Einige Thesen gegen Zensur, eben rauskopiert aus einer evtl. eine re:publica-Session konspirativ-kollaborativ vorbereitenden E-Mail meinerseits:
- Je informierter wir sind, desto besser können wir agieren, bspw. Gefahren identifizieren und abwehren. Je freier die Informationsflüsse sind, desto informierter sind wir.
- Eine Unterscheidung zwischen 'guten' und 'schlechten' Informationen (z.B. Kunst und Journalismus vs. Pornographie) ist hierbei kontraproduktiv. Jedes Festschreiben solcher Maßstäbe hemmt nur das Entstehen neuer Perspektiven auf Probleme oder Chancen. Unsere moderne Informationsökonomie lebt davon, dass Informationen immer wieder neu auf unvorhergesehen Art und Weise durchmischt und priorisiert werden.
- Man kann Informationen aus dem Netz nicht entfernen, sondern nur in andere Kanäle verdrängen. Verfügt aber nur der Untergrund über Informiertheit, gerade auch bei den als gefährlich empfundenen Dingen, schadet dies dem Nicht-Untergrund. Der 'Gefährlichkeit' von Informationen begegnen wir also besser nicht durch Ausblenden, sondern indem wir die (kohlenstoffweltlichen) Gründe angehen, aus denen heraus wir diese Informationen für gefährlich halten.
- Das Internet funktioniert als eine Bibliothek von Babel: Jede mathematisch denkbare Information wird generiert und verbreitet (und schneidet man sie irgendwo ab, wächst sie unweigerlich nach). Es existiert also schon jede richtige oder falsche Information, und von jedem geborenen oder ungeborenen Kind ein Porno-Archiv. Diese informationelle Allmacht des Organismus Internet entkoppelt das, was in ihm an Informationen generiert, von Schuldzusammenhängen in der Kohlenstoffwelt. Wir können vielleicht die Menschen maßregeln, aber nicht die Informationen.
- Wir müssen lernen, mit einer poststaatlichen, in gewisser Weise sogar postsozialen(*1) Informationsökonomie zu leben. So sehr es auch sein Wille sein mag, und egal ob dieser nun demokratisch oder diktatorisch gestellt werde; der Staat kann technisch keine absolute Zensurhoheit(*2) über das Netz durchsetzen. Er kann bestimmten Teilen seiner Demographie den Zugang zu bestimmten Informationen erschweren; diese Erschwerung lässt sich allerdings nur über einen dortigen Mangel an Mediennutzungsgelegenheit- und Expertise sicherstellen, den aufrecht zu erhalten langfristig sich keine Gesellschaft mehr leisten kann, wenn sie nicht mit Nordkorea auf eine volkswirtschaftliche Stufe rutschen möchte. Entweder Steinzeit oder Bibliothek von Babel.
- *1: Der demokratische Nationalterritorialstaat ist ein historisches Konstrukt, das vor allem für die Frage, welche Informationsinhalte im öffentlichen Raum anzutreffen sind, an Bedeutung verliert. Als Identitätsgemeinschaft ist er ein Flaschenhals, der eine Abgrenzung nach Außen wie auch eine besondere Verbundenheit im Inneren verlangt, die den gegenwärtigen kulturellen Trends nicht mehr entspricht. Dass Menschen vom Hunsrück, aus Rügen und aus Mecklenburg-Vorpommern gegenüber Menschen aus Amerika, Russland, China oder Indien qua "Demokratie" ein erhöhtes Bestimmungsrecht darüber haben sollen, mit welchen Informationen aus der postnationalen Informationswolke Internet ich interagiere, ist eine absurde Vorstellung. Der Rechtfertigungsdruck liegt umgekehrt: Das vermeintliche "Wir" des demokratischen Nationalstaats hat sich gegenüber dem anwachsenden "Wir" des Welten-Hirns als informationsökonomischer Inkubator zu beweisen oder seine Rolle als Identitätsstifter aufzugeben.
- *2: Jedes staatliche Beschränken von Informationsflüssen ist Zensur. Dieser Satz an sich enthält noch nicht einmal eine Wertung; der Umstand, dass "Zensur" so einen schlechten Ruf hat, rechtfertigt keine Befreiung von der Benennung als "Zensur". Versuche, "Zensur" wegzudifferenzieren der Art, nur das Beschränken von Informationsflüssen der Art A (etwa: Journalismus, Kunst) sei Zensur, das der Art B (etwa: Volksverhetzung, Kinderpornographie) dagegen nicht, halten keiner klaren Definition des Begriffes "Zensur" stand und setzen eine Ausdifferenzierbarkeit von Informationen in 'gute' und 'schlechte' voraus, die unter Prämissen von Postmoderne und Bibliothek-von-Babel-Informationsökonomie obsolet ist.