechtliche Begriffsprägungen wie die "informationelle Selbstbestimmung" und das "Grundrecht auf digitale Intimsphäre". Mit sichtbarem Stolz verweist die hiesige Datenschutzbewegung auf ihre eigene Rolle im Einfordern dieser Begriffe. Zugleich gesteht sie treu ein, sie der Autorität eines Jahrzehnte vor ihrer Geburt aufgesetzten Nation-building-Dokuments namens "Grundgesetz" und seiner staatstragenden Säule "Bundesverfassungsgericht" zu verdanken.

Am Anfang steht also zwar Misstrauen gegenüber dem Staat; am Ende dann aber notwendiges Vertrauen in seine Stärke zur Selbstkontrolle, Selbsteindämmung. Der Dissident von gestern findet seine Ruhe im rechtspositivistischen Verfassungspatriotismus.

So geht es auch nie nur gegen den Staat allein. Kampf für Datenschutz versteht sich als Zwei-Fronten-Krieg: nicht nur gegen Datensammelwut von Behörden, sondern auch gegen die der Privatwirtschaft. Sind die Stanford-Mathematiker von Google und Facebook nicht technisch viel smarter als die Schlapphüte vom BKA? Dann ist die Daten-Souveränität ihnen gegenüber noch viel strenger zu verteidigen!

Freilich ist im Fall der Privatwirtschaft die Erfahrung der realen Geschichte an Bedrohungsszenarien ärmer: Verbreitetstes Leiden ist die milde Belästigung durch zielgerichtete Werbung und telefonische Drückerkolonnen, die vom Adresshandel zehren. Scoring desweiteren verweigert aufgrund bestimmter Datenauswertungen Kredite, ist aber kaum der Unheilsmacht eines Staates vergleichbar. Lässt man die Staatsmacht weiter Hauptbösewicht sein, kommt immerhin noch ein Szenario hinzu: dass diese Unternehmen in ihrem Hoheitsbereich als Werkzeug und Datenbank-Erweiterung unter ihre Kontrolle bringe.

Sorgen aber, was das BKA in den Datensätzen von StudiVZ herumschnüffeln könnte, hört man vergleichsweise selten. Öfter dagegen: die Furcht, Google, Facebook usw. könnten persönliche Daten deutscher Bürger in den Zugriffsbereich amerikanischer Behörden überführen. Privatwirtschaft bereitet Sorge als imperialistischer Arm des Auslands. Hier findet sich Datenschutz rasch im Schulterschluss mit dem Machtbedürfnis des Staates: Unheimliche Kräfte und Einflüsse von Außen gilt es, kleinzuhalten. Datenschutz wird gern zum Kronzeugen berufen, wenn deutsche Politiker vor den Bedrohungen aus dem Internet durch Google & Co. warnen.

Größte Sünde der Unternehmen aber ist vielleicht nicht mal, dass sie für sich selbst Daten sammeln; sondern dass sie Menschen dazu verführen, in Social Networks und ähnlichen Plattformen mehr über sich der Welt preiszugeben, als Datenschützer für klug halten. Hier sehen diese eine Notwendigkeit, Menschen vor sich selbst zu schützen. Politische Apparate der Medienpädagogik, des Jugendschutzes, der Gesetzgebung werden angerufen und frohlocken über jede verliehene Kompetenz zur Eindämmung von Freiheitsexzessen. Privatwirtschaft in ihrer Profitgier sei hier nicht vertrauensfähig; "zivilgesellschaftliche" (d.h. staatlich geförderte) und staatliche Kontrolle muss her. Hier spätestens zerbricht das Bild des Kampfes um Datenschutzes als Zwei-Fronten-Krieg: Datenschutz heißt, auf den Staat setzen.

Geistiges Selbst-Eigentum

Das Bedürfnis, den Fluss von Informationen im Netz zu kontrollieren, eint Datenschützer mit Rechteverwertungsindustrie, Staatsgeheimnis und Zensur. Allesamt glauben sie an die Notwendigkeit, den Zugang und die Weiterverwertbarkeit von Informationen zu verknappen und pochen hierfür auf staatliche Macht, Erziehung der öffentlichen Moral und Ende der Netzneutralität: der Blindheit des Netzes gegenüber Art, Herkunft und Verpflichtungen der vertriebenen Einsen und Nullen.

Der ideologische Kampfbegriff "Geistiges Eigentum" entspricht der Forderung, ein Mensch möge Verfügungsgewalt besitzen über die Daten, die sein Leben generiert. Der Eigentumsbegriff im Datenschutz wird besonders absurd dort vorgeführt, wo vor der Kommodisierung persönlicher Daten gewarnt wird. Ein Bewusstsein wird gefordert: Persönliche Daten werden für Profitzwecke gesammelt und ausgewertet. Eine Konsequenz soll daraus gezogen werden: dieses für illegitime Ausbeutung zu halten, je schlimmer, desto mehr Profit daraus entstehe. Das setzt aber gerade voraus, persönliche Daten als Funktion von Eigentum, Geld-Wert und Handelbarkeit zu begreifen; mit ihnen zu knausern, um ihren Wert zu sichern oder zu steigern, anstatt sie durch großzügiges Teilen zu entwerten, zu vergesellschaften. Das Paradoxe nämlich ist: Sind Daten öffentlich und verfügbar, statt privat und gesperrt, bezahlt niemand mehr Geld für sie; hören sie also auf, Ware zu sein.

Genauso wie „Geistiges Eigentum“ ist ein „Eigentum“ an persönlichen Daten nicht naturgegeben, sondern nur ein gesellschaftlich erwünschtes Gedankenkonstrukt. Es gehört denselben harten Fragen ausgesetzt wie „Geistiges Eigentum“ an Musikstücken oder Patenten: Wie rechtfertigt sich der Eigentums-Anspruch? Wer ist Autor und damit Rechteinhaber: das Individuum, der soziale oder kulturelle Hintergrund, der Augenblick, der Ort, der Auftraggeber, „die Gesellschaft“? Was rechtfertigt eine künstliche Verknappung, das Zurückhalten von Informationen vor der Allgemeinheit, und bis in welches Maß?

Die Praktikabilität und damit Legitimation solcher Eigentums-Konstrukte muss vor
allem sich auch an der Realität der modernen Informationsmedien messen. Und da hat die Rechteverwertungsindustrie für die Durchsetzbarkeit ihrer Eigentums-Begriffe in den letzten anderthalb Jahrzehnten Schiffbruch erlitten. Warum sollte es um sonstige Informations-Monopolismen anders bestellt sein, wie etwa den Eigentums-Anspruch auf persönliche Daten?

Ballast der Daten und identitäre Einengung

Dem Datenschutz liegen nachvollziehbare Sorgen um die Freiheit des Einzelnen zugrunde:

Wenn ich unterm Eindruck des Privaten, des Unbeobachteten handle, dann sorge ich mich weniger darüber, was andere von diesem Handeln halten mögen; inwieweit es sich heute, morgen oder übermorgen vertragen muss mit dem Bild, das die Welt von mir haben soll. So kann ich mir abweichendes Verhalten erlauben und Experimente wagen. Muss ich mich indes sorgen, dass mein Verhalten für die Welt protokolliert und auswertbar gemacht wird, spüre ich dann nicht den Anpassungsdruck permanenter Prüfung, der mir jedes unvorsichtige Verhalten, jedes Spiel mit meiner Identität, jedes Ausprobieren von Neuem als riskant versagt? Dann muss ich jedes Handeln nicht nur auf seine Wirkung im Hier und Jetzt abwägen, sondern auch auf seine repräsentative Wirkung gegenüber der Außenwelt und auf den Ballast, den es für meine Zukunft bildet.

Dahinter steht ein System der identitären Einengung: Mein Handeln wird, im Durchlaufen bestimmter Rechenformeln, summiert zu einer Identität; und diese Identität ist mein Wert in den Augen der Welt, ihrer juristischen, politischen, ethischen Maschinen. Diese Identitätssumme bestimmt, wie man mir begegnet und wie man mich behandelt, welche Wege man mich beschreiten lässt, welche Privilegien oder Verbote man mir auferlegt.

Das mag unattraktiv freiheitsbeschneidend klingen, ist aber allgemein akzeptiert: Wer Verbrechen begeht, den stempeln wir „Verbrecher“, und wer Entscheidungen trifft, soll mit ihren Konsequenzen leben. Wir verinnerlichen dieses System in unserem Respekt für Begriffe wie "Schuld" oder "Verantwortung". Wir lernen Geringschätzung gegenüber identitärer Unbestimmtheit, sind "auf der Suche nach uns selbst" (einer verlässlichen Identität) und werden „erwachsen“ durch uns definierenden Bindungen und "Verantwortungsübernahme".

Eine Diktatur dieses Systems wäre unerträglich, wenn sie totalitär wäre. Das Leben würde sich immer mehr in Vorherbestimmtheit einengen. Jedoch gönnt uns unsere Kultur etwas Entspannung: die Privatsphäre und das Vergessen. Im Privaten können wir uns einigermaßen frei bewegen, ohne neuen Ballast zu erzeugen; und das Vergessen wirft alten Ballast ab, sogar juristisch kodifiziert durchs Verjähren oder das Verbot der Namensnennung resozialisierter Verbrecher.

Doch genau diese Entspannungen erscheinen im Zeitalter der Daten-Explosion bedroht: Wo immer mehr Leben erfasst wird, gibt es immer weniger Verstecke für das Private; und die unbremsbare Kopiermaschine Internet besitzt ein totales Gedächtnis, das auf gezielte Erinnerungslöschversuche mit Multiplikation der unerwünschten Erinnerung reagiert ("Streisand-Effekt"). Würde die Daten-Explosion die Diktatur der Vergangenheit über die Gegenwart und die der Gegenwart über die Zukunft tatsächlich total machen, wäre das allerdings ein Alptraum.

Tatsächlich kündigen sich aber entgegengesetzte Effekte an: Die Daten-Explosion bringt die Gleichgewichte der identitären Einengung ins Wanken. Wer ständig all seine tatsächlichen Fehler, Widersprüche, Idiosynkrasien, Persönlichkeitsspaltungen und Inkonsequenzen broadcastet, der kann nicht mehr in eine kohärente Identität gezwungen werden. Wenn das Millionen tun, erodiert das zugrundeliegende Bild des Menschen und seiner Planbarkeit: Die Gesellschaft muss ihre Erwartungen neu konfigurieren.

Datenschutz als Ablenkung und Duldung

Die Diktatur der über uns verfügbaren Daten über uns, oder auch unserer Vergangenheit über unsere Zukunft, kann in vielen Fällen als das eigentliche Problem gesehen werden. Anstatt sie direkt anzugehen, will der Datenschützer das Problem aber nur in erträglichen Bahnen halten, durch Bewahrung eines bisherigen Status Quo; damit stellt er sich gelegentlich grundlegenderen Angriffen auf diese Diktatur in den Weg.

Rasterfahndung beispielsweise stempelt mich über Kriterien wie mein soziales Umfeld oder meine Zeitschriftenabonnements zum "Verdächtigen" oder "potentiellen Terroristen". Ein solcher sieht seine Freiheit infolge polizeilicher Gängelungen eingeschränkt. Problem scheint hier zunächst die empfundene Grobheit der Einengung: In sich harmlose Eigenschaften sollen mich plötzlich in eine Identität zwingen, deren Zuordnung ich als unangemessen empfinde. Neu ist diese identitäre Zwangsjacke nicht; nur schien sie duldbarer, als ihre Verteilung noch knapper, unsichtbarer verlief.

Datenbank und Computerisierung erweitern und verallgemeinern nun ihren Aktionsradius, objektivieren und systematisieren vormals subjektive und unsystematische Rasterungen. In gewisser Weise machen sie die Diskriminierung gerechter: Sie verlangen klare Formulierung und konsequenten Nachvollzug von Vorurteilen und Rassismen, unverwässert durch Instinkt, Zufall oder persönliche Sympathie. Solcherart hervorgekehrt, erweckt ein als ungerecht empfundenes Kriterium zur Gängelung von Menschen eher gesellschaftliche Empörung, als wenn der Rassismus nur einen vermeintlich offensichtlichen Drogendealer oder Illegalen trifft. Nachprüfbarkeit, Objektivierung und erhöhte Reichweite der Rasterkriterien können grundlegend die Legitimation einer identitären Zwangsjacke untergraben, die vorher nur stichprobenweise, verschwommen und damit vergleichsweise unangreifbar verordnet wurde.

Oder betrachten wir die gern behauptete Beschädigung von Karriere-Aussichten durch über Google & Co. recherchierbares Privatleben: Junge Leute sollen davor geschützt werden, dass ein Wissen über ihr Leben bei einer Job-Bewerber-Auswahl gegen sie ausgelegt wird; und zwar durchs Zwängen ihres Lebens ins Unsichtbare. Als eigentliches Problem kann hier die vermutete Intoleranz der Arbeitgeber erkannt werden. Diese lässt sich wohl weder durch Moralpredigten eliminieren, noch durch Gesetzgebung: Die Auswahl eines Bewerbers verläuft intransparent oder kann andere Ablehnungsgründe als die tatsächlichen vorschieben. Die Privatsphäre der Bewerber vor der Intoleranz der Welt zu schützen ist hier also sicher die zweckdienlichste Lösung?

Ein solcher Schutz durch Unsichtbarkeit schützt aber nicht nur das Individuum vor der Intoleranz der Welt, sondern auch die Intoleranz der Welt vor dem Individuum. Nicht nur erfordert jetzt die Intoleranz des hypothetischen Arbeitgebers kein weiteres Eingreifen; die von ihm gezogene Linie zwischen Akzeptablem und Inakzeptablem wird reproduziert in der neu gezogenen Linie zwischen dem, was man die Welt von sich ruhig wissen lassen darf, und dem, was man besser schamvoll verbergen sollte. Gesellschaftliche Toleranz-Normen verändern sich, wenn sie genötigt werden, sich zu verändern: Die Schwulen-Bewegung hat nicht durchs Verstecken die westliche Welt zur Toleranz genötigt, sondern gerade durch ihre Weigerung, weiter die Opfer-Rolle des Sich-Versteckens zu akzeptieren, durch die Sichtbarkeit von Schwulenparaden und Massen-Outings.

Die Chancen der Post-Privacy

Ein Diktat der Daten-Scham und des Daten-Schutzes würde vielversprechende emanzipatorische Potentiale des Netzes beengen, blockieren.

Die Sorglosigkeit, mit der Menschen inzwischen ihr Leben und ihre Eigenheiten der Welt offenbaren, darf nicht nur als einzudämmende Gefahr begriffen werden; sie schafft für Millionen von Menschen neue Kommunikations-Anlässe, Anknüpfungs-Punkte, Neigungs-Familien. Sie bricht die Isolation des Privaten auf und gibt denen ein soziales Echo, die vorher nie geglaubt hätten, Geistesverwandte zu finden.

Befördert wird dieses Empowerment durch immer intelligentere Vermittlungs-Maschinerie: Das Web weiß immer mehr über uns und verwandelt dieses Wissen in Empfehlungen, Verknüpfungen, Gedächtnis- und Denk-Erweiterungen, die uns neue Kontakte, Ressourcen und Einsichten bescheren. Sich intelligent verselbständigendes Sammeln und Auswerten von Daten ist Grundlage und Treibstoff dieser Dynamik: die Bedingung einer alles informationell erfassenden Symbiose unserer Welt mit einem anwachsenden weltweiten Computernetzwerk, die immer mehr Menschen als bereichernd empfinden. Wer das Sammeln und Auswerten von Daten verteuern und bremsen möchte, möchte eben diesen Prozess verteuern und bremsen.

Natürlich kann das Sammeln und Auswerten von Daten auch der Repression dienen; wie so oft ist alles eine Frage der übrigen Bedingungen. Die Gefährlichkeit von Daten ist eine Funktion der Machtverhältnisse, in die ihr Fluss gegossen wird (und die sie zugleich auch mitformen).

Das trifft für die Gebrauchbarkeit von Wissen genauso zu wie für seine Verteilung: Oft ist eine Bewegung Richtung Machtgleichgewicht eine Bewegung Richtung Gleichverteilung von Wissen: Der Staat sollte nicht mehr über die Bürger wissen als die Bürger über den Staat. Datenschützer votieren dafür, diese Gleichverteilung sicherzustellen durch Beschneidung eines Mehr an Wissen auf Seite des Staates. Genausogut (gleichzeitig oder ungleichzeitig) kann man aber votieren fürs Aufstocken des Zu-Wenig an Wissen auf Seite des Bürgers. Diese Idee fasst der Futurist David Brin in den Begriff "Transparent Society": Wenn schon Überwachung, dann solle doch bitte jeder jeden überwachen dürfen.

Auch der Datenschützer wünscht sich, dass Überwachung und Datensammeln, wo unvermeidlich, transparent geschehen sollen. Brins „Transparent Society“ geht aber noch weiter: Sie erhebt Transparenz zum gesellschaftlichen Grundprinzip: Macht, Gesetzgebung, Eigentum usw. würden legitimiert nur, soweit sie transparent, also ihre Innereien und Hintergründe öffentlich nachvollziehbar wären. Wo Transparenz solcherart Machtverhältnisse anzugehen sich anschickt, wird das Verhältnis zum Datenschutz angespannt: Der Reiche pocht aufs Bankgeheimnis, der gefilmte Prügel-Polizist auf sein Persönlichkeitsrecht. Datenschutz, gerade auch in seiner weiter oben dargestellten Staatsnähe, kann Machtexzesse nicht nur behindern, sondern genauso gut festigen.

Die gegenwärtige Daten-Explosion und Erosion des Privaten lässt sich als Bedrohung oder als Chance begreifen; in jedem Fall erschüttert sie bisherige Verhältnisse, Privilegien, Sicherheiten. Es ist verführerisch, sich in dieser Verwirrung an die vermeintlichen Sicherheiten des Status Quo zu klammern. Eine Welt im Fluss erfordert aber nicht nur immer wieder die Rechtfertigung von Neuem gegenüber dem Alten, sondern auch umgekehrt immer wieder die Infragestellung des Alten durch das Neue. Der Status Quo findet sich oftmals nicht nur an seiner Oberfläche, sondern tief in seinen denkerischen Voraussetzungen angegriffen: Dann muss grundlegend darüber reflektiert werden, was unsere Menschen- und Gesellschaftsbilder sind und was wir uns von ihnen erhoffen.

Der eingangs zitierte Frank Rieger legt hier zielgenau seinen Finger in die Wunde, wenn er vorm Umbau des Menschenbildes warnt. Man kann diese konservative Haltung teilen oder nicht, aber der Alarmismus trifft die Wucht, mit der Fundamente unseres gesellschaftlichen Denkens sich gerade erschüttert finden. Anderswo,
z.B. hier und hier und hier, wird die Frage ergebnisoffener diskutiert, bei Beibehaltung ihrer Grundsätzlichkeit: Was heißt die Auflösung von Individuen in verschaltbare Daten-Wolken, die Externalisierung der Person vom menschlichen Körper auf Wälder aus Internet-Profilen, der Kontrollverlust übers „Ich“? Das Ende eines alten Menschenbildes muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein; es kann auch von Erwartungen und Zwängen befreien, internalisierte Machtstrukturen aufschütteln, den Weg frei machen für neue Ausformungen von Identität, Geist und Leben.

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