Buch/AutoBiographie von Christopher Hitchens / 2010/2011.
Lektüre-Notizen:
- Vorwort:
- Der herannahende Tod, unmittelbar nach ErstAuflage des Buches diagnostiziert, und nun zum PaperPack noch wenige Monate entfernt. Knappe Lebens-Ratschläge eines sterbenden Mannes: Schiebe nie den Besuch eines Freundes auf.
- Wo doch jeder im Leben etwas beitragen soll zum Wohl der Menschheit, gibt er sich (ohne Hoffnung darauf, dass es ihm persönlich groß helfen werde) nun noch den Medizinern als Analyse-Objekt hin, um vielleicht einen winzigen Beitrag im Kampf gegen das Monstrum Krebs zu liefern.
- Keine Illusionen über die "Stoic or Socratic" Würde seines Sterbens; das wird kein stolzer Blick ins Auge des Todes, das weiß er jetzt schon. Er wirkt zufrieden damit, wie er sein Leben ausgefüllt hat. Er fühlt sich nach wie vor vom Glauben abgestoßen; jetzt mehr denn je, wo er alle Hoffnung in der wissenschaftlichen Medizin statt dem Gebet weiß.
- "Prologue with Premonitions":
- "Yvonne":
- Hitchens' Mutter: Traf seinen Vater während des Kriegs bei der Marine; Krypto-Jüdin mit ostpreußischen Wurzeln; ein bisschen Madame Bovary; Paar-Suizid im faschistischen Athen mit einem bipolaren Esoteriker; offene Fragen hierzu plagen Hitchens sein Leben lang.
- In Malta betet man streng katholisch zu "Allah", denn hier ist die Landessprache ein verwestlichtes Arabisch.
- "The Commander":
- "Fragments of an Education":
- Die jungen Jahre auf einem englischen Klischee-Internat / public school. Gängelung, Überwachung, Sadismus, Züchtigung, das Erwartbare. Ebenso: Einübung des Chauvinismus und Systems durch die Schüler; eine alles überziehende homosexuelle und sadomasochistische Spannung, Päderastie; nimmt Hitchens alles eher schulterzuckend.
- Denn: Ist doch interessant, kleine Studie des Faschismus; härtet ab, wenn man später seine Zeit in KriegsGebieten, Gefängnissen usw. verbringen wird; Hitchens rühmt sich, auf diese Weise schon früh ein Verständnis für FunktionsWeisen und PsychoTricks und Schwächen autoritärer Systeme und Charaktere entwickelt zu haben.
- Denn: Trotz aller Erniedrigung fühlte man sich an so einer public school privilegiert. Seine Eltern hatten ihn hergesteckt, um aus ihm einen altmodischen britisch-imperialistischen Gentleman zu machen -- für den sozialen Aufstieg der Familie. Zu schade, dass dieses IdealBild und seine Grundlagen zu dem ZeitPunkt zu bröckeln begannen.
- "Cambridge":
- "The Sixties: Revolution in the Revolution":
- "Chris or Christopher":
- Hitchens wurde von seinem linken Zirkel "Chris" genannt (was ihm nicht gefiel), und von seinem rechten "Christopher". Links wurde er als Agitator, rechts als Rhetoriker geschätzt, und versuchte, die Revolution der einen Seite wie den Hedonismus der anderen mitzuschleppen. Bei den Proto-Faschisten savoir vivre, ironische Lässigkeit und weitere Homosexualität.
- In Oxford viel ZusammenTreffen eminenter Köpfe organisiert, des Establishments, der (radikalen) Intellektuellen, der afrikanischen FreiheitsKämpfer, die später Minister in Diktaturen werden sollten. Frühe Erkenntnis, dass auch die Großen nur mit Wasser kochen und jenseits ihrer hoch-geübten Vorträge zuweilen ziemlich ignorant daher-kommen.
- Sexuelle StreifZüge mit dem späteren Establishment. Hitchens behauptet, in diesen Tagen HomoSex mit zwei späteren Angehörigen der Thatcher-Regierung gehabt zu haben, und zusammen mit Bill Clinton von einem LesbenPaar als FrauenKöder missbraucht worden zu sein.
- Hitchens hatte nicht viel mit Clinton zu tun, beäugte ihn aber wohl aus misstrauischer Distanz, weil er in ihm ähnlich wie in sich selbst einen Wandler zwischen den politischen Fraktionen sah, möglicherweise sogar einen CIA-Informanten. Oh, und sein späteres Bekenntnis, er habe "nicht inhaliert"? Konnte er auch nicht. Er bevorzugte die KeksForm.
- Die Luft, die globalen Ereignisse von 1968 waren ihrerzeit schwer anders zu deuten denn als aufkeimende WeltRevolution; nicht nur im Optimismus der Revoluzzer-Jugend, sondern auch in dem Maße, in dem das Establishment tatsächlich Angst davor bekam, sich aufs Schlimmste vorbereitete. Heute weiß Hitchens: Es war nicht Anfang, sondern Ende einer Revolutions-Tradition.
- "Havana or Prague":
- JungRevoluzzer-Reise nach Kuba, um zu prüfen, ob dort ein Links-kompatiblerer Gegen-Entwurf zum Stalinismus geübt würde. Anfangs gute Stimmung, aber düstere diktatorische VorZeichen häufen sich: Einschränkung der ReiseFreiheit usw. Schließlich: Als die Russen in Prag einmarschieren, gibt Fidel Castro die ParteiLinie pro-russisch vor.
- Hitchens trifft auf mehr desillusionierte Ex-Kommunisten. 1969 kommt. Kein Glaube mehr an Reform-Kommunismus; Stalin ist in Lenin prä-formuliert. Ach, alles scheiße: Amerika Nazis, Großbritannien Kollaborateure, Russen "Panzerkommunisten", Kuba angehende Diktatur, China genozidal. Hitchens wird stolz darauf, "Konter-Revolutionär" genannt zu werden.
- Schließlich das schlechte Gewissen, in einer public debate in Oxford das NiederBrüllen eines ideologischen Gegners (gut, auch eines RegierungsPolitikers) mit-organisiert zu haben. Der Anlass, Nixons Angriff auf Kambodscha, schien koscher genug; letzten Endes mag sich Hitchens den Angriff auf die RedeFreiheit aber nicht verzeihen.
- Ende der 60er, Anfang der 70er: Für Hitchens jener der Linken fatale Moment, wo die harte Revolutions-Arbeit, KlassenKampf, das Stürzen von Diktaturen usw. verdrängt wurde durch die Politik des Persönlichen: IdentitätsArbeit a la "Ich als Minderheit x" saugt alles progressive Potential ab; das Wer wird wichtiger als das Was.
- "The Fenton Factor":
- Genug mit dem oxfordischen StudentenLeben, Hitchens wird jetzt professioneller Schreiberling und geht dafür nach London. Auch hier kein NachLass an ZusammenTreffen mit großen Namen oder an Gelegenheiten für linksradikales Engagement auf der einen, Mingeln mit der hedonistischen Literaten-Schickeria auf der anderen Seite.
- Akquiriert für ein Interview Oswald Mosley. Nimmt sich fest vor, ihm nicht die Hand zu schütteln, nicht mehr als formal nötig freundlich zu sein. Failt darin grandios. Merkt, dass Mosley vor der Kamera ein populistisches ArschLoch ist, dahinter aber in einer Weise umgänglich, die verständlich macht, warum die High Society ihn so lange duldete.
- Sympathie mit dem labour movement, der Arbeiter-Solidarität, tendenziell internationalistisch, sozial-bewusst, die edelste Schicht, die eigentlichen Helden statt der Upper-Class-Hierarchie; zugleich Verachtung für die labour party, reaktionär versteinerte Apparatschiks, Bürokratie.
- Der Brite muss gar nicht in die Ferne schweifen, wenn er Krieg erleben will; für Hitchens genügt journalistische Residenz in Nord-Irland, um sowas "im eigenen Land" zu erleben. Erste direkte Kontakte mit TodesDrohung, eigenes MitErleben von Terror-Attentaten, BesatzerMachtGehabe genauso wie mafiöser Rebellen-Sektiererei.
- Erfahrung, unter den gemeinen Arbeitern und FußSoldaten fände man vielleicht Versöhnungs- oder Verständigungs-Willen, nicht aber bei den Apparatschiks, die für den FriedensProzess eigentlich verantwortlich gemacht werden; es ist in ihrem Interesse, Konflikte am Lodern zu halten, die ihnen ihre politische Bedeutung sichern.
- Die Schilderung homosexueller Eskapaden dünnt nicht aus, auch wenn Hitchens sie jetzt nur noch beobachtet oder erzählt bekommt statt an ihnen selbst zu partizipieren. Z.B. die StrichJungen-ArbeitsTeilung von Gore Vidal und Tom Driberg.
- "Martin":
- Die Beziehung zu Martin Amis und seinem Vater Kingsley Amis. Nun eine ganz und gar heterosexuelle Beziehung (Hitchens schreibt, er sei inzwischen so hässlich gealtert, dass sich nur noch Frauen für ihn interessierten); beide verbringen viel Zeit damit, brüderlich über Frauen zu sexualisieren. In einer Anekdote nötigt Amis Hitchens, mit ihm zu BuchRechercheZwecken ein unerfreuliches Bordell aufzusuchen, um sich dort von der arrogantesten Dienstleisterin bei PreisVerhandlung demütigen zu lassen.
- Hitchens wird Teil eines Londoner LiteraturKritiker-StammTischs mit eminenten Persönlichkeiten, aber die meiste Zeit scheinen sie nur ermüdende anstößige WortSpiele gemacht zu haben; Hitchens bestreitet irgendeine verschwörerische Funktion der Institution. Etwas dröge: die diversen Schwärmereien Hitchens' für die Feinsinnigkeit der WortWitze dieser oder jener Person, mit Beispielen, die oft wenig von seiner Begeisterung nachvollziehbar machen.
- Tendenzen nach rechts bei Hitchens und seinem Milieu; Britannien in desaströsem Zustand und Labor keine ZukunftsHoffnung, also warum nicht mal die Rechten? Hitchens nennt die aufstrebende (noch nicht regierende) Maggie Thatcher in einem ZeitungsArtikel sexy, auch wenn er mit vielem ihrer Politik nicht übereinstimmen mag (ihre Unterstützung Rhodesiens); er wird ihr vorgestellt, streitet mit ihr, und sie belohnt ihn dabei mit erotischer Demütigung und sogar einem Spanking.
- "Portugal to Poland":
- In den 70ern entwickelt sich Hitchens zum Politik-Touristen, reist überall hin, wo gerade Revolution oder Konter-Revolution gemacht wird, am Liebsten aber warme Gefilde; einmal auch Island.
- Besuch in Portugal: Faschismus gerade gestürzt, nun kurzes Aufleben einer verspäteten 1968-LebensFreude, kurzer HoffnungsSchimmer, dass hier doch noch ein Funken entstehen könnte; dann versucht sich Moskau an Installation eines eigenen Regimes und scheitert damit, provoziert bürgerlich-konservativen GegenAufstand, und am Ende kommt vage eine Mitte raus.
- Besuch in Polen: Treffen mit den ersten Spuren dessen, was später Solidarnosc werden sollte. Macht die Eingeborenen glücklich mit Jeans und seiner Alkohol-Verträglichkeit; erkennt sogar in mancher katholischen Predigt Erfreuliches. Studium des Lügen-Apparats des Regimes, der sich oft genug selbst ein Bein stellt.
- In Portugal erzählte ihm ein alter Faschist, das Land lasse sich gut kontrollieren, weil es nur eine gut kontrollierbare Grenze zu einem anderen Land habe. In Polen das Gegenteil der Fall: Polens Position geopolitisch stets unsicher, eingekeilt zwischen Deutschland und Russland. Auch in den 70ern noch größtes Misstrauen gegenüber der BRD.
- Besuch in Argentinien: Leidenschaftliche Auflistung der Scheußlichkeiten des Videla-Regimes. Hitchens interviewt selbst Videla und entlockt ihm brenzlige Sätze zur Situation Verschwundener, nach denen er inquiriert. Einem davon, Jacobo Timerman, wird dieweil im FolterKeller erklärt, nicht nur Freud und Marx, auch Albert Einstein sei anti-christliche SUbversion.
- Treffen mit Borges, Austausch diverser Literaten-Bonmots. Gleichzeitig Erschrecken über Borges' politische Naivität, die in Videla eine bessere Alternative zu Peron sieht, dem Borges persönliche Kränkungen nicht verzeiht; und Borges Zuneigung zu General Pinochet, weil der ihm eine Ehre zuteilte. Hitchens schätzt Borges weiter, aber erkennt, auch gute Leute können dumme Sätze sagen.
- Portugal beschließt Hitchens' Kommunismus: Er ordnet sich mehr und mehr als Liberalen ein, sieht in Demokratie und Pluralismus hehrere Ziele, und einige Revoluzzer in Polen stimmen ihm da zu, entfernen sich auch mehr und mehr vom Trotzkismus. Anti-Totalitarismus sollte die ganze Maxime sein, stärker als jede weitere ideologische Neigung.
- Passt zum ansteigenden Abschied von England, wo Labour einen feigen und korrupten Konservativismus mit sozialdemokratischer Fassade fahre. Aus der Perspektive mehr Sympathie für den Aufstieg von Maggie Thatcher, die immerhin Pläne, Ziele und ErneuerungsWillen zu haben schien. So der damaligen Labour-Partei wohl haushoch überlegen.
- "A Second Identity: On Becoming an (Anglo) American":
- Worin H. Amerika entdeckt und sofort angefixt ist: Vitalität, Gelegenheitsfülle, Offenheit! Und wie das sein kann, zugleich Nixon und Massenmord in Vietnam und Unterstützung übelster Diktaturen, zugleich permanente Revolution, Attraktor für die frischesten Geister. Mormonen auf der einen, lebendigste Gegenkultur auf der anderen Seite.
- Hitchens amerikanisiert sich mit Rückgriff auf Traditionen der amerikanischen Linken. Und tatsächlich sind ja überall Spuren, von '68, oder früher, noch von den Streiks der 30er Jahre.
- Britische Einstellung gegenüber den Amerikanern zu Zeiten des Krieges und Hitchens' Kindheit: Amis sind grob, wedeln aufplusternd mit Geld. Sichtweise später: Vietnam, Nixon, Bürgerkrieg, Rassismus. Aber entwickelte auch schon bald ein skeptisches Gespür für das Bündnis, das anti-amerikanische Rhetorik oft mit totalitären Intentionen eingeht.
- Sympathie zwischen schwarzen Veteranen und Briten: Als sie über den Teich kamen, entdeckten sie in England eine nicht-segregierte, erstaunlich unrassistische Gesellschaft. Die Briten umgekehrt hatten für die schwarzen GIs immer noch die meiste Sympathie. These, dass Erfahrungen in England spätere afro-amerikanische Bürgerrechtler beeinflussten.
- Hitchens begeistert die liberal-rechtsstaatliche PrinzipienTreue Amerikas: Nicht mal Nixon schaffte es, die Instanzen zu untwerfen, die ihn kontrollierten sollten; wie WW2-flüchtige Juden für die ACLU das DemonstrationsRecht von NeoNazis verteidigen und schwarze Polizisten den KKK. Absolute PresseFreiheit. Gegenteil zu England-Erlebnissen.
- Aggro gegen Reagan und seine Administration, H. hält ihn wechselweise schon in 1. Amtszeit für alzheimernd; oder für in unverfrohrendst Wildestes herbei-lügend. Zeigt schlechteste US-imperialistischen Züge, Contras unterstützen usw. AntiKommunismus-um-jeden-Preis-AußenPolitik mag auch argentinische Faschisten zum FalkLandKrieg ermutigt haben.
- "Changing Places":
- Worin Hitchens rasch zu 9/11 vorspringt als den Moment, der sein Amerika-Bekenntnis festigte. Zuvor posierte er noch als als EU-Internationalist; nun, ganz aus Pathos und PrinzipienLiebe, fasst er den Entschluss, seine Green Card gegen eine StaatsBürgerschaft einzutauschen.
- Das vorm Kontext der Reaktionen auf 9/11: Ein deutlicher Keil entsteht zwischen Hitchens und eminenten amerikanischen Linken wie Noam Chomsky und Gore Vidal, die einem AntiAmerikanismus fröhnen, der den Al-Kaida-Terrorismus entweder als gerechte Reaktion oder als Erfindung einer Bush-Verschwörung definiert.
- Hitchens EinbürgerungsBeschluss wird getriggert von der Empfehlung eines bosnisch-islamischen TaxiFahrers, der zu ihm etwas meint wie "Amerika braucht uns jetzt", und einer irischen ImmigrationsAnwältin, die sich über sein Buch gegen die Mutter Theresa freut und ihn deshalb pro bono vertreten möchte. Hitchens denkt sich dazu: Nur in Amerika …!
- Dabei hatte Hitchens selbst noch am 10. September 2001 öffentlich gesagt, der 11. September werde in die Geschichte eingehen als der Tag, wo Henry Kissinger endlich für seine MenschenRechtsVerletzungs-Verantwortlichkeiten usw., und erinnert oft an Chile 28 Jahre zuvor. Hat später schlechtes Gewissen, welchen anti-amerikanischen Aufrechnungs-Logiken er damit das Wort geredet haben mag.
- Bashing des Einbürgerungs-Prozesses. Beömmelt sich ein bisschen über bürokratische Schikanen und die EinfachGeistigkeit der Quiz-Fragen, sieht aber auch die Harmlosigkeit seiner eigenen Spaß-EinbürgerungsÜbung ggü. jenen, die es nötig haben und sich mehrjähriges Warten vielleicht nicht so locker leisten können.
- Steht deutlich hinter der US-AußenPolitik, die 9/11 nachfolgt, aber nimmt Teil an Kampagnen gegen die innenpolitischen BürgerRechtsBeschneidungen. Gerät mit Michael Chertoff von Homeland Security in Konversation, berührt ihn dabei peinlich mit Anwürfen und bekommt zur Belohnung eine privilegierte EinbürgerungsZeremonie von und mit Chertoff, zu der Hitchens altlinke Kameraden, Marines und Ayaan Hirsi Ali einlädt.
- Hitchens betont, nicht den Begriff "Islamofaschismus" erfunden zu haben, der ihm oft zugeschrieben wird, sondern stattdessen "Terrorismus mit einem islamischen Antlitz", analog zur Umdeutung "Sozialismus mit menschlichem Antliz" in Susan Sontags "Faschismus mit menschlichem Antliz".
- "Salman":
- Die Fatwah gegen Salman Rushdie und der Umgang des Westens mit ihr ist für Hitchens PräFiguration einer späteren Feigheits- und Lässlichkeits-Politik gegenüber islamistischer Intoleranz und islamistischem Terrorismus.
- Lob und Schmeichelei für Rushdie; Ausnahme, dass er Hitchens am Anfang etwas zu sehr auf linkspostkoloniale Meme verfalle, und dass er unterm höchsten Druck der Fatwah einmal den faulen Kompromiss einging, zur Beruhigung ein Bekenntnis zum Islam zu publizieren; aber dafür: ein wahrer Poet, und tragisch deshalb, wie sehr er die Öffentlichkeit meiden muss.
- Rushdies zwischenzeitiges Islam-Bekenntnis will Hitchens ihm nicht zu stark zum Vorwurf machen, anbetrachts des tödlichen Druckes, unter den er von allen Seiten, gerade auch vom Westen, gestellt wurde; betont Rushdies eigene Reue, er sei offen darüber gewesen, dass es ihm ab-erpresst worden sei und habe jede Gelegenheit genutzt, den Text (der sich eh forciert und ganz un-Rushdie las) zu entvatern, wo er nur konnte.
- Für Hitchens ein idealer Kampf in seinem Sympathien-Universum: theokratisch-totalitäres Bullying gegen aufklärerische, ästhetische FreiGeistigkeit. Furchtbar, wie der Westen da einknickte, wie Regierungen und BuchLadenKetten aus Feigheit kniffen; furchtbar, wie gar auch Linke aus MultiKulti-SchuldGefühl Rushdie statt seiner mörderischen Feinde verdammten.
- Höchste Stufe des Bullying: das Opfer zum Täter zu erklären, ihm die Verantwortung für die MordWut seiner Feinde zuzuweisen, ihn zur SelbstVerleugnung als diplomatische Geste gegenüber Faschisten auffordern. Hitchens kennt hier keine Gnade: Keinen FußBreit, keine Sympathie denen, die bloßes Anders-Denken, Anders-Reden mit Mord bestrafen wollen.
- Bedauern aber auch über die Feigheit selbst derer, die den Feind erkennen: Gegenüber Terroristen keine Option, sich zurückzuhalten, denn sie sind nicht zu sättigen außer über totale Unterwerfung, und wenn sie einen Rushdie bedrohen, bedrohen sie uns alle. Man ist nicht sicherer, wenn man die Klappe hält, als wenn man mit offenem Visier gegen sie kämpft.
- Lob für Susan Sontag (insbesondre) und alle Anderen, die sich für Rushdie einsetzten, Solidaritäten einforderten und PrinzipienTreue. Norman Mailer (der eigentlich Hass auf Hitchens schob, in Sachen Rushdie mit ihm aber wieder ein bisschen einig wurde) wollte sogar Geld sammeln für ein Attentat auf Khomeini.
- Ekel darüber, dass im gemeinsam kampagnierten Soli-Bekenntnis pro Rushdie irgendjemand einen Beschwichtigungs-Satz der Manier "natürlich sind wir auch dagegen, dass Gefühle Gläubiger verletzt werden" nachträglich einfügte.
- "Mesopotamia from Both Sides":
- In den 70ern besucht Hitchens den Irak und hinterlässt einen einigermaßen sympathisierenden Bericht. Hier und da ist er zwar milde skeptisch, aber: postkolonial-säkuläre Moderne, hoffnungsvoll auf den baldigen MachtHaber Saddam Hussein, von dem die Leute durchaus schwärmen; bestes Regime bisher, gegenüber allen Vorgängern.
- Sein Regime-gestellter Führer bereitet ihm zuerst Sorge, SonnenBrillen-tragend und einsilbig. Einmal an der HotelBar, wird es entspannter, als er sich ihm mit "meine Freunde nennen mich eine präzise Mischung aus Adolf Hitler und Oscar Wilde" vorstellt und als Nächstes durchs homosexuelle NachtLeben Baghdads führt.
- Hitchens gesteht ein, dass er schon damals vielleicht ein bisschen genauer hätte achten sollen auf subtile Zeichen der Angst, die hier und da von seinen (noch recht pluralistisch aufgestellten) Interviewten aufkamen. Kurze Zeit später schon würden andere Reporter aus dem Irak eine allgegenwärtige Aura unübersehbarer Angst behaupten.
- Bei seinem Irak-Besuch wird er auch Abu Nibal vorgestellt, den der Irak damals als Gegen-Arafat in Position zu bringen sucht; er macht auf Hitchens einen sehr unsympathischen und dumpfen Eindruck, fragt ihn erstmal, ob er Lust auf ein palästinensisches TrainingsCamp habe, und fordert ihn dann auf, eine Drohung an einen Londoner Palästinenser-Aktivisten anderer Fraktion zu übermitteln -- der später tatsächlich umgebracht wird.
- In der Zeit zwischen diesem Besuch und dem ersten GolfKrieg hat Hitchens immer wieder mit Auslands-Irakern zu tun, Exilanten und Diplomaten, und gewinnt so tröpfchenhaft ein immer schaurigeres Bild vom Hussein-Regime. So ist er dann einigermaßen vorgebildet, als die Weichen für den Ersten GolfKrieg gestellt werden.
- 1990 ist seine Position noch ambivalent. In der offiziösen Empörung über die Invasion Kuwaits riecht er korrupte-Absprachen-gone-wrong, eine mit offensichtlicher Lügenpropaganda gefütterte Saudi-Bush-Allianz nicht unbedingt leuchtendes Beispiel. Aber es häufen sich bei ihm auch die Anti-Saddam-und-Anti-Neutralitäts-Trigger:
- Ein Besuch im ausgegasten Kurdistan, Husseins Verbrannte-Erde-Abzug aus Kuweit, die Sichtung der Videos Baath-Partei-interner Säuberungen, usw. usf. stärken für Hitchens das Bild von Saddam als Hitler-auf-Drogen. Alles Chaos, Hässlichkeit, Fail in KriegsFührung gegen ihn wird aufgewogen durch die Vision, was passiert, wenn man diesem Irren freien Lauf lässt.
- Mit Herannahen des Zweiten GolfKriegs ist Hitchens' Position klar bellizistisch; Krieg gerechtfertigt so lange es diesmal Saddam for good erledigt; hier bricht er nun offen und bewusst mit der Linken, kündigt bei The Nation und wird zum Paul-Wolfowitz-Apologeten, den er als zwar intellektuell Neocon, aber auch weise und prinzipientreu kennen lernt.
- Viel Geätze gegen alle Beschwichtiger in Sachen Saddam, in Anbetracht seines Wirkens. (Hier frage ich mich selbst, was mich damals eigentlich auf die Straße trieb bei der großen Anti-Irak-Kriegs-Demo, in indirekter Verteidigung des Saddam-Regimes.) Verweist auf die massive Bestechungs-Kampagne des Saddam-Regimes gegenüber selbst den härtesten UN-Prüfern.
- Die MassenVernichtungsWaffen-PropagandaFrage ist für ihn nachrangig: Selbst, wenn Saddam an keiner AtomWaffe baute, ein Interesse daran hatte er klar und vieles deutet darauf hin, dass er durchaus darauf hin-arbeitete; WMDs im Sinne von genozidalen Vergasungs-Werkzeugen dagegen besaß und setzte er ein; dass ihm nun WMDs ausgingen, wäre gerade ein Grund, jetzt zuzuschlagen.
- Auch hier scheint wieder Hitchens' Anti-Bullying-Reflex durch: Man darf Bullys keine Zugeständnisse machen, Food-for-Oil finanzierte nur Saddams Paläste und keinen BrotKrumen für die Bevölkerung, Zugeständnisse an Bullys vergrößern nur ihre Macht und verringern damit die eigene HandlungsFähigkeit gegen sie, neutralistischer Pazifismus stützt Genozid.
- Schock für Hitchens, als er von Mark Daily hört, einem amerikanischen Irak-Soldaten (gefallen), der seine eigenen Positionen spiegelte und ihn zu seinen Einflüssen zählte; hat Kloß im Hals, trifft dessen Familie, heroisiert ihn, widmet ihm mehrere Seiten seines Buches, spricht auf seiner Beerdigung. Kontrastiert deren edlen nachdenklichen Ton mit den fanatischen GewaltAufrufen der Todes-liebenden GegenSeite.
- Gebashe immer wieder für die zu lang anhaltenden Verteidigungs-Reden von Saddams Regime als immerhin "säkulär"; das sah er ja selbst so damals in den 70ern, aber man habe schon (wie es Hitchens den linken Pazifisten zuschreibt) sehr selbstbelügend die Augen zukneifen müssen, um im späten Saddam einen Säkulären statt einen religiösen Fanatiker zu sehen, der einen Koran in seinem Blut schreiben lässt und religiösen Terror fördert.
- Antisemitismen gegen Wolfowitz. Plötzlich muss Hitchens an die antisemitische Stimmung im Hause Agatha Christie denken, die er einmal als Gast miterlebte und die sich in seine Verachtung für Agatha Christie, deren Werk er von Antisemitismus tief durchdrungen sieht, prima einpasste.
- "Something of Myself":
- Worin Hitchens einen Zugang zu intimeren, peinlicheren, persönlicheren Fragen über seine Person zu geben versucht, oder so etwas Ähnliches, das Kapitel ist etwas unklar definiert. AbRattern des Proust-Questionnaire, seine (kaum praktizierte) Vaterschaft, Einstellungen zu Tod, Glauben, usw., Traumata körperlicher Gewalt.
- Defizite, an denen er arbeitet, zu denen er auch seine gelegentlich geifernde RechtHaberei und Giftigkeit gegenüber Anderen zählt; aber die Freude, immer wieder diesem Arschloch Kissinger eins übergezogen zu haben, mag er trotzdem nicht aufgeben.
- Aufschlüsselung des eigenen AlkoholKonsums, kontrolliert, als GenussMittel und Gewürz; verweist auf seine tadellose Arbeits- und TerminDisziplin, sowas fände man nicht bei einem AlkoholWrack.
- "Thinking Thrice About the Jewish Question …":
- Ende der 1980er erwähnt Hitchens' mütterliche Großmutter seinem Bruder und ihm gegenüber: "Ach übrigens, ihr seid Juden." Hitchens' Mutter hatte es vor ihrem EheMann und ihren Kindern zeitlebens geheim gehalten, und die spärliche restliche Familie ihrerseits spielte mit. Nun machte es nachträglich Sinn, dass sie vor ihrem Suizid H. ankündigte, nach Israel übersiedeln zu wollen!
- Hitchens ist kein Identitäts-Romantiker, aber er lässt sie nicht verstreichen, so eine Chance, sich ein Netz aus neuen historisch-politisch-kulturellen QuerBezügen in alle Richtungen aufzudröseln (auch sonst lässt er ja im Buch keine Chance verstreichen, etwa zu bemerken, an diesem Tag sei ja 150 Jahre zuvor auch dieses passiert und jener geboren …)
- Recherche nach den jüdischen Vorfahren, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus Schlesien übersiedelten. 1848 mag ein großes Jahr für den Nationalismus gewesen sein, aber Nationalismus ist meistens ein schlechtes Jahr für jüdische Minderheiten; das und Jahrzehnte-lange preußische Reaktion auf jüdische Emanzipation unter Napoleon war wohl unter den Gründen.
- Spannendste Frage: Habe ich noch Verwandte da unten? Die schwierige Recherche, welche ansässigen Blumenthals mit Hitchens verwandt sein könnten, löst sich durch die schnelle Erkenntnis, dass alle übrig gebliebenen Blumenthals der Gegend in Auschwitz umkamen.
- Wie Hitchens eine jung-erwachsene Überlebende des Genozids in Ruanda einmal ihre Situation auseinandersetzte, dass alle Menschen, die sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens bis dahin gekannt hatten, von ihr wussten, sie zuordnen konnten, nun tot waren.
- Es gibt eine dialektische, kritische Seite im Judentum, die Hitchens zu schätzen weiß und die für ihn einige antisemitische Reflexe gerade der Christen und Mohammedanner erklärt; die tiefe Beleidigung, dass in beiden Fällen der jeweilige Prophet den Juden erschien und er die Juden aber als Messias nicht überzeugte.
- Im Zionismus dagegen sieht Hitchens eine religiös-fanatische Irrung würdig den Fanatikern der anderen Clans. Palästinenser- und HolocaustFluchtFrage hin oder her: In dem Moment, wo Juden ihr Recht auf Palästina aus Berufung auf Gott herleiten, ist das Einebnen ansässiger Einwohner zugunsten sozial-gesicherter Einwanderer aus Amerika unhaltbar.
- Aber auch Balfour und Holocaust reichen für Hitchens nicht mehr hin. Wäre auch die EinstiegsSituation gerechtfertigt, so ist es kein weiterer SiedlungsBau, keine nachhaltig expansive Politik, kein Kolonialismus im postkolonialen ZeitAlter.
- Für Hitchens werden die Juden immer Diaspora sein, egal wo sie leben, selbst oder gerade in Palästina: die Lösung für Antisemitismus kann nicht die Selbst-Isolation in einem fernen Land, kann nur die Konfrontation des Antisemitismus vor Ort sein. Eigenschaft der Juden als "seismisches Volk" nach Victor Klemperer, dessen Behandlung den GeistesZustand der umgebenden Gesellschaft misst.
- "Edward Said in Light and Shade (and Saul)":
- Edward Said war ein anglikanisch-amerikanischer Palästinenser aus gutem westlich sozialisiertem Hause und ging in Ägypten mit Omar Sharif zur Schule. Er sah sich nicht als Opfer von 1947, auch wenn seine Familie da enteignet wurde; aber er sah sich gerade aufgrund seiner privilegierten Position verpflichtet, für "seine" Leute zu sprechen.
- Als Hitchens ihn kennen lernt, steht er fürs Beste der damaligen palästinensischen Sache: säkulär, marxistisch, und außerdem vertreten durch einen geistreichen stylishen Intellektuellen; Hitchens ist sofort zugeneigt, als er in Said trotz dessen dekonstruktivistischem Geist einen Liebhaber englischer Literatur erkennt.
- Aber bald fällt Hitchens auf, dass in Said etwas zuviel an verpflichtender politischer Parteilichkeit in diese oder jene Richtung aufglänzt; zu viel Vorsicht, Kritik an der einen Seite zu äußern, und zu viel Eifer, die andere um jeden Preis nieder-zu-reden; bald erkennbar ein deutlicher Anti-Amerikanismus, und Soli-Zwang mit zwielichtigen Strömungen/Regimes.
- Dass der PanArabismus zum Islamismus umschwingt, hat Said nicht gut getan; seine VerteidigungsReden gegenüber letzterem können bei Hitchens nicht gut ankommen. Hitchens erinnert sich, inmitten islamisch geprägter PolitikLandschaften über die stursten Kommunisten froh gewesen zu sein, die immer noch im Vergleich zu den Islamisten rationalistisch-humanistisch argumentierten.
- Bis Orientalism geht Hitchens mit Said noch mit, danach dann kaum noch; schließlich kommt es zum Zerwürfnis. Hitchens bespricht Said vernichtend, und Said wiederum zitiert Hitchens ohne dessen Namensnennung als einen Rassisten; ein Vorwurf, den Hitchens nicht für relativierungsfähig hält. Hitchens wird nicht zu Saids Beerdigung eingeladen.
- Trotzdem endet das Kapitel in einer Soli-Note. Wie Hitchens einmal zu Saul Bellow eingeladen wurde und alles prima lief, bis dieser über Said herzog. Hitchens sah sich genötigt, Said zu verteidigen, gegen Anwürfe, die er trotz allem unfair fand. So wie ein Vaterlands-kritischer Geist es trotzdem nicht hinnehme, wenn man sein Land unfair denunziere.
- "Decline, Mutation, or Metamorphosis?":
- Worin Hitchen abschließend über den Wandel politischer Positionen und Weltanschauungen reflektiert, wie er seine eigene Biographie so stark zeichnet, aber auch die zahlloser Anderer.
- Es passt; es ist das Gegenteil zur unangreifbaren WahrheitsGewissheit religiöser/ideologischer Fanatiker: seine Meinung/Bewertung ändern können. Es ist die ewige Skepsis, der wissenschaftliche Geist. Es ist Sokrates' "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Nur bedauerlich, dass es so viele zur Feigheit führt, während die Fanatiker allen Mut in sich tragen.
- Ein ernsthafter politischer SinnesWandel vollzieht sich nach Hitchens' Meinung nicht plötzlich, auch wenn er nach Außen so scheint; da frisst sich immer mit der Zeit etwas mehr und mehr an, was dann irgendwann seinen finalen Auslöser findet.
- Oft ist es eine Affirmation, die man nicht hören will: "Ja, finde ich auch gut, dass [Unerträglichkeit]" (etwa, zu einem Kommunisten in der Zeit von Molotow-Ribbentropp: "dass wir jetzt in Paris einmarschieren"), die einem vor Augen führt, dass man eigentlich nicht in dieser Position sitzen will.
- Hitchens hat sich mehr und mehr abgewandt von der Linken, aber Gleichsetzungen von Links und Rechts hält er trotzdem noch oft für fehl, gerade weil es so viele ex-linke GesinnungsWandler aus PrinzipienTreue und so wenige ex-rechte gebe: Irgendwas im LinksSein scheint der intellektuellen Flexibilität eher benachbart als im RechtsSein.
- (Schon im Kapitel vorher zu Said eingeführt:) Man kann versuchen, Freundschaften und politische Richtungen separat zu halten, aber es geht nur, wenn man die Trennlinie deutlich zieht, wenn man die Differenz klärt; nicht, wenn man aus Sorge um die Intimität politisch akkomodiert.
- Unter allen Revolutionen, die Hitchens in seinem Leben sah, oft in ihrem letzten Aufbäumen, scheint ihm die Amerikanische noch immer die langlebigste, vitalste.