Buch von Mircea Eliade / "Schamanismus und archaische Ekstasetechnik" / "Le chamanisme et les techniques archaiques de l'extase" / 1951 / 1957 / 1975.
Lektüre-Notizen:
- Einleitung:
- Dies ist eine religionsgeschichtliche Abhandlung. Methodologische Integrationen und Abgrenzungen zu Psychologie, Theologie, Ethnologie u.a. Es geht nicht um die Erforschung der GeistesKrankheit der Schamanen oder ihrer sozialen Rolle oder der religiösen Dogmen, in die sie eingeordnet werden. Es geht darum, "ReligionsFakten" und "Hierophanien" auf den Grund zu gehen, tiefe Bedeutungen zu enthüllen, das spezifische "Heilige" zu umreißen, sowas.
- Als ReligionsGeschichte interessiert Eliade nicht so sehr (auch wenn er es als Ansatz für intellektuell nützlich hält) eine chronologisierende Erzählung (oder gar Teleologie). Viel mehr dient ihm Geschichte und die Auffädelung verschiedener geschichtlicher Momente als Katalog zum Vergleich verschiedener Verwirklichungen des ImmerWiederKehrenden. Das Heilige, Religiöse, das er sucht, ist übergeschichtlich; aber nur durch Betrachtung der Geschichte kann er sich ihm annähern.
- "Allgemeines. Rekrutierungsmethoden. Schamanismus und Psychopathologie"
- Eingrenzung des "Schamanen". Nicht verwechseln mit "Magier", "Zauberer" oder "Medizinmann". Der Schamanismus ist ein Komplex bestimmter Ekstase-Techniken, und der Schamane derjenige, der sie in seiner religiösen Funktion beherrscht. Nicht jeder Ekstatiker ist ein Schamane: die Ekstasen des Schamanen führen ihn in außerkörpliche Reisen, in die Ober- und Unterwelt und in Kontakt mit Geistern. Wohlgemerkt: in Kontakt, nicht zur Besessenheit durch diese.
- Der Begriff leitet sich ab, und ist am Deutlichsten verwirklicht, im nord-/zentral-asiatisch/sibirischen Raum. Aber es gibt auch andernorts Vergleichbares: in Ozeanien, in Amerika. Vielleicht sogar Verbindungen zu den Indo-Germanen.
- Aber Warnung davor, im Schamanismus die steinzeitliche oder gar vor-steinzeitliche UrReligion zu erkennen. Religiöse Genealogie hält Eliade eh für problematisch; glaubt eher an das ImmerWiederAuftauchen desselben, nicht so sehr daran, dass notgedrungen alles die selbe geschichtliche Wurzel haben muss. Spekuliert romantisch darüber, dass schon vor Hunderttausend Jahren vielleicht eine ähnliche Vielfalt an religiösen Manifestationen gegeben haben könne.
- Eliade attestiert dem Schamanismus eine gewisse Eigenheit gegenüber dem Glaubens-Gerüst, das ihn umgibt. Passt mal besser, mal schlechter in die ihn umgarnende Theologie. Ist die direkte Erfahrung des Heiligen, das halt die Christen auf ihren Gott projizieren und andere Völker vielleicht auf einen Stein oder einen Baum.
- Nichtsdestotrotz Skizze des Glaubens-Gerüsts, in das der Schamanismus im nord-/zentral-asiatischen Raum meist eingepasst wird. Glaube an einen himmlischen (d.h. explizit mit dem Himmel und seinen Eigenschaften assoziierten, vielleicht sogar gleich-gesetzten) ÜberGott und seinen UnterGöttern, mit denen wiederum der Schamane in Kontakt treten kann. Alles sehr männlich, keine weiblichen Figuren.
- Gibt verschiedene Wege, zum Schamanen zu werden. Veranlagung ist gemeinhin erblich oder durch z.B. Epilepsie als "göttlich erwählt" sichtbar, aber eine Veranlagung garantiert noch nicht den Schamanen: Er muss Initiations-Riten durchmachen, sich beweisen, Techniken beherrschen. Nicht die GeistesKrankheit macht dich zum Schamanen, sondern, dass du sie meisterst, steuerbar, bei Bedarf abrufbar machst. Der Schamane sondere sich ab von den Anderen gerade dadurch, dass er oft ein sehr viel kraftvollerer, kontrollierterer, intelligenterer Mensch sei.
- Eliade schildert ablehnend Thesen, Schamanismus entspringe bestimmten GeistesKrankheiten, die wiederum das Resultat bestimmter UmweltFaktoren seien -- eine These etwa, der Schamanismus habe deshalb seine Herkunft in der arktischen Zone, weil das Leben dort die Menschen alle etwas komisch im Kopf mache.
- Nach einem Fokus auf Sibirien sehr lockeres Vergleichen zwischen Afrika, Amazonas und Sumatra. Das war es wohl, worüber die Anthropologen später bei Eliade die Nase rümpften!
- "Initiationskrankheiten und -träume":
- Von Nord-Asien bis Australien, Südamerika und Eskimo-Land gibt es wiederkehrende Muster in den Erzählungen über die Initiation des Schamanen, immer wieder neu durchmischt:
- Er stirbt und wird wiedergeboren, bzw. durchlebt eine Zeit des Scheintodes. Vielleicht liegt er tatsächlich fiebernd oder unbeweglich darnieder, vielleicht wird er aber auch nur wie ein Toter behandelt.
- Er besucht, körperlich oder außerkörperlich, reale oder legendäre sakrale Orte, Höhlen, Berge, wo er sakralen oder dämonischen Wesen begegnet. Sie verleihen ihm Kräfte oder machen ihn mit den Krankheiten vertraut, für die sie zuständig sind.
- Sein Körper wird auseinandergenommen, zerstückelt, gekocht, Teil für Teil durch Besseres und magisch Befähigteres ausgetauscht, mit mystischen Substanzen, Bergkristallen oder Unsichtbarem (nur für Eingeweihte, andere Schamanen Sichtbarem) durchsetzt. Bewusstwerdung, meditative Freilegung des eigenen Skeletts ist eine wichtige Übung in der schamanischen Initiation.
- Manche Schamanen ereilt ein göttlicher Ruf; andere werden ausgewählt; andere gehen aus eigenem Karriere-Entschluss bei einem Schamanen in die Lehre. Aber nicht jeder, der will, kann Schamane werden; dass man dazu prädestiniert ist, erweist sich anhand diverser Prüfungen des Ertragens oder des Eintretens bestimmter Zufälle.
- Die Befähigung zu bestimmten Ekstasen ist Voraussetzung dafür, Schamane zu werden. Ein inneres Licht, eine innere Erleuchtung muss erlangt werden, die sich auch bei den Buddhisten, bei den Yogis, vielleicht sogar im Christentum findet. In dieser Erfahrung sieht Eliade etwas Urtümliches, Steinzeitliches. Der Ekstatiker glaubt sich plötzlich sehend, wo er vorher blind war; sieht Helligkeit, wo es vorher dunkel; kann seinen Blick außerkörperlich und wie nach oben schnellend über die fernste Umwelt streifen lassen.
- "Die Erlangung der Schamanenkraft":
- Eliade verfährt zuweilen recht auffällig nach der Art "das und das weicht von dem Muster, das ich erkennen will ab, aber darauf näher einzugehen wäre sowieso langweilig, oder es wird sicher durch nachträgliche Beeinflussung hinzugekommen sein, bzw. dass es da ist zeigt ja nur dass es als Rechtfertigung für das Abwesende erfunden werden musste."
- Schamanen-Mythen unterstellen einen Niedergang der Schamanenkunst: mit Generation zu Generation nimmt die Kraft ab. Die ersten Schamanen konnten noch wahrhaftig körperlich und für jedermann sichtbar fliegen; die heutigen tun das nur noch symbolisch oder im Traume.
- Schamanen-Mythen über die alten Ursprünge der Schamanen-Kunst, gebracht zum Beispiel durch göttlich entsandte Tiere (gern: Adler) oder Feen. Wie der Schatten dieser Ursprünge durch z.B. das Sehen eines Adlers ein Zeichen für die Erwähltheit zum Schamanen darstellt.
- Das weibliche Element in Erzählungen über die Schaffung oder Erlangung des Schamanismus oft so machtvoll und hilfreich wie gefährlich. Die Frau hilft dem Helden, aber sie droht auch, ihn an sich zu binden und beim weiteren Aufsteigen zu behindern. Eliade wittert vielerorts, bis hin zu Odysseus und Kalypso, Reste matriarchaler Kulte, gegen die patriarchale Kulte aufbegehrten.
- Geister, Ahnen, Geister-Tiere -- der Schamane ist nicht so sehr ihr Gefäß, als dass er sich sie viel mehr als "mystische Organe" hält, in die er sich nach Bedarf verwandelt, sie durch sich channelt, sich von ihnen in ferne Gegenden tragen lässt.
- Jeder Indianer hat sein geisterhaftes Schutztier. Der Schamane unterscheidet sich von ihm dadurch, dass er besondere Geister und Geistersprachen beherrscht. Für den Schamanen sind die "mystischen Organe" ein Mittel, um seinen BewusstseinsZustand zu switchen. Jede Verwandlung in eines seiner Tiere, jedes Übertreten in den Kommunikationsraum mit den Ahnen oder der Geister, ist ein weiterer kleiner Tod mit anschließend veränderter Wiedererweckung analog dem, der die Initiation zum Schamanen bedeutet.
- "Die schamanische Initiation":
- Es geht um die Rituale schamanischer Initiation, die die vorhergehende Entwicklung quasi offiziell bestätigen. Darum sind es oft auch soziale Events mit vielen Zeugen, Festivität drumrum usw.
- Für Eliade taucht dabei überall immer wieder eine Form des symbolischen oder konkreten Aufstiegs in den Himmel auf. Es wird viel auf Bäume erklettert, viele Stufen werden erklommen, es wird hochgeseilt usw., und im Aufstieg, oder beim Balancieren auf hochgespannten Seilen, findet sich dann, vielleicht mit Hilfe von Drogen, Ekstase.
- Anschlussfähigkeit mancher asiatisch-amerikanisch-ozeanischer Rituale ans Indogermanische, Iranische. Bemerkenswerte Ähnlichkeiten zur Initiation im antiken Mithras-Kult.
- In den Himmel für den Kontakt mit den Göttern. Die Schamanen erleben die Himmelfahrt und das Göttliche, als Ekstase weniger Auserwählter; gleichzeitig aber immer wieder die Erzählung darüber, dass dieser Kontakt und diese Himmelsnähe früher stärker verbreitet war und den Schamanen immerzu gegeben, nicht nur in besonderen Momenten. Analog sehnen sich die Aboriginees in die Traumzeit zurück. Vergleiche Julian Jaynes und seinen Bikameralismus für eine frühgeschichtliche These hierzu.
- "Die Symbolik der Schamanentracht und -trommel":
- Auch die Kleidung dient als Markierung und damit Bereitung eines anderen BewusstseinsZustandes. Das An- und Ablegen ritueller Kleidungsstücke ist von psychischer Bedeutung.
- Die Kleidung verwandelt. Die Kleidung soll eine TierGestalt geben und verleiht so die Fähigkeiten dieses Tieres. Federn verleihen die Gabe des Fliegens. Das allgemeine Prinzip: Die Maske oder auch nur die Abbildung von etwas sich aufzusetzen, macht mich zum Gefäß z.B. dieses Ahnen oder dieser Fähigkeiten.
- Ebenfalls gern abgebildet oder angebracht in der Schamanen-Kluft: das Skelett. Vielleicht menschlich, vielleicht Adler, vielleicht beides. Gemahnt an den Skelettierungs-Kult in der Initiation, und die Meditation zur Bewusstwerdung des eigenen Skelettes. Eliade holt auf zu langen Geschichten über den global auftauchenden Glauben daran, dass aus dem Skelett, dieser endgültigen Reduktion des Körpers, das Lebewesen neu erwachsen könne.
- Unter den Utensilien des Schamanen gern ein MusikInstrument, vor allem die hypnotische Trommel. Wichtig, aus welchem Holz sie gebaut ist: in Nord- und Zentral-Asien oft aus dem des WeltenBaumes, der im Zentrum der Erde steht; bzw. Bäumen, die zu Manifestationen eben diesen geweiht werden. Das Trommeln versetzt den Schamanen in einen Zustand, wo er die Geister zu sehen glaubt, oder ins Fliegen bzw. außerkörpliche Reisen zu geraten.
- "Der Schamanismus Zentral- und Nordasiens: Auffahrt in den Himmel, Abstieg in die Unterwelt":
- Die Rolle des Schamanen ist nicht einfach eine priesterliche. Symbolische Rituale, Opferungen usw. bedürfen seiner oft nicht; gebraucht wird er, wo es um den ekstatischen, erkennenden, dialogischen Kontakt mit den Geistern und Göttern und Seelen geht.
- Durch seine Initiation und seine Veranlagungen ist der Schamane nämlich derjenige, der die Reisen in die Ober- und UnterWelt und die Konfrontation mit den übernatürlichen Wesen ertragen, überstehen, kontrolliert bestreiten, meistern kann. Ein Tier opfern oder so Krams kann dagegen jeder.
- Die Differenz zwischen "weißen" und "schwarzen Schamanen" ist die zwischen dem Kontakt mit den Ober- und UnterWelt-Geistern/Göttern. Kein unbedingt moralischer, gerade dann aber wahrscheinlich aus dem Iran (dem Eliade eh jedes Gut-Böse-Schema zuzuschreiben scheint) eingeführter Dualismus. Statt "gut" sind die OberWelt-Götter eher über-den-Dingen-stehend, am Menschlichen sogar desinteressiert. Die UnterWelt-Götter sind bodenständiger, interessieren sich mehr für menschliche Belange und teilen oft auch menschliche Verfehlungen.
- Wo konkret von abgehoben-abstrakten HimmelsGöttern geredet wird, substituieren sie oft frühere atmosphärische Götter, die noch sehr viel konkreter solche der Fruchtbarkeit des Landes (ich denke mir: des Regens, des Wetters) waren. Der Himmel, der hier verehrt wird, entfernt sich immer weiter in die Höhe.
- In den schamanischen Reise-Ritualen werden Ober- und UnterWelt in mehreren Stufen erklommen. Reise-Etappen werden zurückgelegt (oft mit Hilfe mythischer HilfsTiere), über abenteuerliche Geographien, Brücken, Berge, Wüsten. Es gab Versuche, die Reise-Beschreibungen auf reale Geographie zu mappen, um bspw. nachzuweisen, dass die Schamanen von fernen indischen Tempeln träumen bzw. sich durch Ahnen-Überlieferung an diese erinnern, aber wahrscheinlich ist wohl, dass Sibirien und Indien direkt ihre Traum-Landschaften austauschten.
- Der Schamane berichtet nach der Rückkehr von seinen Reisen (z.B. zur Begleitung der Toten in die Unterwelt) von seinen Erkenntnissen und Ansichten (oder bereits währenddessen), bringt vielleicht sogar Geschenke mit.
- In der AndersWelt ist alles verkehrt herum. Ist im Diesseits Winter, ist im Jenseits Sommer; was hier kaputt geht, wird dort ganz; hier Tag, dort Nacht; usw.
- "Der Schamanismus Zentral- und Nordasiens: Magische Heilungen. Der Schamane als Seelengeleiter":
- Man glaubt daran, dass der Mensch mehrere, oft: drei, Seelen besitze, die nach dem Tode unterschiedliche Wege gehen (eine nach oben, eine nach unten, eine bleibt begraben oder wird aufgefressen ...). Krankheit wiederum hat zu tun mit der Entführung, dem Verloren-Gehen einer dieser Seelen. Der heilende Schamane hat seine Aufgabe darin, diese Seele aufzuspüren (bzw. erstmal rauszufinden, welche überhaupt fehlt) und wieder heim zu bringen. (Anderes KrankheitsModell: böse Geister, vertreiben!)
- Schamanische Aufgabe besteht ja oft im Abstieg in die Unterwelt. Eliade deutet Verbindungslinien zu den Orpheus-Erzählungen an.
- Dass es auch (neben Schamaninnen) die Schamanen-Rolle der Verweiblichung gibt -- ein Mann wird zum Schamanen und verwandelt sich dafür rituell, in bestimmten Funktionen, in eine Frau, heiratet vielleicht sogar einen Mann -- ist für Eliade ein weiterer Hinweis auf frühere matriarchale Kulte.
- Hausschamanismus -- jede Familie praktiziert selbst Schamanismus, trommelt für sich usw. -- ist für Eliade ein bloßes inkompetentes NachÄffen eines eigentlichen Spezialisten-Schamanismus, der im Niedergang begriffen ist. Auch sonst, vor allem wo er über die Tschuktschen schreibt: die wahre Ekstase wird immer weiter verdrängt von der gespielten, Zaubertricks substituieren Trips, die sowieso nur noch mit DrogenHilfe erreicht werden.
- Der Schamane, der hoch hinaus will, macht das deutlich, indem er versucht, ganz weit nach oben zu hüpfen. (Er landet am Ende natürlich immer wieder auf dem Boden, aber das scheint niemanden zu stören.)
- "Schamanismus und Kosmologie":
- Zentral und archaisch die Vorstellung, das wir in der mittleren dreier übereinander liegenden Welten leben; Ober- und Unter-Welt sind über eine mittlere Achse miteinander verbunden, über die man hinauf und hinab steigen kann. Diese Achse kann die Form einer Säule, eines Baumes, eines Berges annehmen.
- Diese VorstellungsWelt entlehnt sich der Beobachtung des Himmels und des PolarSterns und wird gespiegelt noch in der Architektur des WohnHauses. Bei den nord-/zentral-asiatischen Völkern ist der Himmel wie die ZeltPlane bzw. umgekehrt, sind die Sterne LuftLöcher, der PolarStern der mittlere Pfeiler oder das RauchLoch; und die Winde kommen daher, dass an den Seiten der Himmel unten durchlässig ist.
- Archaisch verbreitet wohl auch die Vorstellung, dass früher der Auf- und Abstieg zwischen den Welten leichter, vielen zugänglich war und jetzt, und selbst da mit absteigendem Vermögen, nur noch Spezialisten, Schamanen.
- Eliades ewige Suche nach den Urformen bzw. ihren Verwässerungen/Überlagerungen durch höher entwickelte Kulturen. Archaische ZahlenMystik: die 3, entsprechend den drei archaischen Ebenen, und darüber die 9, die ja nur die Vervielfältigung der 3 über sich selbst ist. Ansonsten: Übeltäter Indien, Orient, z.B. für die wichtige Rolle der 7, die der mesopotamischen Katalogisierung der 7 Planeten folgen müsse.
- Ausweitung, Abgleich der erörterten kosmologischen Mythen mit denen Ozeaniens. Wo es nicht passt: indische Einflüsse.
- "Der Schamanismus in Nord- und Südamerika":
- Hier interessiert vor allem die Frage über die Verwandtschaft der Traditionen mit Eurasien und Ozeanien, ob und was wann von wo rüberschwappte oder beeinflusst wurde. Eliade führt auch einige zeitgenössische Theorien über Siedlungs- und KulturAustausch-Bewegungen an, wobei es bei ihm manches auch nicht nur über die BeringStraße, sondern ebenso über die Antarktis und sogar Skandinavien gelaufen sein könnte.
- Große Parallelen: Der Schamane (in gleicher Weise ausgewählt und initiiert) betreibt ekstatische Reisen nach oben und unten (bei den Eskimos auch ins Meer), fängt dabei verloren gegangene Seelen wieder ein, aktiviert seine "mystischen Organe" (HilfsGeister) im Aufspüren der KrankHeitsUrsachen, entfernt magische Gegenstände aus den Körpern, wird allsehend gegenüber der Welt und den NaturVorgängen, hält ZwieGespräch mit den Göttern über das Schicksal der Gemeinschaft, usw. usf.
- Jedoch, die Aufgaben und Fähigkeiten des Schamanen wirken hier zuweilen nicht ganz so exklusiv abgegrenzt und definiert gegenüber dem Rest der Gemeinschaft. Eliade attestiert den Menschen hier eine bloß quantitative Differenzierung im Besitz des Sakralen, und er erzählt von GeheimGesellschaften und mystischen Sekten, die sich das schamanische Können anzueignen und anti-elitär einer Vielheit statt nur wenigen Experten zugänglich zu machen versuchen, gegen EintrittsGeld bloß oder sogar bekehrend.
- Wie die anderen Schamanen-Kulturen glauben auch die Amerikaner daran, dass früher die Verbindung zum Sakralen, das schamanische Können dichter und breiter verteilt war, seit Jahrtausenden der Degeneration unterliegt. In den mystischen Sekten allerdings, den Shakern, dem Ghost Dance, den GeheimGesellschaften, schwingt der Versuch mit, der Glaube an die Möglichkeit/Aufgabe, diesen alten Zustand wieder zurück zu bringen. Einflüsse von christlichen Millenarismus.
- Die Schwierigkeiten, die der Schamane in seinen ekstatischen Reisen überwinden muss, das Durchqueren dürrer Ritzen oder Überschreiten Faden-breiter Brücken usw., beweisen seine unmenschliche GeisterHaftigkeit bzw. seine Fähigkeit zu dieser.
- "Schamanismus in Südostasien und Ozeanien":
- Hier sind die kulturellen Einflüsse aus allen (und vor allem höher-entwickelten) Richtungen zahlreich und wirr einander überlagernd, weshalb keine SchamanenKultur in Reinform durchscheint; sehr wohl aber viele Spuren einer solchen pervertiert oder zweckentfremdet aus dem Boden zu ragen scheinen: orphische Erzählungen, Krankheit als SeelenFlucht, nachgespielte Ekstasen.
- Verbreitete GeschlechterMagie: Verweiblichung der Schamanen, Vergöttlichung der Hermaphroditen. Wo das männliche und das weibliche Prinzip sich verschmelzen, da ist die Zusammenführung von Himmel und Erde.
- In Polynesien ist Besessenheit eine so weit verbreitete KulturTechnik, dass die Ekstase geradezu profanisiert. Eliade wird nicht müde, zu betonen, dass Besessenheit und schamanische Ekstase zwei verschiedene Paar Schuhe sind: Der Schamane kontrolliert, beherrscht und unterhält sich mit den Geistern auf AugenHöhe; der Besessene verliert jede Kontrolle an den Geist.
- Endlich mal was mit MenschenOpfern! Ein Kind wird geopfert, um einen ZauberStab zu weihen.
- FeuerMystizismus. Über glühende Kohlen zu gehen oder sie in den Mund zu nehmen, die Auflösung der Leiche im Feuer auf dass im Rauch ihre Seele in den Himmel aufsteige, die schamanische Beherrschung des Feuers, all das ist für Eliade Teil einer archaischen Sakralität des Feuers.
- "Schamanische Lehren und Techniken bei den Indogermanen":
- Am Besten passen noch die alten Norden/Skandinaven/Germanen ins Schamanen-Raster mit ihren Mythen, Odin, Yggdrasil usw. Quasi erweitertes Sibirien.
- Bei den antiken Griechen ist dagegen alles eher orientalisch überlagert. Es gibt vereinzelte schamanische Figuren. Die Sage von Orpheus ist reich an schamanischen Standards, aber der orphische Kult schon nicht mehr. Apollon passt eher als Dionysus. Nicht überall, wo Rausch ist, ist schon Schamanismus. Die Völker ihnen zum Norden scheinen noch stärkere schamanische Spuren zu haben.
- Weiter nach Osten, Iran und Indien, gibt es dann auch ein reges Ausstrahlen der dortigen HochKulturen auf den asiatischen Schamanismus weiter oben. Hier gibt es komplexe Ekstase-Kulturen, die aber schon weit über den Schamanismus hinaus verweisen (Yoga zum Beispiel), mit ihm aber teilweise die ekstatischen Bilder teilen (vor allem das Fliegen).
- "Gifte" / Hanf findet aus diesem KulturRaum Eingang in den Schamanismus. Aber es gilt immer schon als HilfsMittel für geschwächte, degenerierte Ekstase-Technik. Die "reine" Ekstase ist das Produkt harter Arbeit und Entbehrungen, nicht von Chemie.
- "Schamanische Symbolismen und Techniken in Tibet und China":
- Verbindungen zwischen schamanischen Praktiken und Fakir-Tricks. Vor allem der "rope trick" hat es ihm angetan, und zwar in seiner elaborierten Form, wo nicht nur das Seil mit dem Menschen in die Höhe steigt, sondern auch nach und nach seine Körper-Teile runter-purzeln. Im Seil sieht Eliade die im schamanischen Glauben verbreitete vertikale Aufstiegs-Verbindung von Erde zu Himmel-Reich, die zentrale Axis mundi, und in die Körper-Zerstückelung passt zu den diversen schamanischen Initiations-Riten.
- Im ganzen untersuchten Kultur-Raum rege Vermengungen mit schamanischen Formen, die oftmals der später dominanten Kultur voran gegangen oder sich auch seitlich hinein gemischt zu haben scheinen, jedenfalls immer gut assimiliert und umgedeutet wurden. Immer wieder die Andeutung, dass auch das Schamanische nicht das Älteste hier oder da war.
- In China scheint dem Konfuzianismus eine um die wu-Schamaninnen zentrierte Kultur voran-gegangen zu sein, und schamanische Fähigkeiten, die Ekstase, das Fliegen, müssen sich die frühen männlichen Kaiser noch als Beweis ihrer Macht an-eignen, vielleicht in Behauptung gegen ein früheres Matriarchat. Viele Erzählungen von fliegerischem Können und Flug-Wettkämpfen; ich fühle mich sehr ans Genre des chinesischen Flattertuch-Films erinnert, und vielleicht passt das sogar zusammen.
- Der bear ceremonialism, das Tragen des Bären-Fells als Verwandlung in einen Bär, sich wie ein Bär bewegen, das ist: das Mensch-Sein abstreifen und so zu einem ekstatischen und/oder natürlichen Ur-Zustand zurück-finden.
- "Analoge Mythen, Symbole und Riten":
- Tier-Mythologien: der Hund, der die Unterwelt bewacht; das Pferd, das auf mystischen Reisen begleitet und als magisch gekennzeichnet ist, weil es keinen Kopf hat oder acht Beine.
- Auch der Schmied ist ein Meister des Feuers (jener sakralen Kraft, die den Körper in die Seele und Stoff A in Stoff B verwandelt) und deshalb gefürchtet oder geachtet; vielleicht sogar stärker als der Schamane. Sein Handeln ist genauso rituell aufgeladen, heilig.
- Die "magische Hitze" ist eine Fortsetzung des Feuer-Kults. Der Schamane, oder der Held, oder der Zauberer beweist seine magische Kraft durch seine innere Hitze, sein inneres Feuer; unter den Eskimos beweist er sich durch das Ertragen äußerster Kälte (sein Inneres wärmt ihn), und anderswo beweist er sich durch das Ertragen äußerster Hitze (vielleicht, weil er ja nicht mehr profan ist, und deshalb nicht mehr im Gegensatz zum Feuer?). Wer Feuer machen kann, wer Feuer speiht, wer Feuer erträgt, der ist magisch.
- "Magischer Flug": fliegen zu können, ob mit Körper oder nur Seele, auf jeden Fall in großer Leichtigkeit, Freiheit. Es verkündet die Erhebung gegenüber körperlich-irdischen Zwängen, die Autonomie der Seele, der Intelligenz. Eng verwandt dem Seelen-Glauben.
- In illo tempore ist durchweg Eliades Phrase zur Bezeichnung des paradiesischen UrZustandes, als das Profane und das Heilige noch nicht getrennt waren. Die Gegenwart der Schamanen aber ist geprägt von dieser Trennung, die nur noch unter Mühen und für Wenige überwindbar ist. Glücklich der, der sie im Tod schafft, der an sich als EinBahnStraße mit strenger EinlassPrüfung (das Aussondern der Unwürdigen in die UnterWelt) aber auch schon die Trennung markiert. Ohne diese Trennung auch kein Tod als LebensZäsur.
- Das die Überwindung der Trennung zum Sakralen nur Privilegierten offen steht, ist auch ablesbar daran, dass in vielen alten Kulten nur bei Ausgewählten erwartet wird, dass die Seelen horizontal nach oben steigen, für die meisten dagegen der Weg horizontal (eben über die prüfende Brücke) oder straight nach unten führt.
- "Schlussbetrachtungen":
- Der zentral- und nordAsiatische Schamanismus ist in seiner überlieferten Form nicht urtümlich, sondern rege beeinflusst, zuerst mesopotamisch-iranisch, später buddhistisch-lamaistisch.
- In der Ekstase allerdings glaubt Eliade ein Ur-Element, sowieso: eine Art anthropologischer religiöser Konstante, die auch in den vorgefundenen Schamanen-Kulturen immer schon da war und halt mit den anderen Einflüssen gekreuzt wurde.
- Zuerst, so Eliade, müsste wohl gewesen sein der Glaube an ein höchstes (wortwörtlich: dem Himmel zugeordnetes oder gleichgesetztes) Wesen, wie es sich überall als Urform fände; und die Ekstase als Mittel, hinauf dorthin zu fahren. Und der Rest, das ganze Gewese um Geister und Dämonen und UnterGötter, kam später hinzu, vielleicht noch nach einer matriarchalen ZwischenStufe.
"Nicht die GeistesKrankheit macht dich zum Schamanen, sondern, dass du sie meisterst, steuerbar, bei Bedarf abrufbar machst"
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