Verweilen ist der Tod. Wenn ich merke, dass meine Aufmerksamkeit schwindet, weil mich die Passage langweilt, möge ich, wenn schon nicht aufgeben und ins Non-Lineare wechseln, mich doch zumindest durch stupides Vorwärtslesen durcharbeiten; denn wenn ich versuche, so lange neu anzusetzen, bis mich die Passage interessiert, werde ich für Stunden an hier hängen bleiben, irgendwann aufgeben und das Buch den Text gar nicht mehr weiterlesen; arbeite ich mich dagegen mit der Gewalt der Ignoranz durch die Passage durch, schließe ich früher oder später wieder zu Passagen auf, die mich mehr interessieren (oder stelle fest, dass das ganze Buch in dieser Situation Quatsch ist und breche es zurecht ab).
Unverstandenes aufheben für'n nächsten Durchgang. Im Lektüre-Kurs im Philosophie-Studium ähnliche Moral gelernt: Texte immer erstmal ganz stur von vorne bis hinten durcharbeiten, auch wenn man bestimmte Passagen nicht versteht; die Götter Hermeneutischer Zirkel und Gadamer usw. sorgen dafür, das aus dem Bisschen, was man in späteren Passagen dann wieder versteht, sich auch vorhergehende Passagen beim nächsten Lesefluss (denn natürlich möge man den Text immer wieder und wieder lesen, bis man ihn beherrscht, bis man in ihm schwimmen kann) besser erschließen.
Es gibt kein falsches Lesen. Es geht nicht immer um Nachvollzug und Verinnerlichung eines Arguments--genauso gut kann es auch um Abtasten und Einprägen und Analysieren von Metaphern, argumentativen Methoden, einem offen zur Schau gestellten Weltbild gehen. Es gibt mithin also keine klaren Kriterien, ob eine Lektüre-Einheit als erfolgreich oder unerfolgreich, erledigt oder unerledigt, befriedigend oder unbefriedigend abgehakt werden könne. Das muss spontan und kontextabhängig entschieden werden, entlang von Fragen wie: Dient das hier gerade als Ressource, oder wenigstens als Ablenkung, Unterhaltung? Ist ein Vergessen-dass-man-gerade-liest (in Gedanken abgleitend, deren Dringlichkeit ja durchaus oft gegeben und zugleich oftmals durch den Lektüre-Fluss selbst angestoßen ist) schon eine Verschwendung von Lesezeit?