Buch: Aaron James, "Assholes: A Theory", 2012.
Lektüre-Notizen:
- "A Theory":
- Arschlochs-Definition: Jemand, der sich mehr herausnimmt, als ihm unter den Bedingungen sozialer Kooperation zusteht; und sich aber sehr wohl dazu berechtigt sieht, als besonderes Privileg gegenüber Anderen; und die Kritik an diesem AnspruchsDenken von sich weist, ignoriert oder anfeindet.
- Ein richtiges Arschloch muss diese Faktoren dauerhaft erfüllen, sie müssen Teil seiner Mentalität sein. Wer nur manchmal so tickt, oder reuevoll seines Verhaltens Ungerechtigkeit anerkennt (auch wenn er's später wiederholt), oder ohne Glauben an die Legitimität seines Handelns, ist im Wesen kein Arschloch; vielleicht jerk oder schmuck.
- Praktische Vergehen der Arschlöcher können gering sein; etwa SuperMarktKassen-VorDrängeln. Es ist die Persistenz, die ÜberStrapazierung sozial sinniger Toleranzen: VorDrängeln ist unter manchen Umständen (Notfälle) legitim – das Arschloch aber drängelt sich immer vor, als Begründung reicht ihm sein selbst-erklärtes VorRecht gegenüber Anderen.
- So gering auch ihr Vergehen, Arschlöcher frustrieren durch ihre SelbstGerechtigkeit, die KritikerStimmen mit Verweis auf eigene SonderRechte disqualifiziert. Statt Kritiker zumindest anzuhören, als moralische GegenPosition zu akzeptieren, werden sie verhöhnt, mit niederer Gewalt abgekanzelt, als gleichberechtigt anzuhörende Stimmen abgelehnt.
- Das Arschloch empört, weil es gesellschaftlich fundamentale Konventionen fairen ZusammenLebens, des gegenseitigen Respekts, der GleichBerechtigung sabotiert / untergräbt. Es beansprucht Freiheiten, ohne damit verbundene Pflichten etwa zur Vorsicht und Rücksichtnahme zu beachten. Ihr Handeln erkennt Anderen die GleichWertigkeit ab.
- Insbesondre ist auch der kein Arschloch, der asozial handelt, aber das selbe asoziale Handeln als Recht allem und jedem zuerkennt; man muss schon an sich und an Andere unterschiedliche Standards anlegen, um Arschloch zu sein.
- Arschlochigkeit scheint mit Narzisstischer PersönlichkeitsStörung zu korrelieren, aber beide sind nicht deckungsgleich.
- "Naming Names":
- Versuch einer Arschloch-Typologie, die sich aber recht bald in allgemeinem anekdotischen Geraune über verschiedene Personen und ihre bestätigte oder negierte Arschlochhaftigkeit verliert, mit einigen nicht ganz streng durch-definierten Beispielen und unklaren Grenzziehungen zwischen verschiedenen Typen.
- Boorish und smug Arschlöcher setzen aus Überzeugung der eigenen Überlegenheit heraus Andere herab – etwa indem sie diesen Anderen gegenüber die Beachtung von AnstandsRegeln für verzichtbar halten (sich einen FreiBrief zur unflätigsten Beschimpfung ausstellen), oder ihr eigenes Urteil/ihren Geschmack gegenüber dem Anderer absolut setzen.
- Boss, royal, presidential Arschlöcher: Leute leiten aus einer Autorität ihres Postens mehr VorRechte gegenüber anderen Menschen ab, als diesen Posten eigentlich eingeschrieben sind; man gewöhnt sich halt an die Macht und verliert leicht die BodenHaftung. Könige immerhin können gelegentlich Gottes Gnade als AusRede vorweisen.
- Corporate Arschlöcher: Bestimmte Kulturen, etwa der AktienGesellschaften-Kapitalismus, scheinen Arschlochhaftigkeit geradezu einzufordern, befördern sie jedenfalls willig. Egoistisches Wirtschaften auf dem Rücken von Untergebenen/Arbeitern und Konsumenten, ganz im Recht des Profit-maximierenden Managers, gefällt den Aktionären.
- Für reckless Arschlöcher zählt die Gerechtigkeit des eigenen VoranPreschens mehr als die Vermeidung von Risiken für Andere und vielleicht sogar für die Sache, in deren Namen sie voranpreschen.
- Self-aggrandizing Arschlöcher forcieren die Vergrößerung der eigenen Macht über Andere um jeden Preis (etwa die Aushöhlung demokratischer Rechenschafts-Strukturen), denn der gerechte Zweck heiligt die Mittel. Vergleiche Imperialismus-Legitimationen im britischen Empire, und durchaus auch bei Amerika.
- Arschlochhaftigkeit kann durchaus gute Ergebnisse zeugen: General MacArthur war sicher ein monumenteles Arschloch, aber die Kombi aus seiner SelbstÜberhöhung und der AutoritätsHörigkeit der NachkriegsJapaner hat zu einer für die japanische Nachkriegs-Entwicklung produktiven Symbiose geführt. Obama ist vielleicht nicht Arschloch genug.
- Unterschied zwischen Psychopathen und Arschlöchern: Arschlöcher sind von einer selbstgerechten Moral überzeugt, Psychopathen haben ein nur instrumentelles Verhältnis zur Moral – sie ist ein Muster in der Gesellschaft, dessen man sich zum eigenen Nutzen bedienen, das man aber zum selben Zweck auch ignorieren kann.
- "Newer Asshole Styles":
- Traditionelle ArschlochTypen funktionieren über deutlich identifizierbare Selbst-Legitimationen – leichte ZielScheiben für Dekonstruktion (erst die aufgelöste Legitimation kennzeichnet das Arschloch, denn: Arschloch ist ja nur, wer mehr für sich beansprucht, als ihm legitimerweise zusteht).
- Bei neueren ArschlochTypen sind die SelbstLegitimationen schwerer auffindbar. Vielen populären amerikanischen TV-Polemikern etwa lässt sich schwerlich die von ihrem Geplapper projizierte Überzeugung abnehmen; fühlen sich wohl eher legitimiert durchs Recht der EinschaltQuote als der Botschaft; in einem System, das Quoten/Profit zur Moral erhebt.
- So erklärt sich auch der TonFall von FoxNews: Roger Ailes scheißt auf jeden Presse-Kodex, verhöhnt die journalistische Integrität, das AusredenLassen der Experten, denn in seinem moralischen Universum zählen die einfach viel weniger als Quote, Macht, Profit. Bullshit ist kein Problem, sondern eine Methode hin zum Gerechten.
- Delusional Arschlöcher überschätzen ihren gesellschaftlichen Nutzen bzw. ihren Wert im gesellschaftlichen WerteSystem und folgern daraus ihre übertriebenen Ansprüche. Etwa Künstler, Banker. Man lässt ihnen viel durchgehen, wenn sie Gewinn für die Gesellschaft bauen. Leider erblinden sie gegenüber eigenem Versagen, fordern dann trotzdem.
- "Gender, Nature, Blame":
- Mehr Männer als Frauen scheinen zur Arschlochigkeit zu neigen, und das ist sicher eine ErziehungsSache. Viel Nature-vs-Nurture-Diskurs: Man wird ja nicht zu Mann/Frau geboren, sondern erzogen, Simone de Beauvoir, Judith Butler usw. Der Begriff "Arschloch" selbst scheint für Männer reserviert, aber das ist nur sprachliche Konvention.
- Frauen nennt man eher bitches. Vorschlag definitorischer Differenzierung: bitches sind wie Arschlöcher, täuschen aber zumindest vor, die Sorgen und Einwände Anderer als die moralisch GleichBerechtigter zu behandeln. Frauen werden eher zum VorSpielen sozialer Kooperativität sozialisiert, eher für offenes SchulterZucken sanktioniert.
- Schwafeliger Diskurs (der wohl etwas pop-philosophisch eine Einführung in diverse klassische Diskurse geben soll) darüber, ob es gerecht ist, ein Arschloch zu blamen, wenn es doch von der Gesellschaft geformt ist. Viel über Freien Willen, persönliche Verantwortung. Dann eine beliebige Definition relevanter Faktoren, um es zu legitimieren.
- (Wenig konsequenter) Versuch eines Vergleichs von Arschlochhaftigkeit über Kulturen und Epochen hinweg: Es gibt verschiedene Arschloch-Kriterien in verschiedenen Kulturen. Arschlochhaftigkeit könnte was mit Individualismus und AynRand-Prägung zu tun haben. Ziemlich ins Blaue behauptet: Arschlochhaftigkeit scheint global zuzunehmen.
- "Asshole Management":
- Das Arschloch provoziert leicht zwei selbst-demütigende ReaktionsWeisen: unterwürfige Kooperation und erfolglose Aggression. Die Einen fühlen sich unfähig zum Widerstand und spielen also demütig mit, die Anderen bemühen sich mit ansteigendem KraftAufwand um Korrektur der Arschlochigkeit und müssen feststellen, dass es nichts hilft.
- Zwischen beiden Extremen liegen Situations-bezogen mehr oder wenig sinnvolle Verhaltensweisen: Eine gute Retorte ist vielleicht doch wirksam darin, das (nicht ganz vollendete) Arschloch umzuerziehen / in die Scham zu treiben; und manches Kooperieren / manche ZurückHaltung ist unter Umständen produktiver/schadfreier als die Alternativen.
- Eine aggressive Reaktion kann selbst ohne Aussicht auf Umerziehung des Arschlochs gerechtfertigt sein: als Geste (für sich wie Umstehende) der Bestätigung des moralischen Systems, das vom Arschloch missachtet wird; zur Behauptung/Versicherung des Werts der Opfer des Arschlochs. Aber auch hier gilt: das rechte, produktive Maß abwägen.
- Ist Kooperation mit dem Arschloch unvermeidlich, so muss das nicht zur vollen SelbstDemütigung entgleisen: Setze Grenzen der Kooperation, die deine eigenen Prinzipien schützen (halte etwa den Austausch knapp, beschränke ihn auf bestimmte Aspekte). Und bewahre dir deine eigene Interpretation der Situation, übernehme nicht die des Arschlochs.
- Überhaupt, Stoiker-Ratschläge: Betrachte nur deine eigene Moral und Deutung als dein Problem, nicht die des Arschlochs; wenn du schon die Fakten der Situation nicht ändern kannst, bewahre dir deine eigene DefinitionsHoheit; und wäge als Leitbild deines Handelns rational ab, wie zielführend deine möglichen Reaktionen aufs Arschloch seien.
- Arschlöchern aus dem Weg zu gehen ist keine in jedem Fall brauchbare Strategie; denn das Meiden kann mit viel Verzicht eingehen, und letzten Endes die eigene Freiheit stärker einschränken, als es das Arschloch täte.
- GruppenDynamik mit Arschloch: Terrorisiert ein Arschloch eine Gruppe, weiß dieses oft ungeklärte GrauZonen in den sozialen Regeln der Gruppe auszunutzen, unterschiedliche Auslegungen des Akzeptablen. Verschiedene Temperamente im Reagieren auf Arschlöcher (Hinnahme, Aggression) können die Gruppe spalten. Das Arschloch spielt gegeneinander aus.
- Ist eine Gruppe vereint im Unwohlsein gegenüber dem Arschloch, aber gespalten in der Strategie, bis hin zu interner Feindschaft, hilft vielleicht die Rückbesinnung aufs gemeinsame Unwohlsein und das Entwickeln gegenseitigen Verständnisses dafür, dass man je nach eigenen Umständen verschieden stark getriggert, kampfesfähig o.ä. sein kann.
- Alternative soziale Zusammenkünfte ohne das Arschloch können Raum bieten dafür, dass eine gespaltene Gruppe zu einer gemeinsamen Basis findet, aus der heraus sich dann auch eine kohärente Strategie im Umgang mit dem Arschloch entwickelt, die dann diesem WirkungsKraft entzieht statt der restlichen Gruppe.
- "Asshole Capitalism":
- Das System "Kapitalismus" rechtfertigt das individuelle Privileg (Reichtum) als Anreiz für ein Handeln, das der Gemeinschaft nutzt. Arschloch-Kapitalist ist derjenige, der sein persönliches Privileg gerechtfertigt sieht / einfordert, unabhängig vom (faktischen, nicht nur behaupteten) Nutzen für die Gemeinschaft.
- Kapitalismus funktioniert nur mithilfe diverser Formen/Institutionen sozialer Kooperation – zum Beispiel respektierten Gesetzen zum Schutze von Eigentum. Arschloch-Kapitalisten werden aus SelbstSchutz das Spiel nicht bewusst gegen diese Formen der Kooperation treiben; aber sie arbeiten dennoch an seiner moralischen Delegitimation.
- Ein gewisses Arschlöcher-Maß erträgt das System, produziert es wohl sogar unvermeidlich. Ein Überhand-Nehmen zerstört aber die kooperative Grundlage: In einer Arschloch-Ökonomie muss jeder arschlochiger handeln, um über Wasser zu bleiben (Netzwerk-Effekt), Kinder werden zu ihrem Schutz ellenbogiger erzogen, Fairness wird teurer / bestraft.
- Institutionen wie Familie, Religion, Strafe, Demokratie werden von Arschloch-Dynamiken korrumpiert – lassen sich dafür ausspielen (Gott belohnt die Erfolgreichen; teure Winkel-Advokaten unterstützen die erfolgreichen Arschlöcher in der Auslegung des Gesetzes; Massenmedien, Massenmeinung und politische Verfahren sind arschlochig manipulierbar).
- Als erfolgreichen SchutzMechanismus gegen ArschlochKapitalismus lobt der Autor kollektivistische SchamKulturen wie in Japan. Leider unterliege in den amerikanischen Medien das öffentliche Beschämen von Arschlöchern dem öffentlichen Zelebrieren von erfolgreicher Arschlochhaftigkeit.
- "Accepting the Given":
- Weil das Arschloch gerade über die Schwierigkeit definiert ist, es umzuerziehen, spielt ein gewisses Maß der Akzeptanz von Arschlochigkeit wohl einen wesentlichen Part in jeder realistischen Strategie des Umgangs mit dem Arschloch-Problem. Kommt das aber einer Aufforderung zur Resignation gleich?
- Stoiker wie auch Jesus Christus akzeptieren das Schlechte, das ist, weil sie glauben, dass es Teil eines größeren kosmischen Plans ist, der letztlich zum Guten führt. Mit unserem gegenwärtigen Realismus können wir uns nicht mehr auf diesen Glauben als Grundlage unserer Duldungs-Logik stützen.
- Es ist ein konservativer Wert, das Gegebene zu akzeptieren, insoweit es für irgendeine Form von Gottgegebenheit, Natürlichkeit steht. Ebenso könnten wir es mit der Arschlochigkeit versuchen, die wohl mehr (nach Hobbes) oder weniger (nach Rousseau) ins menschliche SozialVerhalten eingeschrieben ist.
- Zugleich können wir uns progressive Hoffnung bewahren, wenn wir dem Arschloch-Problem absprechen, so mächtig zu sein, dass es einen allgemeinen Kurs hin zum Besseren verhindert. Wie StevenPinker argumentiert, ist der Pfad der menschlichen KulturGeschichte einer der langen aber kontinuierlichen Verbesserung.
- Arschlöcher sind definiert durchs Ausnutzen sinnvoller sozialer Toleranzen; radikale, gewalttätige BekämpfungsStrategien könnten mehr Schaden als Nutzen bringen. Stattdessen sollten die Nicht-Arschlöcher durch kooperative Kultur, Toleranz, Verständnis, Ausdauer die Nicht-Arschlochigkeit fördern.
- "Letter to an Asshole":
- Voraussichtlich vergeblicher Versuch, ein Arschloch zur Nicht-Arschlochigkeit zu überreden.
- Ist es nicht anstrengend, die Mauer ständiger Rechthaberei aufrecht zu erhalten, ständig die Fackel der eigenen Überlegenheit zu heben? Es gibt Entspannung und Glücks-Empfindungen darin, auch mal loszulassen, sich treiben zu lassen, Fehler machen zu können.
- Du hältst dich doch für sehr intellektuell und moralisch potent. Aber wenn du deine Ansprüche genau durchdenkst, offen und ehrlich, kommst du dann nicht irgendwann an wackelige, brüchige Stellen? Stößt du nicht unweigerlich auf Widersprüche, wenn du deine moralische Legitimation nur präzise und allgemeingültig genug abklopfst?
- Es ist eine der Ehren und Potenzen des Menschen, mit Anderen sich in eine gemeinsame Verstandes-Ebene zu abstrahieren, die eigene Hülle in ein Gemeinsames zu transzendieren. Eine selbstgerechte Moral, die nur von einem selbst geteilt wird, verbaut das. So jemand endet einsam, ohne die Ergiebigkeit des Sozialen, des Geteilten.
- "Acknowledgments":
- Der Autor dankt den Arschloch-Surfern, die ihn durch ihr Verhalten zu seiner Theorie inspirierten, und meint: Ja, Pop-Philosophie wie dieses Buch hier mag ich ja eigentlich auch nicht.
- "Appendix: A Game Theory Model of Asshole Capitalism":
- SpielTheoretische Formalisierung der Thesen zu den Bedingungen kooperativen GleichGewichts.
- Wo alle kooperieren, können auch alle profitieren; Arschlöcher drohen das kooperative GleichGewicht umzukippen zu einem System, wo jeder arschlochen muss, um seinen eigenen Nachteil gering zu halten.
- Eine Gleichung zählt die Kosten des Kooperierens, den Prozentsatz der Kooperierenden und eine etwas unklar definierte weitere Variable.
- Arschlocherei-und-Kooperations-GleichGewichte können hin und her schwanken. Wer das kooperative Modell dem Arschloch-Modell vorzieht, den sollte das zu einer höheren Bereitschaft treiben, die Kosten einer Kooperation in Kauf zu nehmen, auch wenn die Kooperation durch ein paar Arschlöcher unterwandert wird.