RadicalHonesty

Buch: Brad Blanton, "Radical Honesty: How to Transform Your Life By Telling the Truth" / 1994/2004. Ein ziemliches Schwafel-Werk. Ich hatte mir ein bisschen Substanz zu Ehrlichkeits-Strategien erhofft (für Post-Privacy-Kontexte), aber außer einigen erbaulichen Sätzen bietet es vor allem Bewusstseins-Strom des Autors, der seine Lieblings-Gedichte zitiert und gelegentlich das Buchen seiner Therapien empfiehlt.

Lektüre-Notizen:

• Einführung:
  • Wer lügt und Geheimnisse bewahrt, versagt sich eine volle Teilnahme am Leben, macht sich zum Sklaven von Peinlichkeits-Gefühlen und Moral, ist befangen in Sorge über das Urteil der Welt und die Sicherung seines Ich-Bildes.
  • Das Kind erfährt und lernt, bildet Theorien. Je älter wir werden, desto mehr nehmen diese Theorien, Konzepte uns gefangen, engen unseren Erfahrungs-Horizont ein (filtern ihn vor), ordnen uns abstrakten Prinzipien der Vergangenheit und unserer "Identität" unter. Aber die Wirklichkeit ist im Gegensatz zu diesen sich selbst verfestigenden Theorien in stetem Wandel, und so scheitern sie an ihr und bringen uns als Lebens-Anleitungen Unzufriedenheit, Elend, Tod.
  • Lerne also, dich immer wieder von deinem angesammelten, angelernten Geist frei zu machen, die Welt frisch neu unvorurteilig zu erfahren, dich von alten Normen abzulösen, dich neu zu erfinden. Blanton verspricht, fordert den immer neuen Sturz aus der Normalität in die Abnormalität als Rezept für ein erfülltes Leben.
  • Predigt der Selbst-Verantwortlichkeit fürs eigene Glück. Rege dich nicht über die Fehlerhaftigkeit oder Bösartigkeit der Anderen auf, das bringt dir nix.
  • Ein bisschen Bezug auf Nietzsche, viele Schimpfwörter.
• Teil 1: "The Being":
  • "Moralism":
    • Moralismus, das ist: die Ideologien, die uns gefangen nehmen, sobald wir, ab Kindheit, beginnen, aus unseren Erfahrungen Muster und aus den Mustern Erzählungen zu bilden. Grundmacht menschlicher Intelligenz, Kultur, aber auch Stolperstein, Todesmarsch, wenn wir es nicht bändigen: Die Frustration zwischen Wirklichkeit und Moralismus erzeugt das Lügen, damit wir die Prinzipien trotz ihrer Dissonanz zur Erfahrung beizubehalten vortäuschen können, Dritten genauso wie wohl auch uns selbst.
    • Lasse dich nicht überwältigen, entmannen von deinen Prinzipien/Moralismen/Erzählungen, weise sie in die Schranken, "manage" deinen Moralismus, wetze ihn immer wieder ab an der Erfahrung, eben: der Wirklichkeit. Das ist die Ehrlichkeit.
    • Natürlich ist auch dieses Buch Moralismus, und wer den Autor verformelt, unterwirft sich damit erneut der Lüge.
    • Genug Menschen sehnen sich nach Prinzipien, nach Unselbständigkeit. Der Patient, der zum Psychotherapeuten geht, damit der ihm als autoritäre Anweisung sagt, was der Patient zwar selber schon weiß, aber nicht ohne die Anweisung einer äußeren Autorität ausführen will. Moral verspricht Sicherheit.
  • "The First Truth"
    • Im Mutterleib die Erfahrung der Erfahrung, das Eins-Sein mit der Welt, unser unverbildeter Urzustand, nach dem es uns den Rest unseres Lebens sehnt. Hiervon zehrt die Religion, die Mystik, indem sie versucht, es zu verbalisieren, und daraus doch nur neue Moralismen baut, die uns verwesen. Autor selbst verfängt sich bei der Darlegung in viel NewAge-MumboJumbo und verweist auf seine Meditations-Künste.
    • Das Lernen, das Erinnern, das Verfestigen einer von der Welt abgegrenzten Persönlichkeit, das ist die Abstraktion vom EinsSein und zugleich der Pfad in den Tod. Freiheit und Persönlichkeit, dieses Gefängnis, sind unvereinbar, außer vielleicht für ganz wenige Weise.
• Teil 2: "The Mind":
  • "The Being Becomes Dominated by the Mind":
    • Wie man Kindern Moral anerzieht: Indem man sie lehrt, ihren durch Unterdrückung provozierten Hass durch "das Richtige vs. das Falsche" zu rationalisieren.
    • Gut sind die Menschen, die in ihrer Morallosigkeit nüchtern sind. Schlecht sind die Menschen mit moralischem Eifer.
  • "Levels of Telling the Truth":
    • Drei Stufen zur Radikalen Ehrlichkeit. Sie belohnen dich mit Orgasmen, Ablösung von Kräfte-zehrenden Ängsten und Schauspiel-Aufgaben, einem unverstellteren Blick auf die Schwächen und Masken auch der Anderen (und dahinter) und unmittelbarerer-unverbildeterer Erfahrung, mehr Distanz zum "Selbst" (also, der Persönlichkeit, die du dir angelernt hast). Wer nicht mehr ständig introspektiv sein eigenes Ich aufrecht zu erhalten versucht, kann seinen Blick endlich den Anderen zuwenden.
    • Erste Stufe: Erzähle Leuten, was du bisher vor ihnen geheimgehalten hast. Also zum Beispiel, damals in die Hühnersuppe gepinkelt zu haben (sic). Zweite Stufe: Lerne, dein gegenwärtiges Empfinden ehrlich mitzuteilen, statt nur in geplanter und manipulativer Form zu kommunizieren. Haste am Ende mehr von. Dritte Stufe: Distanziere dich von deiner Persönlichkeit, lege ihre Muster kritisch und belustigend offen, werde davon losgelöst ganz Hier und Jetzt.
    • Liebe und Vertrauen, aber auch Mut sind nicht Voraussetzung für Ehrlichkeit, sondern umgekehrt. Ehrlichkeit ist für das Subjekt willentlich leistbar, Liebe und Vertrauen und Mut dagegen passieren ihm oder nicht. (Aber Ehrlichkeit ist ein gutes Mittel, um beim Subjekt gegenüber Vertrauen zu provozieren.)
    • Ganz im Zustand des Hier und Jetzt bleibt man nie, man stürzt, und sei es aus Stolz über die gegenwärtige neue Form, immer wieder in eine Identitäts-Verkrustung zurück. Man muss die ständige Wiedergeburt eben üben, und man kann nicht festnageln, was sich dadurch definiert, dass es das Nicht-Festgenagelte ist.
• Teil 3: "Liberation of the Being from its Mind":
  • "Being Abnormally Honest":
    • Ehrlich gesagt (höhöhö) schwadroniert mir der Autor regelmäßig zuviel (hier zum Beispiel über Poesie und Sonnen-Aufgänge) und findet zu selten zum Punkt, bleibt zu einer klaren Sprache unfähig. (Man kann hier bestimmt gut Sennett anführen: Wer sich um Authentizität bemüht, findet nicht zur Kommunikation, nur zum Narzissmus.)
    • Das Sein ist ehrlich-deskriptiv, der Geist lügnerisch-wertend. Der Unterschied liegt nicht im Abstraktions-Grad: Keine Beschreibung kommt ja ohne die Abstraktionen der Sprache aus. Im ersten Fall aber nutzt man die Abstraktion nur instrumentell und Ergebnis-offen, im zweiten gibt die Abstraktion die Aussage-Möglichkeiten, das Ergebnis vor.
    • Das Ausruhen in den Abstraktionen, Moralismen bringt ein Sicherheits-Gefühl. Die Ergebnis-Offenheit der ehrlichen Beschreibung bringt Überraschung, Aufregung. Das moralistische Sicherheits-Gefühl verführt in Sackgassen und Selbstbetrug, die Aufregung der Ehrlichkeit dagegen bringt mir immer neue Perspektiven und Lösungs-Chancen.
    • Höflichkeit ist eine moralistisch-wertende Abstraktion unserer Ausdrucks- und Ehrlichkeits-Möglichkeiten, eine manipulative Strategie, die Reaktion, das Empfinden der Anderen zu steuern durch Ausschmückung oder Vorenthaltung in unseren Aussagen. Manipulation ist Lüge, Höflichkeit ist Lüge.
  • "Taboos Against Excitement":
    • Dass wir unsere Aufregungen als Unsicherheits-Faktor fürchten, führt dazu, dass wir sie in selbst-schädigendes Verhalten sublimieren oder aber abstrahieren zu etwas, was dann später in Hass-Ideologien gegen Volksgruppen oder so umschlägt.
    • Die Erzählung von der sexuellen Repression im Viktorionismus und dem Resultat Neurosen und Psychoanalyse. Gut, dass ich grade Foucault dazu lese!
  • "How to Deal with Anger":
    • Um Wut Richtung Gleichgültigkeit oder Vergebung zu überwinden, muss man sich ihrer erstmal bewusst werden und sie in Konfrontation mit dem Objekt der Wut ausleben.
    • Wut ist eine Emotion und daher nicht rational; sie auszuleben, bedeutet also, auf Rationalisierungen / Vernunft-Polster wie Fairness, Konstruktivität oder auch Rechthaberei zu verzichten. Wer seine Wut zu rationalisieren versucht, verfängt sich ganz schnell wieder im ideologischen Gefängnis, statt sich von einem Gefängnis freizumachen.
    • Gerade die absurden Wut-Anlässe sollten offen ausgesprochen -- damit (wozu ich allein nicht fähig bin) im Zwiegespräch sie in ihrer Absurdität konfrontiert und dekonstruiert werden können. Gerade das, was bescheuert ist, gehört ausgesprochen statt verinnerlicht, damit es sich nicht unwidersprochen in deinem Geiste verfestigt.
  • "Telling the Truth in a Couple":
    • Paare sollten voreinander detailliert ihren Sex-Spaß beim Fremdgehen ausbreiten und voreinander zur Demonstration ihrer sexuellen Selbstbestimmtheit masturbieren. Dann wird es eine erfolgreiche Beziehung!
  • "Psychotherapy: The Journey from Moralism to Telling the Truth":
    • Weil Blanton nichts vom Geist und seinen Moralismen hält, therapiert er in seinen Sitzungen vor allem auch den Körper, verachtet die Sprach-fokussierte Therapie und tiefenpsychologische Theorien. Treib Sport! Mens sana in corpore sano.
• Teil 4: "Things Learned From the War Between Being and Mind":
  • "About Change":
    • Willst du dir verwandeln, und es ist ein Kampf? Viel Übernimm-Verantwortung-Bla. Werde aktiv in deiner Behinderung, statt passiv als Erleider. Embrace die Eigenschaften, die dich runterziehen, erkenne sie als die deinen, statt fremde. Dann, irgendwie, hast du erst die Freiheit, sie zu überwinden. Sei eins statt mehrere.
  • "The Truth Changes":
    • Yoga eignet sich hervorragend, um die Ablenkungen durch den Geist abzuschalten.
    • Ein Selbstbild zu haben, stinkt. Es gibt dir Prinzipien, Regeln, Muster, eine Schablone vor, die deine Freiheit im Erfahren, Denken, Handeln einschränkt.
  • "The Song of the Blue Unicorn":
    • Durch das ganze Buch weg verfällt Blanton, wenn ihm seine hilflosen Worte ganz ausgehen, darauf, einfach fremder Leute Song-Texte, Roman-Passagen usw. in ansteigender Länge als poetische Hilfen abzudrucken. Hier nun das ganze Kapitel die Story vom Einhorn, das sein Lied zuerst bei den Anderen sucht, und es dann bei sich selbst findet, bluääääh.
  • "Freedom":
    • Boah, nee. Es wird immer schlimmer. Aphorismen und Allgemeinplätze auf Aphorismen und Allgemeinplätze, und konkret wird es dann nur, damit der Autor auf seine kommerziellen Angebote verweisen kann.
  • "The Final Lowdown":
    • Phrasen aus Phrasen, aufgebaut aus Großbuchstaben-Wörtern wie "Truth", "Self", "Mind", "Creation" in Manatee-Kombinationen. Endlose Wiederholungen der immergleichen Gedanken. Der Versuch eines Walt-Whitman-Gedichtes.
  • "Conclusion":
    • Worin Blanton das, was er zwischen Einleitung und hier nicht näher konkretisiert hat, erhebt zu einem Ansatz der Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, die Ausbreitung der "Radical Honesty" fordert und eine Kirche des "Futilitarismus" gründet, deren Erfolgsrezept liegen soll in der Akzeptanz der Nutzlosigkeit allen Bemühens.