Buch: Volker Woltersdorff / "Coming Out. Die Inszenierung schwuler Identitäten zwischen Auflehnung und Anpassung" / 2005
Lektüre-Notizen:
- "Einleitung":
- "Zwischen Verstecken und Zeigen":
- Geschichte der Begriffe Sexualität, Homosexualität mit Verweis auf Foucault / "Der Wille zum Wissen". Der Homosexuelle ist das misslungene Subjekt, wenn das Subjekt sich (nicht wie früher: über Gott) in der Sexualität, in der gesunden Verschmelzung von Geschlecht (männlich, weiblich) und Rolle (aktiv, passiv) erfindet.
- Heterosexualität ist öffentlich respektiert und institutionalisiert und kann sich deshalb über die Ebenen privat-öffentlich hinweg entfaltet, Homosexualität dagegen bleibt nur der Schrank / "the closet" im Privaten, in der Subkultur.
- Schwule "in the closet" müssen klar trennen zwischen ihrem sozialen und ihrem sexuellen Sein, das jeweils Eine um das jeweils Andere beschneiden. Sie dürfen sich nicht öffentlich zu erkennen geben und wollen doch einander erkennen -- was nur über Geheimsprache geht. Homosexualität hat nur die Wahl, entweder unsichtbar oder Skandal, entweder zuviel oder zu wenig zu sein.
- Schwule "in the closet" müssen ihren Habitus ganz genau kontrollieren, damit das Verborgene nicht als erkennbare Abweichung von der erwarteten heterosexuellen Männlichkeits-Norm ans Licht tritt. Sie studieren ganz genau, was ein Zuviel oder Zuwenig gegenüber den heterosexuellen Normen ist, verinnern sie noch stärker als der entspannt-selbstsichere Heterosexuelle.
- Das "Coming Out" versucht, die Schrank-Ordnung zu durchschneiden, akzeptiert nicht länger ihre Macht, respektiert nicht länger heterosexuelle Normen und die Grenze zwischen dem Sexuellen und dem Sozialen, die ja nur fürs Nicht-Heterosexuelle gilt. Sie flüchtet sich zum Teil auch in die skandalisierte Überhöhung, um das Regime der Geheimhaltung abzuschütteln.
- In "Coming Out"-Strategien steckt die Gefahr, ein neues Regime homosexueller Identität zu schaffen, das in bekennender Selbst-Suche und Betonung der eigenen Andersheit nur das Sexualitäts-Regime reproduziert, das ursprünglich die Homosexuellen zum kriminologisch-psychiatrischen Gegenstand machte. Homosexuelle, die lernen, wie sie sich als Homosexuelle korrekt zu verhalten haben.
- Andere "Coming Out"-Strategien versuchen, die Normen der Sexualität direkt anzugreifen. Bekenne dich nicht zur erwarteten Norm, sondern erzähle ganz Anderes als das Erwartete. Verweigere die Bekenntnis-Mythologie.
- "Entstehung und Entwicklung":
- Mythos von Stonewall: Mit einem Schlag hüpfen die Schwulen aus den Schränken auf den Teppich, fordern mit Stolz-geschwollener Brust ihre Anerkennung, entdecken sich als kämpferische Gemeinschaft, so wie Black Power, so wie die Frauenbewegung!
- Vorher hieß "Coming Out": Debütieren in der Subkultur. Nach Stonewall heißt es: Debütieren der Subkultur im und gegen den Mainstream.
- Um Stonewall Nähe der Bewegung zur Militanz. Linke Kämpfe. Vietnam und Kommunarden.
- Stonewall'sche Faszination für die Kollektiv-Identität weicht bald der Individualisierung. Coming Out entweder als Bekenntnis zur Bewegung oder als Selbstfindung. Biografik.
- Schon frühe Nähe zur poststrukturalistischen Subjektkritik. Man untersucht, wie man konstruiert ist. Eine Suche nach Eigenheit in Authentizität wird dekonstruiert, die Authentizität wird dekonstruiert; bald: Eigenheit als postmodernes Pastiche, Patchwork, flexibel, anschlussfähig, ohne stabilen Kern.
- Lässt sich auch umdeuten: Identitäts-flexible Avantgarde der Schwulenkultur als Wegbereiter des neoliberalen "flexiblen Menschen" (Sennett). Coming Out als modisches Accessoire im betont brüchigen Lebenslauf.
- Identitäts-Kämpfe. Jede Coming-Out-Generation definiert sich im Gegensatz zur vorherigen. Tunte, Macho, Queer.
- Klagen über die Demilitarisierung, Kommerzialisierung, gesellschaftliche Einpassung der Bewegung. Andererseits: Pluralisierung der Identität (die sie als Kern schwächt) -- es gibt unter Schwulen Proles, Bürgerliche, Konservative, Radikale, Schwarze, Türken ...
- Coming Out als Normalisierung: Schau her, ich bin auch ein Mensch, wie ihr! Coming Out als Abgrenzung: Haha ich bin der Bürgerschreck und ganz anders als ihr, kreischt!
- "Diskursive Praktiken":
- Habe ich schon erwähnt, dass das Buch ziemlich zäh akademisch geschrieben ist? Aber vielleicht ist es auch nur meine Müdigkeit.
- Das Coming Out ist ähnlich gestaltet wie spirituelle/religiöse Initiations-Riten, von den Schamanen bis zu den Freikirchlern. Es reiht sich ein in die selbe Selbsttechniken-Geschichte: Erfinde dich durch deine Bekehrung. Erzähle deine Geschichte durch den einen entscheidenden Wendepunkt in deinem Leben, wie schon Augustinus. Lerne einen neuen Weltzugang durch deine Offenbarung.
- Es gehört zur homosexuellen Offenbarung, dass all das Schlecht-Fühlen gegenüber dem eigenen Anderssein nicht der eigenen Schuld entspricht, sondern der Heteronormativität der Gesellschaft.
- Die persönlichen und politischen Auseinandersetzungen mit der Identitäts-Bezeichnung. Wer wird nicht mal schwul genannt? Und dann plötzlich lernen, diesen Begriff tatsächlich als Selbstbegriff zu begreifen. Diesen Begriff, der bis dahin doch nur als Alarm-Zeichen gilt, dass man von der erwünschten Norm abweiche, als die eigene Norm anerkennen.
- Hey, an der Sprechakt-Theorie muss schon was dran sein, wenn sogar das US-Militär dran glaubt. "Don't ask, don't tell" ist begründet damit, dass der Arbeitsplatz nicht sexualisiert werden soll; das bloße Bekenntnis der Homosexualität ist schon Sex. Jedenfalls in einem heteronormativen Raum. Heterosex ist keine Abweichung, also unsichtbar, also keine Provokation, keine Belästigung.
- Die ständige Auseinandersetzung mit der Identitätsfrage. Wer eine Identität festnagelt, hat schon verloren. Institutionalisierte Homosexualität ist keine mehr. Das Spannende ist doch gerade die Reibung mit der Grenze der Norm. Da bleiben am Ende nur noch Queers und Kinderficker. Der Rest ist integriert und angepasst.
- Pflicht zum Coming-out. Es ist nicht nur für dich, für deine Selbstfindung. Es ist für alle Schwulen. Es ist für die Gruppen-Identität. Es macht Homosexualität sichtbar, anschließbar. Damit zeigst du den Pubertierenden, die sich für schlecht weil anders halten, dass sie so anders gar nicht sind. Rosa von Praunheim verachtet die Privatsphäre, gönnt sie nicht mal seinen Geliebten.
- Die Neigungsfamilie, die Schwulenszene, die Wahlverwandtschaft ersetzt die Familie. Die Familie stößt dich aus, enterbt dich; deine homosexuellen Freunde unterstützen dich.
- Foucaults "Technologien des Selbst". Programm der schwulen Askese, abgekupfert bei den Stoikern: Ergebnis-offene, aber entschlossene Arbeit am Selbst, am sexuellen Ausprobieren, an Fetischen, an KörperGestaltung. Keine Entdeckung des Selbst, sondern seine Erfindung.
- Foucault liest bei Augustinus von Hippo, wie die Erektion (herrje, werde ich je einen Text über Augustinus lesen, in dem es nicht um dessen Obsession mit Schwänzen geht?) bei den Chrsiten die Penetration als Maßstab der Römer verdrängt: Du bist nicht mehr, wen du fickst, sondern du bist, wo er dir steht. (Letztert Satz ein Gedächtnis-Zitat, finde die Seite nicht mehr.)
- Althusser: Subjekt / Unterworfener wirst du, wenn der Polizist deinen Namen ruft und du dich daraufhin zu ihm umdrehst.
- "Normativität":
- Homonormativität. Coming-out als Eintrittskarte in einen Schwulen-Klub mit festen Regeln, denen du entsprechen musst. Coming-out ist ein Coming-in in neue Normen, keine Befreiung.
- "Die Schwulenbewegung" als ausschließende Identität. Die Ausstellung zu 100 Jahren Schwulenbewegung, die Lesben, Transsexuelle usw. ausschloss und den eigenen Kampf als eben, ja, den eigenen Kampf einengte. Eine National-Geschichte halt.
- "Ausdrucksweisen":
- Die Künstler- und Stil-Neigung der Homosexuellen. Erklärt durch ihre soziale Position. Freiraum, Identitätsspielraum. Von der Schwulenbewegung zum Teil als "closet" verachtet. "Camp" ist ein stolzes intellektualistisches Spiel mit schwuler Ästhetik und wird von Emanzipations-Identitäts-Schwulen als unsolidarisch empfunden.
- Das Internet als Entfesselungs-Raum, wird vom Autor kritisch gewürdigt. Funktioniert einerseits als die Super-Stadt, andererseits als Raum für identitäre Experimente und Öffnungen. Lasst tausend Coming-outs sprießen, nicht nur eines! Andererseits: keine gemeinsame Öffentlichkeit, kein Normen-Kampf. Das Netz erlaubt es den Szenen, unter sich zu bleiben: "closet".
- Formelhaftigkeit der autobiografischen Coming-out-Erzählungen. Sie spiegeln in ihren Kindheits-Erinnerungen und Beobachtungen stets den aktuellen Diskurs über die Genese von Homosexualität: die nervös-kränkliche Jugend bei Proust und Thomas Mann, später die durch die Mutter weibisch Verzogenen, schließlich: frühes Bewusstsein sexuellen Begehrens. Alles gleich falsch.
- Schwule Räume zwischen Ghetto und Utopie, Schutzraum und Entwurf einer neuen Weltordnung. Sexuelle Demokratie, Verbrüderung, Körper-Vermischung im Darkroom. Aufhebung der bürgerlichen Rollen, Klassen in der Disko. Aber auch: Man muss es sich leisten können, jede Nacht bis 5 Uhr durch zu feiern. Und eingelassen wird nur, wer sexy aussieht. Neue Elite: die Begehrenswerten.
- Die Schwulenszene als eine transnationale Horizontale, die Zugang zu Mitgliedern verschiedenster Kulturen und Sozial-Inseln schafft, die entlang ihrer Homosexualität zusammen finden. Die Heterosexuellen dagegen können in ihrem eigenen soziokulturellen Milieu verbleiben, wenn sie Partner finden wollen, denn ihre Norm ist ja allumfassend.
- "Coming-out und kein Ende":