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Versions-Geschichte: "GeschichteDerKindheit"
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Versions-Geschichte: "GeschichteDerKindheit"

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- * [*"Vorwort zur deutschen Ausgabe"*]:
-   * übersprungen
- * [*"Einleitung"*]:
-   * Entromantisierung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter nichts weiter als verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
-   * Bis zum 19. Jahrhundert wird dann die Kindheit erfunden, und damit auch der familiäre Affekt, die Liebes-Heirat, der Schmerz schon ums verstorbene Kleinkind. Dem Kind wird nun ein besonderer Wert beigemessen, es muss geschützt und erzogen werden, in Isolation von der Welt, in der Schule, und besser weniger Kinder denen man sich mehr widmen kann als mehr die man im Einzelnen vernachlässigt.
-   * Noch bis ins 17. Jahrhundert fanden Eltern nicht groß was dabei, ihre Kleinkinder sterben zu lassen, auch wenn die Kirche es verdammte. Schulterzuckend merkt Aries an, heute propagieren wir halt Abtreibung.
-   * Die Zunahme des Durchschnittsalters über die letzten Jahrhunderte lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass man sich weniger Kinder leistete und diese dann dafür stabiler durch die ersten Lebensjahre peppelte.
-   * Rückzug der Familie ab dem 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe [[Rybczynski]].
- * [*I: "Die Einstellung zur Kindheit"*]:
-   * [*I.1: "Die Lebensalter"*]:
-     * Heute: Der Staatsbürger weiß sein Geburtsdatum bis auf die Stunde, bekommt qua Geburt einen Namen, hat eine eindeutige Sozialversicherungsnummer. Gestern: war alles viel vager. Der Oberschichtsjunge hatte vielleicht einen prachtvollen Namen und wusste sein Alter, in der Bauernschicht dagegen hatte man einen Vornamen und dann noch einen identifizierenden Zusatz und konnte vielleicht grob das eigene Alter abschätzen.
-     * Populär bis in die frühe Neuzeit: das mittelalterliche Bild der "Lebensalter". Entsprach der Vorliebe für transzendent-holistische, zyklisch-kosmologische Ordnungen. Absolut in seiner Einteilung, über verschiedene Quellen hinweg wechselhaft in seinen Grenzziehungen und beigeordneten Qualitäten.
-     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem geht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff zuvor, der im Wesentlichen besagt: "extrem sozial abhängiges Geschöpf", und genausogut Feudal- wie Familienverhältnisse beschreibt.
-     * Verschiedene Epochen bedienen sich beim Lebensalter-Vokabular und stellen gerne mal ein bestimmtes Lebensalter in ihren Mittelpunkt und füllen das dann mit Bedeutung. Im 19. Jahrhundert war die "Kindheit" dran.
-   * [*I.2: "Die Entdeckung der Kindheit"*]:
-     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man bei uns prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-freundlich zeichneten.
-     * Ums 14. Jahrhundert rum hat zumindest das Christkind die Darstellung als kleiner Erwachsener verlassen, und zaghaft gesellt sich weitere religiöse Ikonographie wie zum Beispiel die der Kindheit der Jungfrau Maria dazu.
-     * Auf weltlichen Darstellungen lassen sich Kinder als Kinder ab 15./16. Jh. erkennen; allerdings vor allem als Beiwerk in Erwachsenen-Szenen, die auf ihre Eingebundenheit in Erwachsenen-typischen Alltag verweisen. Hervorhebung ihrer kindlichen Züge scheint weniger einem neuen kulturellen Wert der Kindheit zu entspringen als der Vorliebe dieser Zeit fürs Pittoreske, die eigene Ästhetik kindlicher Züge.
-     * Ab 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entwickelt sich noch. Madame-de-Sévigné-Zitat (17. Jh.) bezügl. einer verstorbenen Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
-     * Ab 17. Jh. wird das Abbilden von Kindern zum Selbstzweck, im Sinne des modernen Baby-Fotos. Auf Familienbildern ist es kein Beiwerk mehr, sondern Mittelpunkt. Das Kind wird zum eigenen Gegenstand, man begeistert sich für seine Sprache, seine Form; man bildet es nicht mehr in Erwachsenenkleidung ab, sondern nackt. Der "putto" des 15. Jahrhunderts bildet die Vorlage und war wohl dem antiken Eros entlehnt.
-   * [*I.3 "Die Kleidung des Kindes"*]:
-     * Bis ins 16. Jahrhundert trägt das Kind nach der Windel sofort Erwachsenenkleidung. Dann gehen die höheren Stände einen Sonderweg: Der Zehnjährige mag Erwachsenenkleidung tragen, wenige Jahre zuvor aber trägt er Kleid, Häubchen, Gängelband and falsche Ärmel.
-     * Die Knaben wurden dadurch von den Männern differenziert, dass sie Mädchenkleidung trugen. Die Mädchen trugen (abgesehen von Gängelband und falschen Ärmeln -- das auch nur als Kinder) das Gleiche wie die Frauen, die funktionale Differenz schien hier weniger bedeutend.
-     * Im 17. Jahrhundert setzt der Trend ein, Kinder so zu kleiden, wie man sich hundert Jahre früher allgemein kleidete. Merke: Im Mittelalter trugen auch die Männer Kleid. Heute tun das Priester und Richter ja immer noch.
-     * So setzt sich dann auch die Hose als Kinderkleidung mit Verspätung durch; die Mode, Knaben als Matrosen zu kleiden, kommt im 19. Jahrhundert. Allgemein hält die Kostüm-Verweiblichung der Knaben noch bis zum selben Zeitpunkt.
-   * [*I.4 "Kleiner Beitrag zur Geschichte der Spiele"*]:
-     * Die Frühreife Ludwig XIII. Mit anderthalb Jahren bringt man ihm Tänze und Violine bei, mit zwei kann er sprechen, ab dreieinhalb lernt er lesen, mit vier schreiben und Pfeil und Bogen, spielt Schach und Karten, mit sechs tanzt er Ballett. Mit sieben Jahren spielt er Glücksspiele, und man bereitet ihn auf den Eintritt ins Männerleben mit acht vor.
-     * In der Kindheit verstaut das Ancien Regime ehemalige Erwachsenen-Bräuche.
-     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiert gewesen sein mag.
-     * "In Avignon erfreuten sich die Studenten am Fastnachtsdienstag des Privilegs, die Juden und die Huren zu verprügeln, es sei denn, diese kauften sich frei." (S. 145) 
-     * Kein Wunder, die ganzen musikalischen Wunderkinder des Barock: Wie bei Ludwig XIII. war es früher üblich, Kinder qua Windel in den gesamtgesellschaftlichen Kitt Musizieren einzuführen.
-     * Tanz als Bindemittel des mittelalterlichen Gewusels war oft gar nicht so erotisch konnotiert, wie er das heute ist.
-     * Kirche, Reformer, öffentliche Ordnung bekämpfen die Spielformen des Gewusels, mit viel moralischer Empörung und wenig Wirkung. Die Jesuiten und der militärische Drill werden die Bewegungsformen schließlich versuchen, zu kooptieren und in Kontroll-Bahnen zu lenken.
-     * Mit der Erfindung der Kindheit erst wird ausdifferenziert, was an Spielformen für Kinder adäquat ist statt für Erwachsene und vice versa. Zum Teil auch ein Kompromiss mit der moralischen Empörung über diese Spielformen; plötzlich ist es verpöhnt, Kinder um Geld glücksspielen zu lassen, vorher war es ganz normal. Differenzierung ist oftmals nicht nur eine zwischen Altersklassen, sondern auch zwischen Ständen: Oberschicht und Erwachsene und Männer auf der einen, Unterschicht und Kinder und Frauen auf der anderen Seite.
-   * [*I.5 "Von der Schamlosigkeit zur Unschuld"*]:
-     * Ludwig XIII. erfreut sich qua Geburt des Spiels mit seinem "Piephahn", und die ihn umgebenden Erwachsenen ermutigen ihn, beteiligen sich, verdeutlichen ihm seine sexuelle Funktion (er ist ja bereits verlobt, und seine Fortpflanzungsaufgabe wird erörtert) und deren Ausführung. Dann, plötzlich, mit sieben/acht, gilt all das als unschicklich, er soll sich zurückhalten. Mit vierzehn dann wird er die Infantin vögeln geschickt und man prüft an der Rötung seines Penis, ob er sich gut angestellt hat.
-     * Bis ins 17. Jh. gilt das Bild des Kindes als reizendem Äffchen ohne eigene Sexualität oder Verderbbarkeit; Teilhabe an der Sexualwelt der Erwachsenen wird also ohne Sorge betrachtet. Es gibt Reformer, die das anders sehen, und Zurückhaltung von den Erwachsenen gegenüber den Kindern fordern, doch sie setzen sich nur langsam durch.
-     * Jean Gerson interessierte sich ja schon im 15. Jahrhundert für die Sexualität der Heranwachsenden. Er erkannte die Verbreitetheit, Unvermeidbarkeit von Erektion und Masturbation; anstatt sie aber infolge für harmlos zu erklären, warb er für diese Kenntnis als Kontroll-Instrument: Ein Knabe, der solcherlei nicht beichtet, ist als Lügner überführt!
-     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört gegen eine widerstrebende Natur durchgesetzt.
-     * Der Kampf der Reformer wendet sich einerseits gegen die Zulassung "unvernünftiger" Narretei, Verspieltheit, freiheitsgebende Hätschelei; andererseits gegen riskant empfundene Zutraulichkeiten binnen und über Alters- wie Geschlechtergrenzen hinweg, gegen Körperkontakt-Gelegenheiten, gegen gemeinsames Schlafen im selben Bett von Geschwistern und anderen Familienangehörigen oder gar mit Bediensteten, sogar gegen allzu entkleidende körperliche Züchtigungen (bitte kein Hose-Runterlassen für Rutenschläge!).
-     * Es ist der Kampf gegen das mittelalterliche Gewusel. Verbot des aneinander klebenden Du; alle sollen lernen, übers Sie miteinander zu kommunizieren.
-   * [*I.Schlussbemerkung: "Die beiden Einstellungen zur Kindheit"*]:
-     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition; einer Gesellschaft, in der Kinder eingebunden sind, die sich für Kindischkeit auch nicht zu schade ist, in der es keine grundlegende moralische Trennung zwischen Erwachsenheit und Kindheit zu geben scheint.
-     * Dann setzt ins 16. Jh. hinein eine besondere affektive Würdigung der Kindheit ein, zuerst als Hätschelei, die schamlose Würdigung der Kinder als reizender Äffchen. Manchem geht das auf die Nerven, Montaigne & Co. entwickeln ein Ressentiment gegen Kinder-Narretei.
-     * Im 17. Jh. setzen sich die Kindheits-Begriffe der Reformer, Pädagogen, Geistlichen gegen die Hätschelei durch: Das Kind ist jetzt kein Spielzeug mehr, sondern ein Problem. Es muss streng kontrolliert und zu einem guten Christen erzogen werden, gerade weil seine Unschuld nun so hoch gehalten wird. Die Hätschelei gilt der Oberschicht nun als Unterschichtsphänomen.
-     * Im 18. Jh. kommt zur moralischen die physisch-gesundheitliche Kontrolle/Gestaltung der Kinder als Problem hinzu.
- * [*II: "Das Schulleben"*]:
-   * [*II.1: "Junge und alte Schüler im Mittelalter"*]:
-     * Die antike Schule (erhielt sich in Byzanz noch lange) war hellenistisch, städtisch, weltlich. Vor Zusammenbruch der Antike stützte sich auch die Kleriker-Ausbildung auf diesen Grundstock literarisch-kosmologisch-künstlerischer Bildung; danach musste sie ihn selbst besorgen, in ihren eigenen Räumen.
-     * Wie noch heute bei den Mohammedanern, spielte das Hören und Nachsprechen ins Auswendige im kirchlichen Unterricht eine große Rolle, eine größere Rolle nach als der Umgang mit der Schrift; in jener war nur fixiert, was man schon qua Gehör intus hatte, vielleicht bei Vergessen mal nachschlagen konnte. Schriftkenntnis war nicht mehr und noch nicht dazu da, Neues zu erkunden.
-     * Mit der Karolingerzeit kehren die Artes liberales in die Domschulen ein, und damit eine Ausdifferenzierung des Unterrichts weit über die Singschule hinaus, der bis ins 12. Jahrhundert mehr und spezialisiertere Lehrkräfte einfordert, was schließlich in der Entstehung der Universitäten mündet.
-     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und [/self-contained/] und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren verselbständigten Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
-     * Erst später verneigt sich Latein als Lehrsprache vor humanistischer Klassiker-Vorliebe. Im Mittelalter ist Latein die Sprache der Schule, weil das nunmal die Sprache der Kirche ist.
-     * Die Artes liberales enthalten keinen Elementar-Unterricht: das Alphabet musst du schon woanders gelernt haben, z.B. daheim oder in der Lehre.
-     * Aries deduziert arkane Details der modernen Universitäts-Programme und ihrer nationalen Unterschiede aus mittelalterlichen Entwicklungen.
-     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und etwas Anderes an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt. Wildes Fluktuieren zwischen Kursen.
-     * Die Grammatik ist eine aufwendige, viele Jahre studierbare Wissenschaft, vergleichbar der Philologie
-     * Der Schuleintritt erfolgt spät und unter allen Altersklassen. Es bilden sich zwar gewisse Altersdurchschnitte heraus, aber es irritiert niemanden, wenn alt wie jung denselben Donat lernen. Die Bildung hat noch keine Altersdramaturgie.
-     * Der Student/Schüler wohnt selten bei Lehrer oder Familie, ist meist mit Anderen aller Altersklassen bei Ortsansässigen untergebracht und dann außerhalb des Unterrichts vollends sich selbst und diesen überlassen.
-     * Die Artes liberales werden mal hier, mal da gelehrt, mal unter kirchlichem Dach, mal in gemieteten Räumen, mal in der Straßenecke; mal auf Stroh, später auf Bänken; reger Konkurrenzkampf, man macht sich gegenseitig Schüler abspenstig.
-   * [*II.2: "Eine neue Institution: das Kolleg"*]:
-     * Im Spätmittelalter bilden sich Kollegs heraus, Pensionen für mittellose Studenten, unterhalten von wohlhabenden Stiftern, ausgeführt im monastischen Geist, mit klösterlichen Ordnungen, Hausregeln für die Untergebrachten. Diese Disziplin macht sie bald auch für Wohlhabende attraktiv, die Stundenten dorthin schicken, um sie vor der Disziplinlosigkeit des mittelalterlichen Studienlebens zu bewahren.
-     * Anfänglich in den Kollegs keine klare Trennung zwischen Schülern und Lehrenden; oftmals ja ein und dieselbe Person. Da bietet es sich an, auch im Kolleg den einen oder anderen Unterricht zu machen. So erfüllen die Kollegs neben einer Pensions- bald auch eine Schul-Funktion, die die Pensions-Funktion oft sogar bei Weitem überflügelt; aus Pensionen werden Internate und aus Internaten werden Externate.
-     * Die disziplinierende Einkapselung im Kolleg wird immer mehr auch zu einer von verschiedenen Unterrichts-/Bildungs- und darüber tendenziell auch Altersklassen. Aus dem Nebeneinander der Unterrichts-Inhalte wird mehr und mehr ein Nacheinander gemacht. Draußen ist ein Dreizehnjähriger freier Erwachsener, im Kolleg aber unterliegt er einer Ordensregel, die ihn mit Jüngeren zusammen gegenüber Älteren abkapselt.
-     * Unter steigendem Andrang wird aus einer monastischen Selbstverwaltung unter Gleichen immer mehr eine autoritäre Hierarchie, die Schüler und Lehrer, Verwalter klar trennt, ausgehend von einem Prinzipal an der Spitze. Aus vergleichsweise groben Haus- und Ordens-Regeln wird ein strenger Stunden- und Verhaltensplan. Tendenz hin zum militärischen Drill des Absolutismus und den Jesuiten-Schulen, wo Mönche Bürgerkinder erziehen.
-     * Trotz Abkapselung der Jugend noch keine pädagogische Altersdramaturgie per se. Die strenge Hausordnung zielt nicht ab auf eine Psychologie der Erziehung, sondern entspringt klösterlichen Traditionen, den Geistlichen vor weltlichen Verwirrungen zu schützen. Erst im 15./16. Jahrhundert strömen Laien auf die Kollegs.
-   * [*II.3: "Die Anfänge der Schulklassen"*]:
-     * Im Mittelalter: große Unbestimmtheit des Alters, der Entwicklungsstufe. Heute: in der Kindheit/Jugend aufs Jahr genau, durch die Schulklasse, die jedem Entwicklungsjahr einen eigenen Charakter zuschreibt, diskret getrennt vom vorhergehenden oder nachfolgenden.
-     * "Er stellt in aller Deutlichkeit fest, daß die Einteilung in Klassen für eine ordentlich funktionierende Schule unerläßlich ist; früher, so sagt er, 'war alles durcheinander gegangen und vermengt worden'." (p. 274) Die diskrete Schulklasse (fest umrissen: eine Lernstufe, eine Schülergruppe, ein Lehrer, ein Raum) ist ein weiteres Instrument gegen's mittelalterliche Gewusel. Es galt, Betten und Esstische aus den viel zu einladend großen Schulsälen zu vertreiben.
-     * Bis ins 15. Jh. Gesamtunterricht einer ganzen Schülerschaft in einem Raum/Saal. Ansätze einer Ausdifferenzierung: verschiedene Lektionen für verschiedene Gruppen in diesem Raum, teils verschiedene Betreuer. Bald weitere Isolation, verschiedene Gruppen um verschiedene Säulen in der Halle, teils voneinander getrennt durch Vorhänge. Schließlich der eigene Raum. Größere Enge von Geographie von Personenzahl verbessert auch die Kontrollierbarkeit.
-     * Zunehmende Strenge in der Lernstufen-Einteilung des Grammatikstudiums. Dem darauf folgenden höheren Studium gönnt man humanistisch höhere Freiheit, Länge, Fluidität. Ein Sonderbereich am Anfang des scholastischen Lebenslaufs zeichnet sich ab, der eine eigene Entwicklungs-Pädagogik erfordert. Es ist im 16. Jahrhundert unüblicher, Ältere im Anfängerstudium der Grammatik vorzufinden, wo sich nun zahlenmäßig vor allem Minderjährige tummeln.
-   * [*II.4: "Die Altersklassen"*]:
-     * Thomas Platter (* 1499) verlässt früh das Elternhaus, wird Hirte. Als er neun Jahre alt ist, kommt ihm die Idee, sich schulisch zu bilden, und er schließt sich einem vagabundierenden Scholasten an. So durchquert er Mitteleuropa und diverse Schulen. Dabei lernt er erst mit 19 Jahren lesen; den Donat kann er trotzdem schon auswendig, qua Gehör und Aufsagen. Jetzt entwickelt er sich noch zum erfolgreichen Humanisten. Im deutschsprachigen Raum war das Schulsystem auch Anfang 16. Jh. noch recht mittelalterlich.
-     * Insofern sie der Gleichzeitigkeit und endlosen Weiterführbarkeit, Altersblindheit des Lernens verschrieben ist, entspricht die mittelalterliche Schule eher dem humanistischen Bildungsideal als das aufkommende neuzeitliche Schulsystem. Das drängt mehr und mehr zur allgemeinen Berufsqualifikation. Der mittelalterliche Scholastiker steht oftmals nicht am Beginn, sondern in der Mitte seines Werdegangs, stand schon prä-schulisch im Berufsleben (und sei es als Neunjähriger).
-     * Im Mittelalter lernte man über die Lehrzeit. Man trat in die Erwachsenenwelt und den Beruf ein und lernte dann einfach durch die Praxis und den Meister; auch für aristokratische, intellektuelle Tätigkeiten. Nur die Kirche bildete eine Ausnahme. Mit Erfolg der Kollegs wird die Lehrzeit nun verdrängt, die kirchliche Vorbereitungsform breitet sich auf alle Berufsarten außer die handwerklichen aus, Lehrzeiten verkürzen sich und verschwinden dann. Heute haben wir nur noch Praktika.
-     * Im 16./17. Jahrhundert gibt es zwar schon eine Lernstufen-Klassenabfolge; mit welchem Alter aber man sie betritt, wie schnell und wie kontinuierlich (überspringt man ein paar Jahre?) man sie absolviert, das ist noch recht chaotisch. Ein Bartträger als Schul-Einsteiger verwundert ebensowenig wie ein Dreizehnjähriger, der nach anderthalb Jahren Schulzeit fertig ist (vielleicht hat Kollegs-externe Bildung geholfen). Überhaupt springt man immer noch viel zwischen Lehrmeistern und Schulen hin und her.
-     * Damals als Zwölfjähriger in den Militärdienst eintreten, gar in eine Offizierslaufbahn, auch das war nicht unüblich. Auch die Kriegskunst lernte man direkt auf dem Schlachtfeld.
-     * Im 17. Jahrhundert war es üblich, die Kinder vom frühesten Zeitpunkt an mit fremdsprachigen Hauslehrern, Bediensteten, Kindermädchen zu umgeben. So konnte es sein, dass sie in einer nahezu rein Lateinisch sprechenden Welt aufwuchsen, mit nur wenigen Personen in ihrer Muttersprache verkehrten. Andere beliebte Sprachen in Frankreich: Deutsch, Englisch. (Peter Greenaaways "The Draughtsman's Contract" führt markant die Lektionen eines deutschen Kindermädchens im England der Zeit vor.)
-     * Eine europäische Bildungsreise besorgte weitere Qualifikationen für den Eintritt in die feine Gesellschaft und ihre Berufe, die die Artes liberales nicht boten: Reiten, Fechten, Tanzen, Musizieren, Schönschreiben, Mathematik, lebende Sprachen, Weltkenntnis. Im 17. Jh. dem adligen Elternhaus aber oft zu kostspielig. Hier springt die Akademie ein, die all das in einem Paket und analog dem Kolleg in einem Lebens-kontrollierenden, -disziplinierenden Rahmen anbietet.
-     * Ein weiterer Grund für die Akademie deutet bereits eine neue Altersklassenmoral an: die Europa-Reise scheint nicht passend für allzu junge und damit unreife Knaben, die, wenn besonders eifrig, vielleicht schon mit zwölf das Kolleg abgeschlossen haben. Dem verwandt ist vermutlich die Gewohnheit, zur bloßen Ausdehnung der Kollegszeit Klassen wiederholen zu lassen, damit man nur nicht zu schnell fertig werde.
-     * Je später der Schuleintritt, desto niedriger vermutlich der Stand. Die feine Gesellschaft fasst von Anfang an Schulkarrieren ins Auge und hat dafür auch ohne Weiteres die Mittel; die Schlechtergestellten müssen schonmal darauf warten, dass der Sohn sich dort selbst versorgen kann, bis sie ihn in eine fremde Stadt schicken.
-     * Bis ins 19. Jahrhundert bilden sich immer strenger durchgesetzte Standards für Altersklassen durch. Man beginnt, Klassen-Überspringer kritisch zu beäugen, warnt vor Unreifen in höheren Klassen, hält mehr und mehr einen bestimmten Entwicklungsstand einem bestimmten Alter für angemessen. Mehr und mehr entspricht eine Klasse einem typischen Lebensjahr. Zuerst sortiert man die Zu-Jungen aus, dann die Zu-Alten: der Spät-Einstieg wird immer schwieriger.
-     * Nun gilt mehr und mehr der Schul-Eintritt als Zäsur einer frühen Kindheit; sind jüngere Jahrgänge vor der Vermischung mit älteren zu bewahren; zeichnet sich das Bürgertum ein klares Perioden-Modell der Persönlichkeitsentwicklung an einer Schulkarrieren-Abfolge nach. Bei Unterschicht und Arbeiterklasse bis ins 20. Jh. wird das nicht so feinziseliert; hier bleibt der Eintritt ins Leben der Erwachsenen und der Lehre recht früh nach einer Primär-Ausbildung.
-   * [*II.5: "Die Fortschritte der Disziplin"*]:
-     * Heute ziehen wir klare Trennlinien zwischen unserem privaten und unserem öffentlichen, unserem familiären und unserem beruflichen Leben; das Leben der Gelage und Feiern und Freunde dazwischen ist Sonderfall. Früher war alles anders: Alles war einander geschnürt, gerade von diesem Sonderfall zusammengehalten.
-     * Die spätmittelalterliche Schülerschaft geht in selbstbestimmten Korporationen auf. Sie entstammen der Zeit der Alters- und Gilden-Gemeinschaften; hier trat man ein mit einer den vorherigen Charakter brechenden demütigend-obszönen Initation; dann war man Teil einer solidarischen Bruderschaft, deren Bande und Einpassung durch ständiges Beisammensein und Gelage gesichert wurden. Die Strafe für einen Regelverstoß war hier nicht die Züchtigung, sondern das Ausgeben von Wein oder das Einzahlen in die gemeinsame Wein-Kasse.
-     * Dieser Welt gehört auch ein Umherziehen in Banden und das Anvertrauen junger Leute an ältere Umherziehende an, die dann für sie Verantwortung trugen; siehe die Jugend von Thomas Platter. Heute findet man Verwandtes in Jugend-Gangs. Man achtete solche Bindungen, auch wenn man ihnen nicht angehörte; man löste nicht einfach einen Abhängigen aus ihr, sondern akzeptierte den Kopf der Gruppe als Vormund und Verantwortlichen.
-     * Ab dem 15./16. Jh. geraten Korporationen ins Fadenkreuz der Reformer; die organische Verwobenheit der Mitglieder, die Selbstbestimmtheit ihrer Regeln und Autoritäten (respektierte Gleiche unter Gleichen) gilt als Vorschub für Anarchie. Die Reformer setzen ihnen Herrschafts-Pyramiden, Solidaritäts-Bruch durch gegenseitige Monitor- und Denunziations-Pflicht und herabsetzende Körperstrafen entgegen.
-     * Erst in dieser Zeit erhält die Rute den Charakter der Demütigung. Sie steht nun für die hierarchische Überlegenheit ihres (nun von oben, nicht länger aus den eigenen Reihen kommenden) Trägers gegenüber dem, der sie erleidet. Unter den Älteren erleiden sie nur die Armen (die Reichen können nach wie vor auf die Geldstrafe zurückgreifen); bei den Jüngeren gilt sie unterschiedslos, ohne Ansicht des Standes: Kinder gelten jetzt als sozial herabgesetzter, gesondert zu behandelnder Spezialfall, egal woher sie kommen.
-     * Zum 18./19. Jahrhundert wird das Kontroll-Modell der Kindheit fluider: Anstatt mit der Rute eine statische Korrektheit durchzusetzen, zerbricht man sich jetzt den Kopf über Erziehung. Kindheit ist nicht mehr einfach ein gesondert behandelnder Stand der Schwäche, sondern einer der Entwicklung hin zum Erwachsensein, die es zu begleiten, zu fördern gilt.
-   * [*II.6: "Vom Externat zum Internat"*]:
-     * Zu Anfang (15./16. Jh.) sind die Schüler noch wie Junggesellen schulisch unkontrolliert ("Schülerfreiheit") in Bürgerhäusern einquartiert; monastisch kontrollierende Internierung wird nur von einigen Aristokraten teuer erkauft; selbst die Jesuiten favorisieren noch das Externat. Rundum-Lebenskontrolle von Schülern ist ein noch seltener, teuer erkaufter Luxus. Eher stellt man für Schutz und Kontrolle dem eigenen Knaben einen vertrauenswürdigen, vielleicht sogar gleichaltrigen Gesellen zur Seite.
-     * Schulische Betreuung auch außerhalb des Unterrichts gewinnt aber langsam an Marktwert. Bürgerquartiere werben damit zahlkräftige Familien und werden sogar zuweilen schulmeisterlicher Inspektion unterworfen. Zuerst bietet man nur Repitition und Lebensführungskontrolle an; bald integriert man auch eigene Unterrichtsangebote. Und so wachsen Internats-Strukturen, vervollkommnen sich zum 18./19. Jh.
-     * Im 18./19. Jh. sieht sich die Schule nun für das Rundumpaket nicht nur der Artes liberales, sondern tatsächlich der Formung des jungen Menschen verantwortlich. Einsperrung, Abschottung von der Welt wird nun zum pädagogischen Modell: Persönlichkeitsgestaltung in kontrollierter Umgebung. Um sie vor den schädlichen Einflüssen der Welt fernzuhalten, will man die jungen Menschen nicht mal mehr am Wochenende oder zu den Ferien hinaus oder gar heim lassen
-     * Zugleich wächst im 19. Jh. der Wert des Eigenraums Familie und wird der Einsperrung im Internat zur Konkurrenz. Lieber noch als in institutioneller Kasernierung hält man die jungen Menschen in den eigenen vier Wänden. So verliert zum Ende des 19. Jh. das Internat zumindest in Frankreich (nicht so sehr in England) wieder an Zugkraft.
-   * [*II.7: "Die 'Petites Ecoles'"*]:
-     * In der Lateinschule erhalten die Kinder zu Anfang vor allem Chorknaben-Unterricht: Im Vordergrund steht das Singen, Latein und Lesen sind nachgeordnet und zuweilen vernachlässigt; mancherorts wählt man die Lehrer vor allem nach ihrer Gesangsstimme aus, ein Chorknabe muss keinen Cicero verstehen. Demgegenüber sind die Artes liberales an Kolleg und Universität schon ein anspruchsvolleres Paket.
-     * Mehr an der Lateinschule zu lehren, das Schreiben oder gar Bücherwissen über den Donat hinaus, stolpert übers Konkurrenzverbot nicht nur mit anderen Schulformen, sondern auch z.B. mit den Schreibmeistern. Lesen und Schreiben werden, zumal vorm Kampf um volkssprachliche Orthographie, noch nicht als organische Einheit betrachtet; und tatsächlich, wann muss das Unterschichtskind schon schreiben? Schreibmaterial ist eh teuer. Notiz-Zettel zeugen von undiszipliniertem Gedächtnis.
-     * Ins 18. Jh. integrieren die "Petites ecoles" die Lateinschule mit anderem praktischen Gegenständen: Sitten, Umgangsformen, Diverses was früher außerschulisch im Gesellschaftsleben gelernt wurde; und konkrete im Haushalts- wie Geschäftsleben nützliche Fertigkeiten wie Rechnen und korrektes, schönes Schreiben in verschiedenen Schriftarten, oftmals dem Privileg der Erwachsenen-Lehre bestimmter Berufe entzogen und nun zur Kinder-Lektion bestimmt.
-     * Bewegungen zur Besserung, Qualifikation der Armen stiften diesen volkssprachliche, modern orientierte Grundschulen, auf die aber auch Wohlhabende gerne ihre Kinder schicken; Konkurrenz zu bisherigen Schulen. Arm und Reich sitzen hier im selben Raum, tendenziell mittelalterliche Gleichzeitigkeit von Hierarchie und Nähe. (Heute: legale Gleichheit bei faktischer räumlicher Trennung sozialer Stände.) "Petites ecoles" und der Weg zur allgemein grundbildenden "Grundschule" des 20. Jahrhundert.
-     * Sozialkonservative Gegenbewegung ins 18./19. Jh. hinein: Wider die Verschulung der niederen Stände! Wir brauchen nicht Hunderttausende ausgebildete Priester, während der Acker unbestellt bleibt. Schule lehrt die niederen Stände Verachtung vor ihrer Aufgabe, und der Bauerntölpel gehört nicht mit dem Gentleman auf dieselbe Schulbank.
-     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach berufsspezifische Lehre. Noch heute bleiben Universal-Studium und Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
-   * [*II.8: "Die Härte des Schullebens"*]':
-     * Unter dem Kapiteltitel stellt man sich vielleicht eine Beschreibung harscher autoritärer Unterdrückung der Schüler vor; tatsächlich scheint sie aber mehr abzuzielen auf das turbulente Treiben der Schüler selbst. Noch im 17. Jh., und in England noch länger, prügeln fechten schießen brandschatzen geiseln Schüler untereinander und mit Lehrern wie wild; Aufstände und Krawalle, gegen die sich die Studenten-Unruhen des 20. Jahrhunderts als zivilisierter Wahlurnengang ausnehmen.
-     * Der Schüler des 17. Jh. hat einen skandalösen Ruf. Er gilt nicht zu Unrecht als wilder Frauenheld, und er verdient sein Brot mit Bettelei oder (erinnern wir uns an Platters Wanderschülerschaft) gar Diebstahl. Seine regelmäßige Betrunkenheit lässt sich auch von den Reformen kaum austreiben. Er steht in den Augen der Öffentlichkeit auf einer Stufe mit Vagabunden, Söldnern; allem was keinen ordentlichen Platz in der Gesellschaft hat
-     * Für Aries Überbleibsel einer mittelalterlichen Impulsivität, die nur gegen viel Widerstand einer modernen Ordnung unterworfen wurde.
-     * Nur die oberste Elite interessiert sich anfangs für ein ordentliches Auftreten, ein gutes Betragen; der "Gentleman" ist explizit eine Abgrenzung des Adels zur liederlichen Demokratie. Es wird Jahrhunderte dauern, bis der hässliche mittelalterliche Mob zum sauberen Kleinbürgertum zivilisiert ist. Die Ideologie des wohlerzogenen Kindes bohrt sich nur langsam die Gesellschaftsleiter herab.
-   * [*II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"*]':
-     * Der Weg der Schule vom Mittelalter in die Neuzeit ist der zur Schule als System der Disziplinierung.
-     * Die Schule erfindet die Kindheit, oder verlängert sie doch zumindest; wo heute die Zäsur gezogen wird zwischen früher und später Kindheit, war früher der Übergang von der Entwöhnung ins Erwachsenenleben. Echo: Die Arbeiterkinder des 19. Jh.
-     * Der Einfluss der Humanisten aufs moderne Bildungssystem ist überschätzt. Ihr Alters-egalitärer Bildungsbegriff ist unvereinbar dem Modell der Schule als altersgerechter Erziehungsanstalt. Stattdessen bewiesen die ganzen Reformer vor allem aus dem Kirchenumfeld ihren Einfluss.
-     * Im 17. Jh. erscheint die Idee schulischer Bildung gerade auch gesellschaftlich hochstehender Frauen absurd. Schickt man sie ins Kloster, dann gerade mal für Religionsunterricht. Das mittelalterliche Altersmodell hält hier noch lange vor, eine Zehnjährige hat sich bereits fraulich zu benehmen, ein zwei Jahre später ist sie eh schon verheiratet.
-     * Als die Schule ins 19. Jh. hinein mehr und mehr der Ort der altersgerechten Erziehung und Persönlichkeitsformung wird, gilt eine abgeschlossene Schulausbildung auch was. Vorher war es normal, vor oder während der letzten Etappe abzubrechen.
-     * "Es läßt sich also eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem modernen Begriff der Altersklasse und dem der sozialen Klasse feststellen: beide sind zu derselben Zeit -- am Ende des 18. Jahrhunderts -- und in demselben Milieu -- dem Bürgertum -- entstanden." (p. 466)
- * [*III: "Die Familie"*]:
-   * [*III.1: "Familienbilder"*]:
-     * Etwas, das Aries "Privatleben" nennt, verortet er im Mittelalter im Berufsleben wie auch auf der Straße; unklar, inwieweit sich das aufs Familienleben bezieht. In jedem Fall habe sich hier das Meiste an Gemeinschaft abgespielt. Erst in der Renaissance beginnen die Gemälde, sich vom Freien den Innenräumen zuzuwenden, bis die häusliche Szene in den nachfolgenden Jahrhunderten schließlich zum Ideal wird.
-     * Im Mittelalter zeigen die Bilder Individuen, denen dann in den folgenden Jahrhunderten nach und nach Familienmitglieder zugeordnet werden, erst schamvoll und beiläufig im Hintergrund, dann immer mehr als Gemeinschaft im Vordergrund, bis sich schließlich alles um die Kinder gruppiert. Zuerst sind es noch betont repräsentative, gestellte Porträts; dann kehrt immer mehr die Abbildung intimen häuslichen Lebens in den Vordergrund. Das Familien-Leben wird Richtung 19. Jh. immer mehr als Gegenstand [/en vogue/].
-     * Sicher gab es im Mittelalter eine VaterMutterKind-Familie, ihr Wert und Halt und Schutz und sozialer Anspruch trat jedoch zurück vor den eigentlichen Großfamilien: der Dorfgemeinschaft bei den Bauern unterm Dach des Feudalherren, und innerhalb der Ritterschaft/Aristokratie der Sippe: hier hatten Blut und Name sehr viel mehr Deutungshoheit als die intime Welt zwischen Eltern und Kindern.
-     * Wo solche großfamiliären Institutionen zerbrechen, gewinnt die Kleinfamilie an Bedeutung; sie verliert sie, wenn die größere Gesellschaft alternative Anknüpfungs- und Rückhaltspunkte bietet. (Diese These schreibt Aries Georges Duby zu.)
-     * Als die mittelalterliche Dorf- o. Sippschafts-Großfamilien der neuzeitlichen Kleinfamilie weicht, wird letztere neuer Pfeiler, Atom der Gesellschaft, pyramidal bestimmt und repräsentiert vom männlichen Familienoberhaupt. Damit auch ein neues Erbrecht: statt ungeteiltem Sippschafts-Besitz Aufteilung auf künftige neue Familienoberhäupter; und Entrechtung der Frau, deren Person und Besitz ganz unter die vom Vater ausgehende Pyramide eingeht. Die patriarchale Großfamilie indes ist eine Illusion des 19. Jh.
-     * Dieses Paterfamilias-Modell erinnert nicht zu Unrecht ans alte Rom: Die Betonung des Körpers Klein-Familie ist ein römischer Trend, der sich im Mittelalter mit germanischen Trends analog den Alters- und Klan-Gemeinschaften anderer Kulturen reibt. Man könnte sagen: Rom braucht hier ein Jahrtausend, um sich durchzusetzen.
-     * Mittelalters war die Ehe gerade mal die Entschuldung sündig weltlicher Fleischeslust; heilig war nur das Kloster-Leben. Nun werden aber auch Kind und Familie geheiligt. Der Heilige Josef gewinnt an Bedeutung, als Familienoberhaupt nach dem neuen patriarchalen Muster. Das Weihnachtsfest reißt den Raum-Anspruch anderer Feste als explizites Familienfest an sich. Das Gebet, früher nur mit Priester aufzusagen, verlässt nun die Öffentlichkeit der Kirche, betritt den Familientisch, wo der Jüngste es aufsagen soll.
-     * Ab dem 17. Jahrhundert nimmt die Kleinfamilie einen zentralen Platz im gesellschaftlichen Wertesystem ein, neben König und Kirche. Hier sucht man bald die Erfüllung.
-   * [*III.2: "Von der mittelalterlichen zur modernen Familie"*]:
-     * Vor der Zeit der Verschulung gab man die Kinder mit sieben Jahren in die Lehre, das hieß: als Bedienstete in einen anderen Haushalt; ebensogern nahm man selber aus anderen Familien solcherart Kinder entgegen. Keine große Trennlinie zwischen eigener und fremder Familie im Haushalt; Diener-Funktion auch bei eigenen Kindern üblich. Blut-blindes Abhängigkeitsband zwischen Herr und Diener. Eigene Kinder und Diener oft eng miteinander, kaum Altersunterschied; diese Vermengung ein Dorn im Auge der Reformer.
-     * Noch im 17. Jh. war man nie allein; alles Leben war gesellschaftliches Leben, jede Tätigkeit fand im Beisammensein statt, jede Identität war eine soziale und forderte fortwährend Bestätigung durch Verkehr, Besuch, Trinkgelage ein. Fortkommen erwarb man nicht durch isolierte Tätigkeit, sondern durch geschickten gesellschaftlichen Umgang, durchs eigene soziale Auftreten und Ansehen. Kein Aspekt des Lebens, der nicht in irgendeiner Weise in größere soziale Kontexte eingebunden war, und sei es die Hochzeitsnacht.
-     * So erklärt sich auch die Beliebtheit von Benimm-Fibeln. Die richtigen Manieren fördern das soziale Vorankommen. Das richtige soziale Verhalten schien man unter den Latein-Pedanten der Schulen nicht zu lernen; daher noch lange ein Misstrauen gerade auch des Adels ihnen gegenüber.
-     * Früher hatten wir Manieren. Heute haben wir Polizei. (Die autoritäre Kontrolle des Staates war schwächer. Die des Beisammenseins, der gemeinsamen Sitten stärker.)
-     * Die Armen hausten in elenden Kleinsträumlichkeiten, die keinen Raum für Intimität und Komfort boten; hier konnte kein moderner Familiensinn heranwachsen, und die Enge macht verständlich, warum man die Kinder so früh als möglich fortgab, in ein anderes (bei Familiengründung auch eigenes) Elendsquartier oder zur Aufnahme im Haus der Wohlhabenden als Teil der Dienerschaft.
-     * In den Häusern der Wohlhabenden waren die Räume miteinander labyrinthisch verbunden, man musste durch alle hindurch, wenn man von A nach B wollte. Außer einer spartanischen Küche gab es keine funktionale Ausdifferenzierung. Möbel waren portabel, gegessen wurde an Klapptischen; man schlief zuweilen im selben Saal wo gerade gefeiert wurde, geschützt nur durch die Vorhänge des Bettgestells. Gäste, Diener, Familie, Pensionäre, Klienten, alles verkehrte gleichzeitig in denselben Räumen.
-     * Die Allgegenwart des Gesellschaftlichen lebte sich gerade im Haus der Wohlhabenden aus. Die Öffentlichkeit des 17. Jh. war nicht die Straße oder das Cafe, sondern der Raum im Privatbesitz: Man traf sich ständig in irgendjemandes Haus, man besuchte einander fortwährend. Unangekündigt, zu allen nur denkbaren Zeiten. Das eigene Haus war nicht abweisende Festung, sondern Fortsetzung und Ausformulierung des gesellschaftlichen Gewusels.
-     * Im 18. Jh. sucht man Intimität. Räume werden isoliert, sind jetzt über Korridore statt übereinander betretbar. Es gibt jetzt dedizierte Schlafzimmer, das Bett wird nicht mehr bewegt. Personengruppen erhalten ihre eigenen Räume, und man klingelt bei Bedarf die Dienstboten aus der Ferne herbei, anstatt sie permanent um sich rumwuseln zu lassen; man hält sie auf Distanz. Besuche nur noch in dafür vorgesehenen Räumen, zu vorgesehenen Zeiten, nach Ankündigung, nach postalischer Einladung.
-     * Jetzt erst beginnen "chambre" und "salle" Unterschiedliches zu bedeuten. Früher waren Kammer und Saal dasselbe?
-     * Das intime Familienleben beansprucht im 19. Jh. höchste Aufmerksamkeit und Investition. Die Anreden werden persönlicher: Kosenamen, Diminutive; sich absetzen von der Formalität der gesellschaftlichen Kommunikation. Alles für die Kinder! Kein Brief, der sich nicht sorgenvoll nach ihrer Gesundheit erkundet, von ihrem kleinsten Schnupfen mit größter Dringlichkeit berichtet. Ihr Wohlergehen, ihre Erziehung, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nimmt nun den allerersten Rang vor auch den eigenen Lebensumständen ein.
-     * Die Kinder-Hätschelei des 16. Jh., das Amusement über die Äffchen, weicht nun dem viktorianischen Ernst für die Familie. Ein sterbendes Kleinkind ist unersetzbar, eine Tragödie. Aus profanen materiellen Umständen die eigenen Kinder benachteiligen, undenkbar. Das Erstgeborenenprivileg etwa gilt nun als herzlos und ungerecht.
-   * [*III.Schlussbemerkung: "Familie und Sozialität"*]:
-     * Die Schule verdoppelt die Dauer der Kindheit, trennt die Schüler von der Erwachsenenwelt, verzögert ihre Entlassung aus der Verantwortung des Elternhauses. Letzteres zieht nach und entwickelt einen neuen kulturellen und psychischen Apparat für die umfassendere und verlängerte Inbesitznahme der Nachkommen: den Familiensinn.
-     * Der Familiensinn treibt einen Keil in die Sozialität des Ancien Regime. Das neue Verlangen nach Familienleben und Intimität drängt das gesellschaftliche Leben beiseite, behauptet einen anwachsenden familialen Privatraum gegen das Öffentliche, die Straße, den Beruf und die Freunde.
-     * Man nennt diese historische Loslösung aus den gesellschaftlichen Banden gerne eine Individualisierung. Für Aries ist es aber keine erstarkende Selbstbestimmtheit des Individuums, sondern vielmehr der Tausch vielfältiger Eingebundenheit in ein großes gesellschaftliches Panorama gegen die Enge des Familienschoßes als neuem Überkörper.
- * [*Schlussbetrachtung*]:
-   * Die Kirche schuf die Kloster für moralisches Leben und fand sich mit der Unmoral der restlichen Welt ab. Die Moralisten der Neuzeit geben sich damit nicht länger zufrieden, wollen das gesellschaftliche Gewusel aus dem Mittelalter moralisieren, disziplinieren.
-   * Im mittelalterlichen Gewusel gibt es ausdrucksstarke Hierarchien, Sozial-Unterschiede; aber stets auf engstem Raum, ohne Scham der Begegnung und Durchmischung. Das wird nun bekämpft. Das verworrene Wollknäuel und Chaos wird über Jahrhunderte mühsam und unter viel Kampf und Gewalt auseinanderklamüsert, segregiert, in geschlossene Einheiten zerlegt, die Familie, die Klasse, das Lebensalter, der Kitt gekappt, alles säuberlich voneinander getrennt, in Abstand voneinander gesetzt. Keine Durchmischung oder Nähe mehr dessen, was nicht zueinander gehört!
+ *] [*"Vorwort zur deutschen Ausgabe"*]:
+   *] übersprungen
+ *] [*"Einleitung"*]:
+   *] Entromantisierung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter nichts weiter als verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
+   *] Bis zum 19. Jahrhundert wird dann die Kindheit erfunden, und damit auch der familiäre Affekt, die Liebes-Heirat, der Schmerz schon ums verstorbene Kleinkind. Dem Kind wird nun ein besonderer Wert beigemessen, es muss geschützt und erzogen werden, in Isolation von der Welt, in der Schule, und besser weniger Kinder denen man sich mehr widmen kann als mehr die man im Einzelnen vernachlässigt.
+   *] Noch bis ins 17. Jahrhundert fanden Eltern nicht groß was dabei, ihre Kleinkinder sterben zu lassen, auch wenn die Kirche es verdammte. Schulterzuckend merkt Aries an, heute propagieren wir halt Abtreibung.
+   *] Die Zunahme des Durchschnittsalters über die letzten Jahrhunderte lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass man sich weniger Kinder leistete und diese dann dafür stabiler durch die ersten Lebensjahre peppelte.
+   *] Rückzug der Familie ab dem 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe [[Rybczynski]].
+ *] [*I: "Die Einstellung zur Kindheit"*]:
+   *] [*I.1: "Die Lebensalter"*]:
+     *] Heute: Der Staatsbürger weiß sein Geburtsdatum bis auf die Stunde, bekommt qua Geburt einen Namen, hat eine eindeutige Sozialversicherungsnummer. Gestern: war alles viel vager. Der Oberschichtsjunge hatte vielleicht einen prachtvollen Namen und wusste sein Alter, in der Bauernschicht dagegen hatte man einen Vornamen und dann noch einen identifizierenden Zusatz und konnte vielleicht grob das eigene Alter abschätzen.
+     *] Populär bis in die frühe Neuzeit: das mittelalterliche Bild der "Lebensalter". Entsprach der Vorliebe für transzendent-holistische, zyklisch-kosmologische Ordnungen. Absolut in seiner Einteilung, über verschiedene Quellen hinweg wechselhaft in seinen Grenzziehungen und beigeordneten Qualitäten.
+     *] Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem geht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff zuvor, der im Wesentlichen besagt: "extrem sozial abhängiges Geschöpf", und genausogut Feudal- wie Familienverhältnisse beschreibt.
+     *] Verschiedene Epochen bedienen sich beim Lebensalter-Vokabular und stellen gerne mal ein bestimmtes Lebensalter in ihren Mittelpunkt und füllen das dann mit Bedeutung. Im 19. Jahrhundert war die "Kindheit" dran.
+   *] [*I.2: "Die Entdeckung der Kindheit"*]:
+     *] In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man bei uns prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-freundlich zeichneten.
+     *] Ums 14. Jahrhundert rum hat zumindest das Christkind die Darstellung als kleiner Erwachsener verlassen, und zaghaft gesellt sich weitere religiöse Ikonographie wie zum Beispiel die der Kindheit der Jungfrau Maria dazu.
+     *] Auf weltlichen Darstellungen lassen sich Kinder als Kinder ab 15./16. Jh. erkennen; allerdings vor allem als Beiwerk in Erwachsenen-Szenen, die auf ihre Eingebundenheit in Erwachsenen-typischen Alltag verweisen. Hervorhebung ihrer kindlichen Züge scheint weniger einem neuen kulturellen Wert der Kindheit zu entspringen als der Vorliebe dieser Zeit fürs Pittoreske, die eigene Ästhetik kindlicher Züge.
+     *] Ab 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entwickelt sich noch. Madame-de-Sévigné-Zitat (17. Jh.) bezügl. einer verstorbenen Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
+     *] Ab 17. Jh. wird das Abbilden von Kindern zum Selbstzweck, im Sinne des modernen Baby-Fotos. Auf Familienbildern ist es kein Beiwerk mehr, sondern Mittelpunkt. Das Kind wird zum eigenen Gegenstand, man begeistert sich für seine Sprache, seine Form; man bildet es nicht mehr in Erwachsenenkleidung ab, sondern nackt. Der "putto" des 15. Jahrhunderts bildet die Vorlage und war wohl dem antiken Eros entlehnt.
+   *] [*I.3 "Die Kleidung des Kindes"*]:
+     *] Bis ins 16. Jahrhundert trägt das Kind nach der Windel sofort Erwachsenenkleidung. Dann gehen die höheren Stände einen Sonderweg: Der Zehnjährige mag Erwachsenenkleidung tragen, wenige Jahre zuvor aber trägt er Kleid, Häubchen, Gängelband and falsche Ärmel.
+     *] Die Knaben wurden dadurch von den Männern differenziert, dass sie Mädchenkleidung trugen. Die Mädchen trugen (abgesehen von Gängelband und falschen Ärmeln -- das auch nur als Kinder) das Gleiche wie die Frauen, die funktionale Differenz schien hier weniger bedeutend.
+     *] Im 17. Jahrhundert setzt der Trend ein, Kinder so zu kleiden, wie man sich hundert Jahre früher allgemein kleidete. Merke: Im Mittelalter trugen auch die Männer Kleid. Heute tun das Priester und Richter ja immer noch.
+     *] So setzt sich dann auch die Hose als Kinderkleidung mit Verspätung durch; die Mode, Knaben als Matrosen zu kleiden, kommt im 19. Jahrhundert. Allgemein hält die Kostüm-Verweiblichung der Knaben noch bis zum selben Zeitpunkt.
+   *] [*I.4 "Kleiner Beitrag zur Geschichte der Spiele"*]:
+     *] Die Frühreife Ludwig XIII. Mit anderthalb Jahren bringt man ihm Tänze und Violine bei, mit zwei kann er sprechen, ab dreieinhalb lernt er lesen, mit vier schreiben und Pfeil und Bogen, spielt Schach und Karten, mit sechs tanzt er Ballett. Mit sieben Jahren spielt er Glücksspiele, und man bereitet ihn auf den Eintritt ins Männerleben mit acht vor.
+     *] In der Kindheit verstaut das Ancien Regime ehemalige Erwachsenen-Bräuche.
+     *] Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiert gewesen sein mag.
+     *] "In Avignon erfreuten sich die Studenten am Fastnachtsdienstag des Privilegs, die Juden und die Huren zu verprügeln, es sei denn, diese kauften sich frei." (S. 145) 
+     *] Kein Wunder, die ganzen musikalischen Wunderkinder des Barock: Wie bei Ludwig XIII. war es früher üblich, Kinder qua Windel in den gesamtgesellschaftlichen Kitt Musizieren einzuführen.
+     *] Tanz als Bindemittel des mittelalterlichen Gewusels war oft gar nicht so erotisch konnotiert, wie er das heute ist.
+     *] Kirche, Reformer, öffentliche Ordnung bekämpfen die Spielformen des Gewusels, mit viel moralischer Empörung und wenig Wirkung. Die Jesuiten und der militärische Drill werden die Bewegungsformen schließlich versuchen, zu kooptieren und in Kontroll-Bahnen zu lenken.
+     *] Mit der Erfindung der Kindheit erst wird ausdifferenziert, was an Spielformen für Kinder adäquat ist statt für Erwachsene und vice versa. Zum Teil auch ein Kompromiss mit der moralischen Empörung über diese Spielformen; plötzlich ist es verpöhnt, Kinder um Geld glücksspielen zu lassen, vorher war es ganz normal. Differenzierung ist oftmals nicht nur eine zwischen Altersklassen, sondern auch zwischen Ständen: Oberschicht und Erwachsene und Männer auf der einen, Unterschicht und Kinder und Frauen auf der anderen Seite.
+   *] [*I.5 "Von der Schamlosigkeit zur Unschuld"*]:
+     *] Ludwig XIII. erfreut sich qua Geburt des Spiels mit seinem "Piephahn", und die ihn umgebenden Erwachsenen ermutigen ihn, beteiligen sich, verdeutlichen ihm seine sexuelle Funktion (er ist ja bereits verlobt, und seine Fortpflanzungsaufgabe wird erörtert) und deren Ausführung. Dann, plötzlich, mit sieben/acht, gilt all das als unschicklich, er soll sich zurückhalten. Mit vierzehn dann wird er die Infantin vögeln geschickt und man prüft an der Rötung seines Penis, ob er sich gut angestellt hat.
+     *] Bis ins 17. Jh. gilt das Bild des Kindes als reizendem Äffchen ohne eigene Sexualität oder Verderbbarkeit; Teilhabe an der Sexualwelt der Erwachsenen wird also ohne Sorge betrachtet. Es gibt Reformer, die das anders sehen, und Zurückhaltung von den Erwachsenen gegenüber den Kindern fordern, doch sie setzen sich nur langsam durch.
+     *] Jean Gerson interessierte sich ja schon im 15. Jahrhundert für die Sexualität der Heranwachsenden. Er erkannte die Verbreitetheit, Unvermeidbarkeit von Erektion und Masturbation; anstatt sie aber infolge für harmlos zu erklären, warb er für diese Kenntnis als Kontroll-Instrument: Ein Knabe, der solcherlei nicht beichtet, ist als Lügner überführt!
+     *] Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört gegen eine widerstrebende Natur durchgesetzt.
+     *] Der Kampf der Reformer wendet sich einerseits gegen die Zulassung "unvernünftiger" Narretei, Verspieltheit, freiheitsgebende Hätschelei; andererseits gegen riskant empfundene Zutraulichkeiten binnen und über Alters- wie Geschlechtergrenzen hinweg, gegen Körperkontakt-Gelegenheiten, gegen gemeinsames Schlafen im selben Bett von Geschwistern und anderen Familienangehörigen oder gar mit Bediensteten, sogar gegen allzu entkleidende körperliche Züchtigungen (bitte kein Hose-Runterlassen für Rutenschläge!).
+     *] Es ist der Kampf gegen das mittelalterliche Gewusel. Verbot des aneinander klebenden Du; alle sollen lernen, übers Sie miteinander zu kommunizieren.
+   *] [*I.Schlussbemerkung: "Die beiden Einstellungen zur Kindheit"*]:
+     *] Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition; einer Gesellschaft, in der Kinder eingebunden sind, die sich für Kindischkeit auch nicht zu schade ist, in der es keine grundlegende moralische Trennung zwischen Erwachsenheit und Kindheit zu geben scheint.
+     *] Dann setzt ins 16. Jh. hinein eine besondere affektive Würdigung der Kindheit ein, zuerst als Hätschelei, die schamlose Würdigung der Kinder als reizender Äffchen. Manchem geht das auf die Nerven, Montaigne & Co. entwickeln ein Ressentiment gegen Kinder-Narretei.
+     *] Im 17. Jh. setzen sich die Kindheits-Begriffe der Reformer, Pädagogen, Geistlichen gegen die Hätschelei durch: Das Kind ist jetzt kein Spielzeug mehr, sondern ein Problem. Es muss streng kontrolliert und zu einem guten Christen erzogen werden, gerade weil seine Unschuld nun so hoch gehalten wird. Die Hätschelei gilt der Oberschicht nun als Unterschichtsphänomen.
+     *] Im 18. Jh. kommt zur moralischen die physisch-gesundheitliche Kontrolle/Gestaltung der Kinder als Problem hinzu.
+ *] [*II: "Das Schulleben"*]:
+   *] [*II.1: "Junge und alte Schüler im Mittelalter"*]:
+     *] Die antike Schule (erhielt sich in Byzanz noch lange) war hellenistisch, städtisch, weltlich. Vor Zusammenbruch der Antike stützte sich auch die Kleriker-Ausbildung auf diesen Grundstock literarisch-kosmologisch-künstlerischer Bildung; danach musste sie ihn selbst besorgen, in ihren eigenen Räumen.
+     *] Wie noch heute bei den Mohammedanern, spielte das Hören und Nachsprechen ins Auswendige im kirchlichen Unterricht eine große Rolle, eine größere Rolle nach als der Umgang mit der Schrift; in jener war nur fixiert, was man schon qua Gehör intus hatte, vielleicht bei Vergessen mal nachschlagen konnte. Schriftkenntnis war nicht mehr und noch nicht dazu da, Neues zu erkunden.
+     *] Mit der Karolingerzeit kehren die Artes liberales in die Domschulen ein, und damit eine Ausdifferenzierung des Unterrichts weit über die Singschule hinaus, der bis ins 12. Jahrhundert mehr und spezialisiertere Lehrkräfte einfordert, was schließlich in der Entstehung der Universitäten mündet.
+     *] Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und [/self-contained/] und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren verselbständigten Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
+     *] Erst später verneigt sich Latein als Lehrsprache vor humanistischer Klassiker-Vorliebe. Im Mittelalter ist Latein die Sprache der Schule, weil das nunmal die Sprache der Kirche ist.
+     *] Die Artes liberales enthalten keinen Elementar-Unterricht: das Alphabet musst du schon woanders gelernt haben, z.B. daheim oder in der Lehre.
+     *] Aries deduziert arkane Details der modernen Universitäts-Programme und ihrer nationalen Unterschiede aus mittelalterlichen Entwicklungen.
+     *] Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und etwas Anderes an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt. Wildes Fluktuieren zwischen Kursen.
+     *] Die Grammatik ist eine aufwendige, viele Jahre studierbare Wissenschaft, vergleichbar der Philologie
+     *] Der Schuleintritt erfolgt spät und unter allen Altersklassen. Es bilden sich zwar gewisse Altersdurchschnitte heraus, aber es irritiert niemanden, wenn alt wie jung denselben Donat lernen. Die Bildung hat noch keine Altersdramaturgie.
+     *] Der Student/Schüler wohnt selten bei Lehrer oder Familie, ist meist mit Anderen aller Altersklassen bei Ortsansässigen untergebracht und dann außerhalb des Unterrichts vollends sich selbst und diesen überlassen.
+     *] Die Artes liberales werden mal hier, mal da gelehrt, mal unter kirchlichem Dach, mal in gemieteten Räumen, mal in der Straßenecke; mal auf Stroh, später auf Bänken; reger Konkurrenzkampf, man macht sich gegenseitig Schüler abspenstig.
+   *] [*II.2: "Eine neue Institution: das Kolleg"*]:
+     *] Im Spätmittelalter bilden sich Kollegs heraus, Pensionen für mittellose Studenten, unterhalten von wohlhabenden Stiftern, ausgeführt im monastischen Geist, mit klösterlichen Ordnungen, Hausregeln für die Untergebrachten. Diese Disziplin macht sie bald auch für Wohlhabende attraktiv, die Stundenten dorthin schicken, um sie vor der Disziplinlosigkeit des mittelalterlichen Studienlebens zu bewahren.
+     *] Anfänglich in den Kollegs keine klare Trennung zwischen Schülern und Lehrenden; oftmals ja ein und dieselbe Person. Da bietet es sich an, auch im Kolleg den einen oder anderen Unterricht zu machen. So erfüllen die Kollegs neben einer Pensions- bald auch eine Schul-Funktion, die die Pensions-Funktion oft sogar bei Weitem überflügelt; aus Pensionen werden Internate und aus Internaten werden Externate.
+     *] Die disziplinierende Einkapselung im Kolleg wird immer mehr auch zu einer von verschiedenen Unterrichts-/Bildungs- und darüber tendenziell auch Altersklassen. Aus dem Nebeneinander der Unterrichts-Inhalte wird mehr und mehr ein Nacheinander gemacht. Draußen ist ein Dreizehnjähriger freier Erwachsener, im Kolleg aber unterliegt er einer Ordensregel, die ihn mit Jüngeren zusammen gegenüber Älteren abkapselt.
+     *] Unter steigendem Andrang wird aus einer monastischen Selbstverwaltung unter Gleichen immer mehr eine autoritäre Hierarchie, die Schüler und Lehrer, Verwalter klar trennt, ausgehend von einem Prinzipal an der Spitze. Aus vergleichsweise groben Haus- und Ordens-Regeln wird ein strenger Stunden- und Verhaltensplan. Tendenz hin zum militärischen Drill des Absolutismus und den Jesuiten-Schulen, wo Mönche Bürgerkinder erziehen.
+     *] Trotz Abkapselung der Jugend noch keine pädagogische Altersdramaturgie per se. Die strenge Hausordnung zielt nicht ab auf eine Psychologie der Erziehung, sondern entspringt klösterlichen Traditionen, den Geistlichen vor weltlichen Verwirrungen zu schützen. Erst im 15./16. Jahrhundert strömen Laien auf die Kollegs.
+   *] [*II.3: "Die Anfänge der Schulklassen"*]:
+     *] Im Mittelalter: große Unbestimmtheit des Alters, der Entwicklungsstufe. Heute: in der Kindheit/Jugend aufs Jahr genau, durch die Schulklasse, die jedem Entwicklungsjahr einen eigenen Charakter zuschreibt, diskret getrennt vom vorhergehenden oder nachfolgenden.
+     *] "Er stellt in aller Deutlichkeit fest, daß die Einteilung in Klassen für eine ordentlich funktionierende Schule unerläßlich ist; früher, so sagt er, 'war alles durcheinander gegangen und vermengt worden'." (p. 274) Die diskrete Schulklasse (fest umrissen: eine Lernstufe, eine Schülergruppe, ein Lehrer, ein Raum) ist ein weiteres Instrument gegen's mittelalterliche Gewusel. Es galt, Betten und Esstische aus den viel zu einladend großen Schulsälen zu vertreiben.
+     *] Bis ins 15. Jh. Gesamtunterricht einer ganzen Schülerschaft in einem Raum/Saal. Ansätze einer Ausdifferenzierung: verschiedene Lektionen für verschiedene Gruppen in diesem Raum, teils verschiedene Betreuer. Bald weitere Isolation, verschiedene Gruppen um verschiedene Säulen in der Halle, teils voneinander getrennt durch Vorhänge. Schließlich der eigene Raum. Größere Enge von Geographie von Personenzahl verbessert auch die Kontrollierbarkeit.
+     *] Zunehmende Strenge in der Lernstufen-Einteilung des Grammatikstudiums. Dem darauf folgenden höheren Studium gönnt man humanistisch höhere Freiheit, Länge, Fluidität. Ein Sonderbereich am Anfang des scholastischen Lebenslaufs zeichnet sich ab, der eine eigene Entwicklungs-Pädagogik erfordert. Es ist im 16. Jahrhundert unüblicher, Ältere im Anfängerstudium der Grammatik vorzufinden, wo sich nun zahlenmäßig vor allem Minderjährige tummeln.
+   *] [*II.4: "Die Altersklassen"*]:
+     *] Thomas Platter (* 1499) verlässt früh das Elternhaus, wird Hirte. Als er neun Jahre alt ist, kommt ihm die Idee, sich schulisch zu bilden, und er schließt sich einem vagabundierenden Scholasten an. So durchquert er Mitteleuropa und diverse Schulen. Dabei lernt er erst mit 19 Jahren lesen; den Donat kann er trotzdem schon auswendig, qua Gehör und Aufsagen. Jetzt entwickelt er sich noch zum erfolgreichen Humanisten. Im deutschsprachigen Raum war das Schulsystem auch Anfang 16. Jh. noch recht mittelalterlich.
+     *] Insofern sie der Gleichzeitigkeit und endlosen Weiterführbarkeit, Altersblindheit des Lernens verschrieben ist, entspricht die mittelalterliche Schule eher dem humanistischen Bildungsideal als das aufkommende neuzeitliche Schulsystem. Das drängt mehr und mehr zur allgemeinen Berufsqualifikation. Der mittelalterliche Scholastiker steht oftmals nicht am Beginn, sondern in der Mitte seines Werdegangs, stand schon prä-schulisch im Berufsleben (und sei es als Neunjähriger).
+     *] Im Mittelalter lernte man über die Lehrzeit. Man trat in die Erwachsenenwelt und den Beruf ein und lernte dann einfach durch die Praxis und den Meister; auch für aristokratische, intellektuelle Tätigkeiten. Nur die Kirche bildete eine Ausnahme. Mit Erfolg der Kollegs wird die Lehrzeit nun verdrängt, die kirchliche Vorbereitungsform breitet sich auf alle Berufsarten außer die handwerklichen aus, Lehrzeiten verkürzen sich und verschwinden dann. Heute haben wir nur noch Praktika.
+     *] Im 16./17. Jahrhundert gibt es zwar schon eine Lernstufen-Klassenabfolge; mit welchem Alter aber man sie betritt, wie schnell und wie kontinuierlich (überspringt man ein paar Jahre?) man sie absolviert, das ist noch recht chaotisch. Ein Bartträger als Schul-Einsteiger verwundert ebensowenig wie ein Dreizehnjähriger, der nach anderthalb Jahren Schulzeit fertig ist (vielleicht hat Kollegs-externe Bildung geholfen). Überhaupt springt man immer noch viel zwischen Lehrmeistern und Schulen hin und her.
+     *] Damals als Zwölfjähriger in den Militärdienst eintreten, gar in eine Offizierslaufbahn, auch das war nicht unüblich. Auch die Kriegskunst lernte man direkt auf dem Schlachtfeld.
+     *] Im 17. Jahrhundert war es üblich, die Kinder vom frühesten Zeitpunkt an mit fremdsprachigen Hauslehrern, Bediensteten, Kindermädchen zu umgeben. So konnte es sein, dass sie in einer nahezu rein Lateinisch sprechenden Welt aufwuchsen, mit nur wenigen Personen in ihrer Muttersprache verkehrten. Andere beliebte Sprachen in Frankreich: Deutsch, Englisch. (Peter Greenaaways "The Draughtsman's Contract" führt markant die Lektionen eines deutschen Kindermädchens im England der Zeit vor.)
+     *] Eine europäische Bildungsreise besorgte weitere Qualifikationen für den Eintritt in die feine Gesellschaft und ihre Berufe, die die Artes liberales nicht boten: Reiten, Fechten, Tanzen, Musizieren, Schönschreiben, Mathematik, lebende Sprachen, Weltkenntnis. Im 17. Jh. dem adligen Elternhaus aber oft zu kostspielig. Hier springt die Akademie ein, die all das in einem Paket und analog dem Kolleg in einem Lebens-kontrollierenden, -disziplinierenden Rahmen anbietet.
+     *] Ein weiterer Grund für die Akademie deutet bereits eine neue Altersklassenmoral an: die Europa-Reise scheint nicht passend für allzu junge und damit unreife Knaben, die, wenn besonders eifrig, vielleicht schon mit zwölf das Kolleg abgeschlossen haben. Dem verwandt ist vermutlich die Gewohnheit, zur bloßen Ausdehnung der Kollegszeit Klassen wiederholen zu lassen, damit man nur nicht zu schnell fertig werde.
+     *] Je später der Schuleintritt, desto niedriger vermutlich der Stand. Die feine Gesellschaft fasst von Anfang an Schulkarrieren ins Auge und hat dafür auch ohne Weiteres die Mittel; die Schlechtergestellten müssen schonmal darauf warten, dass der Sohn sich dort selbst versorgen kann, bis sie ihn in eine fremde Stadt schicken.
+     *] Bis ins 19. Jahrhundert bilden sich immer strenger durchgesetzte Standards für Altersklassen durch. Man beginnt, Klassen-Überspringer kritisch zu beäugen, warnt vor Unreifen in höheren Klassen, hält mehr und mehr einen bestimmten Entwicklungsstand einem bestimmten Alter für angemessen. Mehr und mehr entspricht eine Klasse einem typischen Lebensjahr. Zuerst sortiert man die Zu-Jungen aus, dann die Zu-Alten: der Spät-Einstieg wird immer schwieriger.
+     *] Nun gilt mehr und mehr der Schul-Eintritt als Zäsur einer frühen Kindheit; sind jüngere Jahrgänge vor der Vermischung mit älteren zu bewahren; zeichnet sich das Bürgertum ein klares Perioden-Modell der Persönlichkeitsentwicklung an einer Schulkarrieren-Abfolge nach. Bei Unterschicht und Arbeiterklasse bis ins 20. Jh. wird das nicht so feinziseliert; hier bleibt der Eintritt ins Leben der Erwachsenen und der Lehre recht früh nach einer Primär-Ausbildung.
+   *] [*II.5: "Die Fortschritte der Disziplin"*]:
+     *] Heute ziehen wir klare Trennlinien zwischen unserem privaten und unserem öffentlichen, unserem familiären und unserem beruflichen Leben; das Leben der Gelage und Feiern und Freunde dazwischen ist Sonderfall. Früher war alles anders: Alles war einander geschnürt, gerade von diesem Sonderfall zusammengehalten.
+     *] Die spätmittelalterliche Schülerschaft geht in selbstbestimmten Korporationen auf. Sie entstammen der Zeit der Alters- und Gilden-Gemeinschaften; hier trat man ein mit einer den vorherigen Charakter brechenden demütigend-obszönen Initation; dann war man Teil einer solidarischen Bruderschaft, deren Bande und Einpassung durch ständiges Beisammensein und Gelage gesichert wurden. Die Strafe für einen Regelverstoß war hier nicht die Züchtigung, sondern das Ausgeben von Wein oder das Einzahlen in die gemeinsame Wein-Kasse.
+     *] Dieser Welt gehört auch ein Umherziehen in Banden und das Anvertrauen junger Leute an ältere Umherziehende an, die dann für sie Verantwortung trugen; siehe die Jugend von Thomas Platter. Heute findet man Verwandtes in Jugend-Gangs. Man achtete solche Bindungen, auch wenn man ihnen nicht angehörte; man löste nicht einfach einen Abhängigen aus ihr, sondern akzeptierte den Kopf der Gruppe als Vormund und Verantwortlichen.
+     *] Ab dem 15./16. Jh. geraten Korporationen ins Fadenkreuz der Reformer; die organische Verwobenheit der Mitglieder, die Selbstbestimmtheit ihrer Regeln und Autoritäten (respektierte Gleiche unter Gleichen) gilt als Vorschub für Anarchie. Die Reformer setzen ihnen Herrschafts-Pyramiden, Solidaritäts-Bruch durch gegenseitige Monitor- und Denunziations-Pflicht und herabsetzende Körperstrafen entgegen.
+     *] Erst in dieser Zeit erhält die Rute den Charakter der Demütigung. Sie steht nun für die hierarchische Überlegenheit ihres (nun von oben, nicht länger aus den eigenen Reihen kommenden) Trägers gegenüber dem, der sie erleidet. Unter den Älteren erleiden sie nur die Armen (die Reichen können nach wie vor auf die Geldstrafe zurückgreifen); bei den Jüngeren gilt sie unterschiedslos, ohne Ansicht des Standes: Kinder gelten jetzt als sozial herabgesetzter, gesondert zu behandelnder Spezialfall, egal woher sie kommen.
+     *] Zum 18./19. Jahrhundert wird das Kontroll-Modell der Kindheit fluider: Anstatt mit der Rute eine statische Korrektheit durchzusetzen, zerbricht man sich jetzt den Kopf über Erziehung. Kindheit ist nicht mehr einfach ein gesondert behandelnder Stand der Schwäche, sondern einer der Entwicklung hin zum Erwachsensein, die es zu begleiten, zu fördern gilt.
+   *] [*II.6: "Vom Externat zum Internat"*]:
+     *] Zu Anfang (15./16. Jh.) sind die Schüler noch wie Junggesellen schulisch unkontrolliert ("Schülerfreiheit") in Bürgerhäusern einquartiert; monastisch kontrollierende Internierung wird nur von einigen Aristokraten teuer erkauft; selbst die Jesuiten favorisieren noch das Externat. Rundum-Lebenskontrolle von Schülern ist ein noch seltener, teuer erkaufter Luxus. Eher stellt man für Schutz und Kontrolle dem eigenen Knaben einen vertrauenswürdigen, vielleicht sogar gleichaltrigen Gesellen zur Seite.
+     *] Schulische Betreuung auch außerhalb des Unterrichts gewinnt aber langsam an Marktwert. Bürgerquartiere werben damit zahlkräftige Familien und werden sogar zuweilen schulmeisterlicher Inspektion unterworfen. Zuerst bietet man nur Repitition und Lebensführungskontrolle an; bald integriert man auch eigene Unterrichtsangebote. Und so wachsen Internats-Strukturen, vervollkommnen sich zum 18./19. Jh.
+     *] Im 18./19. Jh. sieht sich die Schule nun für das Rundumpaket nicht nur der Artes liberales, sondern tatsächlich der Formung des jungen Menschen verantwortlich. Einsperrung, Abschottung von der Welt wird nun zum pädagogischen Modell: Persönlichkeitsgestaltung in kontrollierter Umgebung. Um sie vor den schädlichen Einflüssen der Welt fernzuhalten, will man die jungen Menschen nicht mal mehr am Wochenende oder zu den Ferien hinaus oder gar heim lassen
+     *] Zugleich wächst im 19. Jh. der Wert des Eigenraums Familie und wird der Einsperrung im Internat zur Konkurrenz. Lieber noch als in institutioneller Kasernierung hält man die jungen Menschen in den eigenen vier Wänden. So verliert zum Ende des 19. Jh. das Internat zumindest in Frankreich (nicht so sehr in England) wieder an Zugkraft.
+   *] [*II.7: "Die 'Petites Ecoles'"*]:
+     *] In der Lateinschule erhalten die Kinder zu Anfang vor allem Chorknaben-Unterricht: Im Vordergrund steht das Singen, Latein und Lesen sind nachgeordnet und zuweilen vernachlässigt; mancherorts wählt man die Lehrer vor allem nach ihrer Gesangsstimme aus, ein Chorknabe muss keinen Cicero verstehen. Demgegenüber sind die Artes liberales an Kolleg und Universität schon ein anspruchsvolleres Paket.
+     *] Mehr an der Lateinschule zu lehren, das Schreiben oder gar Bücherwissen über den Donat hinaus, stolpert übers Konkurrenzverbot nicht nur mit anderen Schulformen, sondern auch z.B. mit den Schreibmeistern. Lesen und Schreiben werden, zumal vorm Kampf um volkssprachliche Orthographie, noch nicht als organische Einheit betrachtet; und tatsächlich, wann muss das Unterschichtskind schon schreiben? Schreibmaterial ist eh teuer. Notiz-Zettel zeugen von undiszipliniertem Gedächtnis.
+     *] Ins 18. Jh. integrieren die "Petites ecoles" die Lateinschule mit anderem praktischen Gegenständen: Sitten, Umgangsformen, Diverses was früher außerschulisch im Gesellschaftsleben gelernt wurde; und konkrete im Haushalts- wie Geschäftsleben nützliche Fertigkeiten wie Rechnen und korrektes, schönes Schreiben in verschiedenen Schriftarten, oftmals dem Privileg der Erwachsenen-Lehre bestimmter Berufe entzogen und nun zur Kinder-Lektion bestimmt.
+     *] Bewegungen zur Besserung, Qualifikation der Armen stiften diesen volkssprachliche, modern orientierte Grundschulen, auf die aber auch Wohlhabende gerne ihre Kinder schicken; Konkurrenz zu bisherigen Schulen. Arm und Reich sitzen hier im selben Raum, tendenziell mittelalterliche Gleichzeitigkeit von Hierarchie und Nähe. (Heute: legale Gleichheit bei faktischer räumlicher Trennung sozialer Stände.) "Petites ecoles" und der Weg zur allgemein grundbildenden "Grundschule" des 20. Jahrhundert.
+     *] Sozialkonservative Gegenbewegung ins 18./19. Jh. hinein: Wider die Verschulung der niederen Stände! Wir brauchen nicht Hunderttausende ausgebildete Priester, während der Acker unbestellt bleibt. Schule lehrt die niederen Stände Verachtung vor ihrer Aufgabe, und der Bauerntölpel gehört nicht mit dem Gentleman auf dieselbe Schulbank.
+     *] Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach berufsspezifische Lehre. Noch heute bleiben Universal-Studium und Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
+   *] [*II.8: "Die Härte des Schullebens"*]':
+     *] Unter dem Kapiteltitel stellt man sich vielleicht eine Beschreibung harscher autoritärer Unterdrückung der Schüler vor; tatsächlich scheint sie aber mehr abzuzielen auf das turbulente Treiben der Schüler selbst. Noch im 17. Jh., und in England noch länger, prügeln fechten schießen brandschatzen geiseln Schüler untereinander und mit Lehrern wie wild; Aufstände und Krawalle, gegen die sich die Studenten-Unruhen des 20. Jahrhunderts als zivilisierter Wahlurnengang ausnehmen.
+     *] Der Schüler des 17. Jh. hat einen skandalösen Ruf. Er gilt nicht zu Unrecht als wilder Frauenheld, und er verdient sein Brot mit Bettelei oder (erinnern wir uns an Platters Wanderschülerschaft) gar Diebstahl. Seine regelmäßige Betrunkenheit lässt sich auch von den Reformen kaum austreiben. Er steht in den Augen der Öffentlichkeit auf einer Stufe mit Vagabunden, Söldnern; allem was keinen ordentlichen Platz in der Gesellschaft hat
+     *] Für Aries Überbleibsel einer mittelalterlichen Impulsivität, die nur gegen viel Widerstand einer modernen Ordnung unterworfen wurde.
+     *] Nur die oberste Elite interessiert sich anfangs für ein ordentliches Auftreten, ein gutes Betragen; der "Gentleman" ist explizit eine Abgrenzung des Adels zur liederlichen Demokratie. Es wird Jahrhunderte dauern, bis der hässliche mittelalterliche Mob zum sauberen Kleinbürgertum zivilisiert ist. Die Ideologie des wohlerzogenen Kindes bohrt sich nur langsam die Gesellschaftsleiter herab.
+   *] [*II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"*]':
+     *] Der Weg der Schule vom Mittelalter in die Neuzeit ist der zur Schule als System der Disziplinierung.
+     *] Die Schule erfindet die Kindheit, oder verlängert sie doch zumindest; wo heute die Zäsur gezogen wird zwischen früher und später Kindheit, war früher der Übergang von der Entwöhnung ins Erwachsenenleben. Echo: Die Arbeiterkinder des 19. Jh.
+     *] Der Einfluss der Humanisten aufs moderne Bildungssystem ist überschätzt. Ihr Alters-egalitärer Bildungsbegriff ist unvereinbar dem Modell der Schule als altersgerechter Erziehungsanstalt. Stattdessen bewiesen die ganzen Reformer vor allem aus dem Kirchenumfeld ihren Einfluss.
+     *] Im 17. Jh. erscheint die Idee schulischer Bildung gerade auch gesellschaftlich hochstehender Frauen absurd. Schickt man sie ins Kloster, dann gerade mal für Religionsunterricht. Das mittelalterliche Altersmodell hält hier noch lange vor, eine Zehnjährige hat sich bereits fraulich zu benehmen, ein zwei Jahre später ist sie eh schon verheiratet.
+     *] Als die Schule ins 19. Jh. hinein mehr und mehr der Ort der altersgerechten Erziehung und Persönlichkeitsformung wird, gilt eine abgeschlossene Schulausbildung auch was. Vorher war es normal, vor oder während der letzten Etappe abzubrechen.
+     *] "Es läßt sich also eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem modernen Begriff der Altersklasse und dem der sozialen Klasse feststellen: beide sind zu derselben Zeit -- am Ende des 18. Jahrhunderts -- und in demselben Milieu -- dem Bürgertum -- entstanden." (p. 466)
+ *] [*III: "Die Familie"*]:
+   *] [*III.1: "Familienbilder"*]:
+     *] Etwas, das Aries "Privatleben" nennt, verortet er im Mittelalter im Berufsleben wie auch auf der Straße; unklar, inwieweit sich das aufs Familienleben bezieht. In jedem Fall habe sich hier das Meiste an Gemeinschaft abgespielt. Erst in der Renaissance beginnen die Gemälde, sich vom Freien den Innenräumen zuzuwenden, bis die häusliche Szene in den nachfolgenden Jahrhunderten schließlich zum Ideal wird.
+     *] Im Mittelalter zeigen die Bilder Individuen, denen dann in den folgenden Jahrhunderten nach und nach Familienmitglieder zugeordnet werden, erst schamvoll und beiläufig im Hintergrund, dann immer mehr als Gemeinschaft im Vordergrund, bis sich schließlich alles um die Kinder gruppiert. Zuerst sind es noch betont repräsentative, gestellte Porträts; dann kehrt immer mehr die Abbildung intimen häuslichen Lebens in den Vordergrund. Das Familien-Leben wird Richtung 19. Jh. immer mehr als Gegenstand [/en vogue/].
+     *] Sicher gab es im Mittelalter eine VaterMutterKind-Familie, ihr Wert und Halt und Schutz und sozialer Anspruch trat jedoch zurück vor den eigentlichen Großfamilien: der Dorfgemeinschaft bei den Bauern unterm Dach des Feudalherren, und innerhalb der Ritterschaft/Aristokratie der Sippe: hier hatten Blut und Name sehr viel mehr Deutungshoheit als die intime Welt zwischen Eltern und Kindern.
+     *] Wo solche großfamiliären Institutionen zerbrechen, gewinnt die Kleinfamilie an Bedeutung; sie verliert sie, wenn die größere Gesellschaft alternative Anknüpfungs- und Rückhaltspunkte bietet. (Diese These schreibt Aries Georges Duby zu.)
+     *] Als die mittelalterliche Dorf- o. Sippschafts-Großfamilien der neuzeitlichen Kleinfamilie weicht, wird letztere neuer Pfeiler, Atom der Gesellschaft, pyramidal bestimmt und repräsentiert vom männlichen Familienoberhaupt. Damit auch ein neues Erbrecht: statt ungeteiltem Sippschafts-Besitz Aufteilung auf künftige neue Familienoberhäupter; und Entrechtung der Frau, deren Person und Besitz ganz unter die vom Vater ausgehende Pyramide eingeht. Die patriarchale Großfamilie indes ist eine Illusion des 19. Jh.
+     *] Dieses Paterfamilias-Modell erinnert nicht zu Unrecht ans alte Rom: Die Betonung des Körpers Klein-Familie ist ein römischer Trend, der sich im Mittelalter mit germanischen Trends analog den Alters- und Klan-Gemeinschaften anderer Kulturen reibt. Man könnte sagen: Rom braucht hier ein Jahrtausend, um sich durchzusetzen.
+     *] Mittelalters war die Ehe gerade mal die Entschuldung sündig weltlicher Fleischeslust; heilig war nur das Kloster-Leben. Nun werden aber auch Kind und Familie geheiligt. Der Heilige Josef gewinnt an Bedeutung, als Familienoberhaupt nach dem neuen patriarchalen Muster. Das Weihnachtsfest reißt den Raum-Anspruch anderer Feste als explizites Familienfest an sich. Das Gebet, früher nur mit Priester aufzusagen, verlässt nun die Öffentlichkeit der Kirche, betritt den Familientisch, wo der Jüngste es aufsagen soll.
+     *] Ab dem 17. Jahrhundert nimmt die Kleinfamilie einen zentralen Platz im gesellschaftlichen Wertesystem ein, neben König und Kirche. Hier sucht man bald die Erfüllung.
+   *] [*III.2: "Von der mittelalterlichen zur modernen Familie"*]:
+     *] Vor der Zeit der Verschulung gab man die Kinder mit sieben Jahren in die Lehre, das hieß: als Bedienstete in einen anderen Haushalt; ebensogern nahm man selber aus anderen Familien solcherart Kinder entgegen. Keine große Trennlinie zwischen eigener und fremder Familie im Haushalt; Diener-Funktion auch bei eigenen Kindern üblich. Blut-blindes Abhängigkeitsband zwischen Herr und Diener. Eigene Kinder und Diener oft eng miteinander, kaum Altersunterschied; diese Vermengung ein Dorn im Auge der Reformer.
+     *] Noch im 17. Jh. war man nie allein; alles Leben war gesellschaftliches Leben, jede Tätigkeit fand im Beisammensein statt, jede Identität war eine soziale und forderte fortwährend Bestätigung durch Verkehr, Besuch, Trinkgelage ein. Fortkommen erwarb man nicht durch isolierte Tätigkeit, sondern durch geschickten gesellschaftlichen Umgang, durchs eigene soziale Auftreten und Ansehen. Kein Aspekt des Lebens, der nicht in irgendeiner Weise in größere soziale Kontexte eingebunden war, und sei es die Hochzeitsnacht.
+     *] So erklärt sich auch die Beliebtheit von Benimm-Fibeln. Die richtigen Manieren fördern das soziale Vorankommen. Das richtige soziale Verhalten schien man unter den Latein-Pedanten der Schulen nicht zu lernen; daher noch lange ein Misstrauen gerade auch des Adels ihnen gegenüber.
+     *] Früher hatten wir Manieren. Heute haben wir Polizei. (Die autoritäre Kontrolle des Staates war schwächer. Die des Beisammenseins, der gemeinsamen Sitten stärker.)
+     *] Die Armen hausten in elenden Kleinsträumlichkeiten, die keinen Raum für Intimität und Komfort boten; hier konnte kein moderner Familiensinn heranwachsen, und die Enge macht verständlich, warum man die Kinder so früh als möglich fortgab, in ein anderes (bei Familiengründung auch eigenes) Elendsquartier oder zur Aufnahme im Haus der Wohlhabenden als Teil der Dienerschaft.
+     *] In den Häusern der Wohlhabenden waren die Räume miteinander labyrinthisch verbunden, man musste durch alle hindurch, wenn man von A nach B wollte. Außer einer spartanischen Küche gab es keine funktionale Ausdifferenzierung. Möbel waren portabel, gegessen wurde an Klapptischen; man schlief zuweilen im selben Saal wo gerade gefeiert wurde, geschützt nur durch die Vorhänge des Bettgestells. Gäste, Diener, Familie, Pensionäre, Klienten, alles verkehrte gleichzeitig in denselben Räumen.
+     *] Die Allgegenwart des Gesellschaftlichen lebte sich gerade im Haus der Wohlhabenden aus. Die Öffentlichkeit des 17. Jh. war nicht die Straße oder das Cafe, sondern der Raum im Privatbesitz: Man traf sich ständig in irgendjemandes Haus, man besuchte einander fortwährend. Unangekündigt, zu allen nur denkbaren Zeiten. Das eigene Haus war nicht abweisende Festung, sondern Fortsetzung und Ausformulierung des gesellschaftlichen Gewusels.
+     *] Im 18. Jh. sucht man Intimität. Räume werden isoliert, sind jetzt über Korridore statt übereinander betretbar. Es gibt jetzt dedizierte Schlafzimmer, das Bett wird nicht mehr bewegt. Personengruppen erhalten ihre eigenen Räume, und man klingelt bei Bedarf die Dienstboten aus der Ferne herbei, anstatt sie permanent um sich rumwuseln zu lassen; man hält sie auf Distanz. Besuche nur noch in dafür vorgesehenen Räumen, zu vorgesehenen Zeiten, nach Ankündigung, nach postalischer Einladung.
+     *] Jetzt erst beginnen "chambre" und "salle" Unterschiedliches zu bedeuten. Früher waren Kammer und Saal dasselbe?
+     *] Das intime Familienleben beansprucht im 19. Jh. höchste Aufmerksamkeit und Investition. Die Anreden werden persönlicher: Kosenamen, Diminutive; sich absetzen von der Formalität der gesellschaftlichen Kommunikation. Alles für die Kinder! Kein Brief, der sich nicht sorgenvoll nach ihrer Gesundheit erkundet, von ihrem kleinsten Schnupfen mit größter Dringlichkeit berichtet. Ihr Wohlergehen, ihre Erziehung, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nimmt nun den allerersten Rang vor auch den eigenen Lebensumständen ein.
+     *] Die Kinder-Hätschelei des 16. Jh., das Amusement über die Äffchen, weicht nun dem viktorianischen Ernst für die Familie. Ein sterbendes Kleinkind ist unersetzbar, eine Tragödie. Aus profanen materiellen Umständen die eigenen Kinder benachteiligen, undenkbar. Das Erstgeborenenprivileg etwa gilt nun als herzlos und ungerecht.
+   *] [*III.Schlussbemerkung: "Familie und Sozialität"*]:
+     *] Die Schule verdoppelt die Dauer der Kindheit, trennt die Schüler von der Erwachsenenwelt, verzögert ihre Entlassung aus der Verantwortung des Elternhauses. Letzteres zieht nach und entwickelt einen neuen kulturellen und psychischen Apparat für die umfassendere und verlängerte Inbesitznahme der Nachkommen: den Familiensinn.
+     *] Der Familiensinn treibt einen Keil in die Sozialität des Ancien Regime. Das neue Verlangen nach Familienleben und Intimität drängt das gesellschaftliche Leben beiseite, behauptet einen anwachsenden familialen Privatraum gegen das Öffentliche, die Straße, den Beruf und die Freunde.
+     *] Man nennt diese historische Loslösung aus den gesellschaftlichen Banden gerne eine Individualisierung. Für Aries ist es aber keine erstarkende Selbstbestimmtheit des Individuums, sondern vielmehr der Tausch vielfältiger Eingebundenheit in ein großes gesellschaftliches Panorama gegen die Enge des Familienschoßes als neuem Überkörper.
+ *] [*Schlussbetrachtung*]:
+   *] Die Kirche schuf die Kloster für moralisches Leben und fand sich mit der Unmoral der restlichen Welt ab. Die Moralisten der Neuzeit geben sich damit nicht länger zufrieden, wollen das gesellschaftliche Gewusel aus dem Mittelalter moralisieren, disziplinieren.
+   *] Im mittelalterlichen Gewusel gibt es ausdrucksstarke Hierarchien, Sozial-Unterschiede; aber stets auf engstem Raum, ohne Scham der Begegnung und Durchmischung. Das wird nun bekämpft. Das verworrene Wollknäuel und Chaos wird über Jahrhunderte mühsam und unter viel Kampf und Gewalt auseinanderklamüsert, segregiert, in geschlossene Einheiten zerlegt, die Familie, die Klasse, das Lebensalter, der Kitt gekappt, alles säuberlich voneinander getrennt, in Abstand voneinander gesetzt. Keine Durchmischung oder Nähe mehr dessen, was nicht zueinander gehört!
2011-03-22 02:37:49 (rückgängig machen): GlobalReplace: ''text'' to [/text/] (Admin):
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-     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und ''self-contained'' und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren verselbständigten Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
+     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und [/self-contained/] und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren verselbständigten Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
123c123
-     * Im Mittelalter zeigen die Bilder Individuen, denen dann in den folgenden Jahrhunderten nach und nach Familienmitglieder zugeordnet werden, erst schamvoll und beiläufig im Hintergrund, dann immer mehr als Gemeinschaft im Vordergrund, bis sich schließlich alles um die Kinder gruppiert. Zuerst sind es noch betont repräsentative, gestellte Porträts; dann kehrt immer mehr die Abbildung intimen häuslichen Lebens in den Vordergrund. Das Familien-Leben wird Richtung 19. Jh. immer mehr als Gegenstand ''en vogue''.
+     * Im Mittelalter zeigen die Bilder Individuen, denen dann in den folgenden Jahrhunderten nach und nach Familienmitglieder zugeordnet werden, erst schamvoll und beiläufig im Hintergrund, dann immer mehr als Gemeinschaft im Vordergrund, bis sich schließlich alles um die Kinder gruppiert. Zuerst sind es noch betont repräsentative, gestellte Porträts; dann kehrt immer mehr die Abbildung intimen häuslichen Lebens in den Vordergrund. Das Familien-Leben wird Richtung 19. Jh. immer mehr als Gegenstand [/en vogue/].
2011-03-22 02:37:01 (rückgängig machen): GlobalReplace: '''text''' to [*text*] (Admin):
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- * '''"Vorwort zur deutschen Ausgabe"''':
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+   * [*I.Schlussbemerkung: "Die beiden Einstellungen zur Kindheit"*]:
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- * '''II: "Das Schulleben"''':
-   * '''II.1: "Junge und alte Schüler im Mittelalter"''':
+ * [*II: "Das Schulleben"*]:
+   * [*II.1: "Junge und alte Schüler im Mittelalter"*]:
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-   * '''II.2: "Eine neue Institution: das Kolleg"''':
+   * [*II.2: "Eine neue Institution: das Kolleg"*]:
72c72
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+   * [*II.3: "Die Anfänge der Schulklassen"*]:
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+   * [*II.4: "Die Altersklassen"*]:
89c89
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+   * [*II.5: "Die Fortschritte der Disziplin"*]:
96c96
-   * '''II.6: "Vom Externat zum Internat"''':
+   * [*II.6: "Vom Externat zum Internat"*]:
101c101
-   * '''II.7: "Die 'Petites Ecoles'"''':
+   * [*II.7: "Die 'Petites Ecoles'"*]:
108c108
-   * '''II.8: "Die Härte des Schullebens"'''':
+   * [*II.8: "Die Härte des Schullebens"*]':
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-   * '''II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"'''':
+   * [*II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"*]':
120,121c120,121
- * '''III: "Die Familie"''':
-   * '''III.1: "Familienbilder"''':
+ * [*III: "Die Familie"*]:
+   * [*III.1: "Familienbilder"*]:
130c130
-   * '''III.2: "Von der mittelalterlichen zur modernen Familie"''':
+   * [*III.2: "Von der mittelalterlichen zur modernen Familie"*]:
142c142
-   * '''III.Schlussbemerkung: "Familie und Sozialität"''':
+   * [*III.Schlussbemerkung: "Familie und Sozialität"*]:
146c146
- * '''Schlussbetrachtung''':
+ * [*Schlussbetrachtung*]:
2011-02-14 23:03:18 (rückgängig machen): (plomlompom):
101c101
-   * '''II.7: "Die 'Petites Ecoles'"'''':
+   * '''II.7: "Die 'Petites Ecoles'"''':
2011-02-14 22:58:21 (rückgängig machen): (plomlompom):
13c13
-   * Rückzug der Familie ab dem 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe Rybczynski.
+   * Rückzug der Familie ab dem 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe [[Rybczynski]].
2011-02-14 22:48:02 (rückgängig machen): (plomlompom):
1c1
- Buch: Philippe Ariès, "Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime".
+ Buch: Philippe Ariès, "Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime" (1960)
2011-02-14 22:35:59 (rückgängig machen): (plomlompom):
107c107
-     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach berufsspezifische Lehre. Noch heute bleiben Universal-Studium Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
+     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach berufsspezifische Lehre. Noch heute bleiben Universal-Studium und Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
2011-02-14 22:23:21 (rückgängig machen): (plomlompom):
44c44
-     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört entgegen einer widerstrebenden Natur durchgesetzt.
+     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört gegen eine widerstrebende Natur durchgesetzt.
2011-02-14 22:22:28 (rückgängig machen): (plomlompom):
43c43
-     * Jean Gerson interessierte sich ja schon im 15. Jahrhundert für die Sexualität der Heranwachsenden. Er erkannte die Verbreitetheit, Unvermeidbarkeit von Erektion und Masturbation; anstatt sie aber infolge für harmlos zu erklären, warb er für diese Kenntnis als Kontroll-Instrument: Ein Knabe, der solcherlei nicht beichtet, ist als Lügner identifizierbar!
+     * Jean Gerson interessierte sich ja schon im 15. Jahrhundert für die Sexualität der Heranwachsenden. Er erkannte die Verbreitetheit, Unvermeidbarkeit von Erektion und Masturbation; anstatt sie aber infolge für harmlos zu erklären, warb er für diese Kenntnis als Kontroll-Instrument: Ein Knabe, der solcherlei nicht beichtet, ist als Lügner überführt!
2011-02-14 22:20:02 (rückgängig machen): (plomlompom):
27c27
-     * Bis ins 16. Jahrhundert trägt das Kind nach der Windel sofort Erwachsenenkleidung. Dann gehen die höheren Stände einen Sonderweg: Der Zehnjährige mag Erwachsenenkleidung tragen, davor aber trägt er Kleid, Häubchen, Gängelband and falsche Ärmel.
+     * Bis ins 16. Jahrhundert trägt das Kind nach der Windel sofort Erwachsenenkleidung. Dann gehen die höheren Stände einen Sonderweg: Der Zehnjährige mag Erwachsenenkleidung tragen, wenige Jahre zuvor aber trägt er Kleid, Häubchen, Gängelband and falsche Ärmel.
2011-02-14 22:16:03 (rückgängig machen): (plomlompom):
11c11
-   * Noch bis ins 17. Jahrhundert fanden Eltern nicht groß was dabei, ihre Kleinkinder sterben zu lassen, auch wenn die Kirche es verdammte. Schulterzuckend merkt er an, heute propagieren wir halt Abtreibung.
+   * Noch bis ins 17. Jahrhundert fanden Eltern nicht groß was dabei, ihre Kleinkinder sterben zu lassen, auch wenn die Kirche es verdammte. Schulterzuckend merkt Aries an, heute propagieren wir halt Abtreibung.
2011-02-14 22:15:21 (rückgängig machen): (plomlompom):
9c9
-   * Entromantisierung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
+   * Entromantisierung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter nichts weiter als verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
2011-02-14 19:44:23 (rückgängig machen): (plomlompom):
1c1
- Buch: Philippe Ariès, "Die Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime".
+ Buch: Philippe Ariès, "Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime".
147,148c147,148
-     * Die Kirche schuf die Kloster für moralisches Leben und fand sich mit der Unmoral der restlichen Welt ab. Die Moralisten der Neuzeit geben sich damit nicht länger zufrieden, wollen das gesellschaftliche Gewusel aus dem Mittelalter moralisieren, disziplinieren.
-     * Im mittelalterlichen Gewusel gibt es ausdrucksstarke Hierarchien, Sozial-Unterschiede; aber stets auf engstem Raum, ohne Scham der Begegnung und Durchmischung. Das wird nun bekämpft. Das verworrene Wollknäuel und Chaos wird über Jahrhunderte mühsam und unter viel Kampf und Gewalt auseinanderklamüsert, segregiert, in geschlossene Einheiten zerlegt, die Familie, die Klasse, das Lebensalter, der Kitt gekappt, alles säuberlich voneinander getrennt, in Abstand voneinander gesetzt. Keine Durchmischung oder Nähe mehr dessen, was nicht zueinander gehört!
+   * Die Kirche schuf die Kloster für moralisches Leben und fand sich mit der Unmoral der restlichen Welt ab. Die Moralisten der Neuzeit geben sich damit nicht länger zufrieden, wollen das gesellschaftliche Gewusel aus dem Mittelalter moralisieren, disziplinieren.
+   * Im mittelalterlichen Gewusel gibt es ausdrucksstarke Hierarchien, Sozial-Unterschiede; aber stets auf engstem Raum, ohne Scham der Begegnung und Durchmischung. Das wird nun bekämpft. Das verworrene Wollknäuel und Chaos wird über Jahrhunderte mühsam und unter viel Kampf und Gewalt auseinanderklamüsert, segregiert, in geschlossene Einheiten zerlegt, die Familie, die Klasse, das Lebensalter, der Kitt gekappt, alles säuberlich voneinander getrennt, in Abstand voneinander gesetzt. Keine Durchmischung oder Nähe mehr dessen, was nicht zueinander gehört!
2011-02-14 19:43:50 (rückgängig machen): (plomlompom):
147c147,148
-   * ...
+     * Die Kirche schuf die Kloster für moralisches Leben und fand sich mit der Unmoral der restlichen Welt ab. Die Moralisten der Neuzeit geben sich damit nicht länger zufrieden, wollen das gesellschaftliche Gewusel aus dem Mittelalter moralisieren, disziplinieren.
+     * Im mittelalterlichen Gewusel gibt es ausdrucksstarke Hierarchien, Sozial-Unterschiede; aber stets auf engstem Raum, ohne Scham der Begegnung und Durchmischung. Das wird nun bekämpft. Das verworrene Wollknäuel und Chaos wird über Jahrhunderte mühsam und unter viel Kampf und Gewalt auseinanderklamüsert, segregiert, in geschlossene Einheiten zerlegt, die Familie, die Klasse, das Lebensalter, der Kitt gekappt, alles säuberlich voneinander getrennt, in Abstand voneinander gesetzt. Keine Durchmischung oder Nähe mehr dessen, was nicht zueinander gehört!
2011-02-14 19:43:22 (rückgängig machen): (plomlompom):
143c143,145
-     * ...
+     * Die Schule verdoppelt die Dauer der Kindheit, trennt die Schüler von der Erwachsenenwelt, verzögert ihre Entlassung aus der Verantwortung des Elternhauses. Letzteres zieht nach und entwickelt einen neuen kulturellen und psychischen Apparat für die umfassendere und verlängerte Inbesitznahme der Nachkommen: den Familiensinn.
+     * Der Familiensinn treibt einen Keil in die Sozialität des Ancien Regime. Das neue Verlangen nach Familienleben und Intimität drängt das gesellschaftliche Leben beiseite, behauptet einen anwachsenden familialen Privatraum gegen das Öffentliche, die Straße, den Beruf und die Freunde.
+     * Man nennt diese historische Loslösung aus den gesellschaftlichen Banden gerne eine Individualisierung. Für Aries ist es aber keine erstarkende Selbstbestimmtheit des Individuums, sondern vielmehr der Tausch vielfältiger Eingebundenheit in ein großes gesellschaftliches Panorama gegen die Enge des Familienschoßes als neuem Überkörper.
2011-02-14 19:40:27 (rückgängig machen): (plomlompom):
133c133
-     * So erklärt sich auch die Beliebtheit von Benimm-Fibeln. Die richtigen Manieren fördern das soziale Vorankommen. Das richtige soziale Verhalten schien man unter den Latein-Pedanten der Schulen nicht zu lernen; daher auch noch lange ein Misstrauen gerade auch des Adels ihnen gegenüber.
+     * So erklärt sich auch die Beliebtheit von Benimm-Fibeln. Die richtigen Manieren fördern das soziale Vorankommen. Das richtige soziale Verhalten schien man unter den Latein-Pedanten der Schulen nicht zu lernen; daher noch lange ein Misstrauen gerade auch des Adels ihnen gegenüber.
2011-02-14 19:39:51 (rückgängig machen): (plomlompom):
132c132
-     * Noch im 17. Jh. war man nie allein; alles Leben war gesellschaftliches Leben, jede Tätigkeit fand im Beisammensein statt, jede Identität war eine soziale und forderte fortwährend Bestätigung durch Verkehr, Besuch, Trinkgelage ein. Fortkommen erwarb man nicht durch isolierte Tätigkeit, sondern durch geschickten gesellschaftlichen Umgang, durchs eigene soziale Auftreten und Ansehen. Kein Aspekt des Lebens, der nicht in irgendeiner Weise in größere soziale Kontexte eingebunden sei, und sei es die Hochzeitsnacht.
+     * Noch im 17. Jh. war man nie allein; alles Leben war gesellschaftliches Leben, jede Tätigkeit fand im Beisammensein statt, jede Identität war eine soziale und forderte fortwährend Bestätigung durch Verkehr, Besuch, Trinkgelage ein. Fortkommen erwarb man nicht durch isolierte Tätigkeit, sondern durch geschickten gesellschaftlichen Umgang, durchs eigene soziale Auftreten und Ansehen. Kein Aspekt des Lebens, der nicht in irgendeiner Weise in größere soziale Kontexte eingebunden war, und sei es die Hochzeitsnacht.
2011-02-14 19:38:25 (rückgängig machen): (plomlompom):
1c1,3
- Buch: Philippe Ariès, "Die Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime"
+ Buch: Philippe Ariès, "Die Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime".
+ 
+ Schluss-Satz: "Der Familiensinn, das Klassenbewusstsein, anderswo vielleicht auch das Rassenbewusstsein, scheinen verschiedene Äußerungsformen derselben Intoleranz gegenüber der Vielfalt und desselben Strebens nach Uniformität zu sein."
129c131,141
-     * ...
+     * Vor der Zeit der Verschulung gab man die Kinder mit sieben Jahren in die Lehre, das hieß: als Bedienstete in einen anderen Haushalt; ebensogern nahm man selber aus anderen Familien solcherart Kinder entgegen. Keine große Trennlinie zwischen eigener und fremder Familie im Haushalt; Diener-Funktion auch bei eigenen Kindern üblich. Blut-blindes Abhängigkeitsband zwischen Herr und Diener. Eigene Kinder und Diener oft eng miteinander, kaum Altersunterschied; diese Vermengung ein Dorn im Auge der Reformer.
+     * Noch im 17. Jh. war man nie allein; alles Leben war gesellschaftliches Leben, jede Tätigkeit fand im Beisammensein statt, jede Identität war eine soziale und forderte fortwährend Bestätigung durch Verkehr, Besuch, Trinkgelage ein. Fortkommen erwarb man nicht durch isolierte Tätigkeit, sondern durch geschickten gesellschaftlichen Umgang, durchs eigene soziale Auftreten und Ansehen. Kein Aspekt des Lebens, der nicht in irgendeiner Weise in größere soziale Kontexte eingebunden sei, und sei es die Hochzeitsnacht.
+     * So erklärt sich auch die Beliebtheit von Benimm-Fibeln. Die richtigen Manieren fördern das soziale Vorankommen. Das richtige soziale Verhalten schien man unter den Latein-Pedanten der Schulen nicht zu lernen; daher auch noch lange ein Misstrauen gerade auch des Adels ihnen gegenüber.
+     * Früher hatten wir Manieren. Heute haben wir Polizei. (Die autoritäre Kontrolle des Staates war schwächer. Die des Beisammenseins, der gemeinsamen Sitten stärker.)
+     * Die Armen hausten in elenden Kleinsträumlichkeiten, die keinen Raum für Intimität und Komfort boten; hier konnte kein moderner Familiensinn heranwachsen, und die Enge macht verständlich, warum man die Kinder so früh als möglich fortgab, in ein anderes (bei Familiengründung auch eigenes) Elendsquartier oder zur Aufnahme im Haus der Wohlhabenden als Teil der Dienerschaft.
+     * In den Häusern der Wohlhabenden waren die Räume miteinander labyrinthisch verbunden, man musste durch alle hindurch, wenn man von A nach B wollte. Außer einer spartanischen Küche gab es keine funktionale Ausdifferenzierung. Möbel waren portabel, gegessen wurde an Klapptischen; man schlief zuweilen im selben Saal wo gerade gefeiert wurde, geschützt nur durch die Vorhänge des Bettgestells. Gäste, Diener, Familie, Pensionäre, Klienten, alles verkehrte gleichzeitig in denselben Räumen.
+     * Die Allgegenwart des Gesellschaftlichen lebte sich gerade im Haus der Wohlhabenden aus. Die Öffentlichkeit des 17. Jh. war nicht die Straße oder das Cafe, sondern der Raum im Privatbesitz: Man traf sich ständig in irgendjemandes Haus, man besuchte einander fortwährend. Unangekündigt, zu allen nur denkbaren Zeiten. Das eigene Haus war nicht abweisende Festung, sondern Fortsetzung und Ausformulierung des gesellschaftlichen Gewusels.
+     * Im 18. Jh. sucht man Intimität. Räume werden isoliert, sind jetzt über Korridore statt übereinander betretbar. Es gibt jetzt dedizierte Schlafzimmer, das Bett wird nicht mehr bewegt. Personengruppen erhalten ihre eigenen Räume, und man klingelt bei Bedarf die Dienstboten aus der Ferne herbei, anstatt sie permanent um sich rumwuseln zu lassen; man hält sie auf Distanz. Besuche nur noch in dafür vorgesehenen Räumen, zu vorgesehenen Zeiten, nach Ankündigung, nach postalischer Einladung.
+     * Jetzt erst beginnen "chambre" und "salle" Unterschiedliches zu bedeuten. Früher waren Kammer und Saal dasselbe?
+     * Das intime Familienleben beansprucht im 19. Jh. höchste Aufmerksamkeit und Investition. Die Anreden werden persönlicher: Kosenamen, Diminutive; sich absetzen von der Formalität der gesellschaftlichen Kommunikation. Alles für die Kinder! Kein Brief, der sich nicht sorgenvoll nach ihrer Gesundheit erkundet, von ihrem kleinsten Schnupfen mit größter Dringlichkeit berichtet. Ihr Wohlergehen, ihre Erziehung, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nimmt nun den allerersten Rang vor auch den eigenen Lebensumständen ein.
+     * Die Kinder-Hätschelei des 16. Jh., das Amusement über die Äffchen, weicht nun dem viktorianischen Ernst für die Familie. Ein sterbendes Kleinkind ist unersetzbar, eine Tragödie. Aus profanen materiellen Umständen die eigenen Kinder benachteiligen, undenkbar. Das Erstgeborenenprivileg etwa gilt nun als herzlos und ungerecht.
2011-02-14 14:53:30 (rückgängig machen): (plomlompom):
120c120,127
-     * ...
+     * Etwas, das Aries "Privatleben" nennt, verortet er im Mittelalter im Berufsleben wie auch auf der Straße; unklar, inwieweit sich das aufs Familienleben bezieht. In jedem Fall habe sich hier das Meiste an Gemeinschaft abgespielt. Erst in der Renaissance beginnen die Gemälde, sich vom Freien den Innenräumen zuzuwenden, bis die häusliche Szene in den nachfolgenden Jahrhunderten schließlich zum Ideal wird.
+     * Im Mittelalter zeigen die Bilder Individuen, denen dann in den folgenden Jahrhunderten nach und nach Familienmitglieder zugeordnet werden, erst schamvoll und beiläufig im Hintergrund, dann immer mehr als Gemeinschaft im Vordergrund, bis sich schließlich alles um die Kinder gruppiert. Zuerst sind es noch betont repräsentative, gestellte Porträts; dann kehrt immer mehr die Abbildung intimen häuslichen Lebens in den Vordergrund. Das Familien-Leben wird Richtung 19. Jh. immer mehr als Gegenstand ''en vogue''.
+     * Sicher gab es im Mittelalter eine VaterMutterKind-Familie, ihr Wert und Halt und Schutz und sozialer Anspruch trat jedoch zurück vor den eigentlichen Großfamilien: der Dorfgemeinschaft bei den Bauern unterm Dach des Feudalherren, und innerhalb der Ritterschaft/Aristokratie der Sippe: hier hatten Blut und Name sehr viel mehr Deutungshoheit als die intime Welt zwischen Eltern und Kindern.
+     * Wo solche großfamiliären Institutionen zerbrechen, gewinnt die Kleinfamilie an Bedeutung; sie verliert sie, wenn die größere Gesellschaft alternative Anknüpfungs- und Rückhaltspunkte bietet. (Diese These schreibt Aries Georges Duby zu.)
+     * Als die mittelalterliche Dorf- o. Sippschafts-Großfamilien der neuzeitlichen Kleinfamilie weicht, wird letztere neuer Pfeiler, Atom der Gesellschaft, pyramidal bestimmt und repräsentiert vom männlichen Familienoberhaupt. Damit auch ein neues Erbrecht: statt ungeteiltem Sippschafts-Besitz Aufteilung auf künftige neue Familienoberhäupter; und Entrechtung der Frau, deren Person und Besitz ganz unter die vom Vater ausgehende Pyramide eingeht. Die patriarchale Großfamilie indes ist eine Illusion des 19. Jh.
+     * Dieses Paterfamilias-Modell erinnert nicht zu Unrecht ans alte Rom: Die Betonung des Körpers Klein-Familie ist ein römischer Trend, der sich im Mittelalter mit germanischen Trends analog den Alters- und Klan-Gemeinschaften anderer Kulturen reibt. Man könnte sagen: Rom braucht hier ein Jahrtausend, um sich durchzusetzen.
+     * Mittelalters war die Ehe gerade mal die Entschuldung sündig weltlicher Fleischeslust; heilig war nur das Kloster-Leben. Nun werden aber auch Kind und Familie geheiligt. Der Heilige Josef gewinnt an Bedeutung, als Familienoberhaupt nach dem neuen patriarchalen Muster. Das Weihnachtsfest reißt den Raum-Anspruch anderer Feste als explizites Familienfest an sich. Das Gebet, früher nur mit Priester aufzusagen, verlässt nun die Öffentlichkeit der Kirche, betritt den Familientisch, wo der Jüngste es aufsagen soll.
+     * Ab dem 17. Jahrhundert nimmt die Kleinfamilie einen zentralen Platz im gesellschaftlichen Wertesystem ein, neben König und Kirche. Hier sucht man bald die Erfüllung.
2011-02-14 13:26:01 (rückgängig machen): (plomlompom):
117a118,126
+ * '''III: "Die Familie"''':
+   * '''III.1: "Familienbilder"''':
+     * ...
+   * '''III.2: "Von der mittelalterlichen zur modernen Familie"''':
+     * ...
+   * '''III.Schlussbemerkung: "Familie und Sozialität"''':
+     * ...
+ * '''Schlussbetrachtung''':
+   * ...
2011-02-14 06:24:39 (rückgängig machen): (plomlompom):
105c105
-     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach Lehre. Noch heute bleibt das Studium der Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
+     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach berufsspezifische Lehre. Noch heute bleiben Universal-Studium Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
112c112,117
-     * ...
+     * Der Weg der Schule vom Mittelalter in die Neuzeit ist der zur Schule als System der Disziplinierung.
+     * Die Schule erfindet die Kindheit, oder verlängert sie doch zumindest; wo heute die Zäsur gezogen wird zwischen früher und später Kindheit, war früher der Übergang von der Entwöhnung ins Erwachsenenleben. Echo: Die Arbeiterkinder des 19. Jh.
+     * Der Einfluss der Humanisten aufs moderne Bildungssystem ist überschätzt. Ihr Alters-egalitärer Bildungsbegriff ist unvereinbar dem Modell der Schule als altersgerechter Erziehungsanstalt. Stattdessen bewiesen die ganzen Reformer vor allem aus dem Kirchenumfeld ihren Einfluss.
+     * Im 17. Jh. erscheint die Idee schulischer Bildung gerade auch gesellschaftlich hochstehender Frauen absurd. Schickt man sie ins Kloster, dann gerade mal für Religionsunterricht. Das mittelalterliche Altersmodell hält hier noch lange vor, eine Zehnjährige hat sich bereits fraulich zu benehmen, ein zwei Jahre später ist sie eh schon verheiratet.
+     * Als die Schule ins 19. Jh. hinein mehr und mehr der Ort der altersgerechten Erziehung und Persönlichkeitsformung wird, gilt eine abgeschlossene Schulausbildung auch was. Vorher war es normal, vor oder während der letzten Etappe abzubrechen.
+     * "Es läßt sich also eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen dem modernen Begriff der Altersklasse und dem der sozialen Klasse feststellen: beide sind zu derselben Zeit -- am Ende des 18. Jahrhunderts -- und in demselben Milieu -- dem Bürgertum -- entstanden." (p. 466)
2011-02-14 06:11:53 (rückgängig machen): (plomlompom):
105c105
-     * Kompromiss bis in Gegenwart: Nach der Grundschule wird ausdifferenziert. Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Lehre. Noch heute bleibt das Studium der Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
+     * Kompromiss bis in Gegenwart: Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Volksschule und danach Lehre. Noch heute bleibt das Studium der Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
2011-02-14 05:56:14 (rückgängig machen): (plomlompom):
106a107,111
+     * Unter dem Kapiteltitel stellt man sich vielleicht eine Beschreibung harscher autoritärer Unterdrückung der Schüler vor; tatsächlich scheint sie aber mehr abzuzielen auf das turbulente Treiben der Schüler selbst. Noch im 17. Jh., und in England noch länger, prügeln fechten schießen brandschatzen geiseln Schüler untereinander und mit Lehrern wie wild; Aufstände und Krawalle, gegen die sich die Studenten-Unruhen des 20. Jahrhunderts als zivilisierter Wahlurnengang ausnehmen.
+     * Der Schüler des 17. Jh. hat einen skandalösen Ruf. Er gilt nicht zu Unrecht als wilder Frauenheld, und er verdient sein Brot mit Bettelei oder (erinnern wir uns an Platters Wanderschülerschaft) gar Diebstahl. Seine regelmäßige Betrunkenheit lässt sich auch von den Reformen kaum austreiben. Er steht in den Augen der Öffentlichkeit auf einer Stufe mit Vagabunden, Söldnern; allem was keinen ordentlichen Platz in der Gesellschaft hat
+     * Für Aries Überbleibsel einer mittelalterlichen Impulsivität, die nur gegen viel Widerstand einer modernen Ordnung unterworfen wurde.
+     * Nur die oberste Elite interessiert sich anfangs für ein ordentliches Auftreten, ein gutes Betragen; der "Gentleman" ist explizit eine Abgrenzung des Adels zur liederlichen Demokratie. Es wird Jahrhunderte dauern, bis der hässliche mittelalterliche Mob zum sauberen Kleinbürgertum zivilisiert ist. Die Ideologie des wohlerzogenen Kindes bohrt sich nur langsam die Gesellschaftsleiter herab.
+   * '''II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"'''':
108d112
-   * '''II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"'''':
2011-02-14 05:17:06 (rückgängig machen): (plomlompom):
100c100,105
-     * ...
+     * In der Lateinschule erhalten die Kinder zu Anfang vor allem Chorknaben-Unterricht: Im Vordergrund steht das Singen, Latein und Lesen sind nachgeordnet und zuweilen vernachlässigt; mancherorts wählt man die Lehrer vor allem nach ihrer Gesangsstimme aus, ein Chorknabe muss keinen Cicero verstehen. Demgegenüber sind die Artes liberales an Kolleg und Universität schon ein anspruchsvolleres Paket.
+     * Mehr an der Lateinschule zu lehren, das Schreiben oder gar Bücherwissen über den Donat hinaus, stolpert übers Konkurrenzverbot nicht nur mit anderen Schulformen, sondern auch z.B. mit den Schreibmeistern. Lesen und Schreiben werden, zumal vorm Kampf um volkssprachliche Orthographie, noch nicht als organische Einheit betrachtet; und tatsächlich, wann muss das Unterschichtskind schon schreiben? Schreibmaterial ist eh teuer. Notiz-Zettel zeugen von undiszipliniertem Gedächtnis.
+     * Ins 18. Jh. integrieren die "Petites ecoles" die Lateinschule mit anderem praktischen Gegenständen: Sitten, Umgangsformen, Diverses was früher außerschulisch im Gesellschaftsleben gelernt wurde; und konkrete im Haushalts- wie Geschäftsleben nützliche Fertigkeiten wie Rechnen und korrektes, schönes Schreiben in verschiedenen Schriftarten, oftmals dem Privileg der Erwachsenen-Lehre bestimmter Berufe entzogen und nun zur Kinder-Lektion bestimmt.
+     * Bewegungen zur Besserung, Qualifikation der Armen stiften diesen volkssprachliche, modern orientierte Grundschulen, auf die aber auch Wohlhabende gerne ihre Kinder schicken; Konkurrenz zu bisherigen Schulen. Arm und Reich sitzen hier im selben Raum, tendenziell mittelalterliche Gleichzeitigkeit von Hierarchie und Nähe. (Heute: legale Gleichheit bei faktischer räumlicher Trennung sozialer Stände.) "Petites ecoles" und der Weg zur allgemein grundbildenden "Grundschule" des 20. Jahrhundert.
+     * Sozialkonservative Gegenbewegung ins 18./19. Jh. hinein: Wider die Verschulung der niederen Stände! Wir brauchen nicht Hunderttausende ausgebildete Priester, während der Acker unbestellt bleibt. Schule lehrt die niederen Stände Verachtung vor ihrer Aufgabe, und der Bauerntölpel gehört nicht mit dem Gentleman auf dieselbe Schulbank.
+     * Kompromiss bis in Gegenwart: Nach der Grundschule wird ausdifferenziert. Die Oberschicht kommt aufs Gymnasium, die Unterschicht in die Lehre. Noch heute bleibt das Studium der Artes liberales den Bessergestellten vorbehalten. Die englischen "public schools" sind allein für Gentlemen.
2011-02-14 04:46:14 (rückgängig machen): (plomlompom):
100a101,103
+   * '''II.8: "Die Härte des Schullebens"'''':
+     * ...
+   * '''II.Schlussbemerkung: "Die Schule und die Dauer der Kindheit"'''':
2011-02-14 03:52:20 (rückgängig machen): (plomlompom):
94a95,99
+     * Zu Anfang (15./16. Jh.) sind die Schüler noch wie Junggesellen schulisch unkontrolliert ("Schülerfreiheit") in Bürgerhäusern einquartiert; monastisch kontrollierende Internierung wird nur von einigen Aristokraten teuer erkauft; selbst die Jesuiten favorisieren noch das Externat. Rundum-Lebenskontrolle von Schülern ist ein noch seltener, teuer erkaufter Luxus. Eher stellt man für Schutz und Kontrolle dem eigenen Knaben einen vertrauenswürdigen, vielleicht sogar gleichaltrigen Gesellen zur Seite.
+     * Schulische Betreuung auch außerhalb des Unterrichts gewinnt aber langsam an Marktwert. Bürgerquartiere werben damit zahlkräftige Familien und werden sogar zuweilen schulmeisterlicher Inspektion unterworfen. Zuerst bietet man nur Repitition und Lebensführungskontrolle an; bald integriert man auch eigene Unterrichtsangebote. Und so wachsen Internats-Strukturen, vervollkommnen sich zum 18./19. Jh.
+     * Im 18./19. Jh. sieht sich die Schule nun für das Rundumpaket nicht nur der Artes liberales, sondern tatsächlich der Formung des jungen Menschen verantwortlich. Einsperrung, Abschottung von der Welt wird nun zum pädagogischen Modell: Persönlichkeitsgestaltung in kontrollierter Umgebung. Um sie vor den schädlichen Einflüssen der Welt fernzuhalten, will man die jungen Menschen nicht mal mehr am Wochenende oder zu den Ferien hinaus oder gar heim lassen
+     * Zugleich wächst im 19. Jh. der Wert des Eigenraums Familie und wird der Einsperrung im Internat zur Konkurrenz. Lieber noch als in institutioneller Kasernierung hält man die jungen Menschen in den eigenen vier Wänden. So verliert zum Ende des 19. Jh. das Internat zumindest in Frankreich (nicht so sehr in England) wieder an Zugkraft.
+   * '''II.7: "Die 'Petites Ecoles'"'''':
2011-02-14 03:07:33 (rückgängig machen): (plomlompom):
93c93
-     * Zum 18./19. Jahrhundert wird das Kontroll-Modell der Kindheit fluider: Anstatt mit der Rute jetzt eine statische Korrektheit durchzusetzen, zerbricht man sich jetzt den Kopf über Erziehung. Kindheit ist jetzt nicht einfach ein gesondert behandelnder Stand der Schwäche, sondern einer der Entwicklung hin zum Erwachsensein, die es zu begleiten, zu fördern gilt.
+     * Zum 18./19. Jahrhundert wird das Kontroll-Modell der Kindheit fluider: Anstatt mit der Rute eine statische Korrektheit durchzusetzen, zerbricht man sich jetzt den Kopf über Erziehung. Kindheit ist nicht mehr einfach ein gesondert behandelnder Stand der Schwäche, sondern einer der Entwicklung hin zum Erwachsensein, die es zu begleiten, zu fördern gilt.
2011-02-14 03:06:18 (rückgängig machen): (plomlompom):
90c90
-     * Dieser Welt gehört auch ein Umherziehen in Banden und das Anvertrauen junger Leute an ältere Umerziehende an, die dann für sie Verantwortung trugen; siehe die Jugend von Thomas Platter. Heute findet man Verwandtes in Jugend-Gangs. Man achtete solche Bindungen, auch wenn man ihnen nicht angehörte; man löste nicht einfach einen Abhängigen aus ihr, sondern akzeptierte den Kopf der Gruppe als Vormund und Verantwortlichen.
+     * Dieser Welt gehört auch ein Umherziehen in Banden und das Anvertrauen junger Leute an ältere Umherziehende an, die dann für sie Verantwortung trugen; siehe die Jugend von Thomas Platter. Heute findet man Verwandtes in Jugend-Gangs. Man achtete solche Bindungen, auch wenn man ihnen nicht angehörte; man löste nicht einfach einen Abhängigen aus ihr, sondern akzeptierte den Kopf der Gruppe als Vormund und Verantwortlichen.
2011-02-14 03:05:32 (rückgängig machen): (plomlompom):
89c89
-     * Die spätmittelalterliche Schülerschaft geht in selbstbestimmten Korporationen auf. Sie entstammen der Zeit der Alters- und Gilden-Gemeinschaften; hier trat man mit einer den vorherigen Charakter brechenden demütigend-obszönen Initation; dann war man Teil einer solidarischen Bruderschaft, deren Bande und Einpassung durch ständiges Beisammensein und Gelage gesichert wurden. Die Strafe für einen Regelverstoß war hier nicht die Züchtigung, sondern das Ausgeben von Wein oder das Einzahlen in die gemeinsame Wein-Kasse.
+     * Die spätmittelalterliche Schülerschaft geht in selbstbestimmten Korporationen auf. Sie entstammen der Zeit der Alters- und Gilden-Gemeinschaften; hier trat man ein mit einer den vorherigen Charakter brechenden demütigend-obszönen Initation; dann war man Teil einer solidarischen Bruderschaft, deren Bande und Einpassung durch ständiges Beisammensein und Gelage gesichert wurden. Die Strafe für einen Regelverstoß war hier nicht die Züchtigung, sondern das Ausgeben von Wein oder das Einzahlen in die gemeinsame Wein-Kasse.
2011-02-14 03:00:20 (rückgängig machen): (plomlompom):
87a88,94
+     * Heute ziehen wir klare Trennlinien zwischen unserem privaten und unserem öffentlichen, unserem familiären und unserem beruflichen Leben; das Leben der Gelage und Feiern und Freunde dazwischen ist Sonderfall. Früher war alles anders: Alles war einander geschnürt, gerade von diesem Sonderfall zusammengehalten.
+     * Die spätmittelalterliche Schülerschaft geht in selbstbestimmten Korporationen auf. Sie entstammen der Zeit der Alters- und Gilden-Gemeinschaften; hier trat man mit einer den vorherigen Charakter brechenden demütigend-obszönen Initation; dann war man Teil einer solidarischen Bruderschaft, deren Bande und Einpassung durch ständiges Beisammensein und Gelage gesichert wurden. Die Strafe für einen Regelverstoß war hier nicht die Züchtigung, sondern das Ausgeben von Wein oder das Einzahlen in die gemeinsame Wein-Kasse.
+     * Dieser Welt gehört auch ein Umherziehen in Banden und das Anvertrauen junger Leute an ältere Umerziehende an, die dann für sie Verantwortung trugen; siehe die Jugend von Thomas Platter. Heute findet man Verwandtes in Jugend-Gangs. Man achtete solche Bindungen, auch wenn man ihnen nicht angehörte; man löste nicht einfach einen Abhängigen aus ihr, sondern akzeptierte den Kopf der Gruppe als Vormund und Verantwortlichen.
+     * Ab dem 15./16. Jh. geraten Korporationen ins Fadenkreuz der Reformer; die organische Verwobenheit der Mitglieder, die Selbstbestimmtheit ihrer Regeln und Autoritäten (respektierte Gleiche unter Gleichen) gilt als Vorschub für Anarchie. Die Reformer setzen ihnen Herrschafts-Pyramiden, Solidaritäts-Bruch durch gegenseitige Monitor- und Denunziations-Pflicht und herabsetzende Körperstrafen entgegen.
+     * Erst in dieser Zeit erhält die Rute den Charakter der Demütigung. Sie steht nun für die hierarchische Überlegenheit ihres (nun von oben, nicht länger aus den eigenen Reihen kommenden) Trägers gegenüber dem, der sie erleidet. Unter den Älteren erleiden sie nur die Armen (die Reichen können nach wie vor auf die Geldstrafe zurückgreifen); bei den Jüngeren gilt sie unterschiedslos, ohne Ansicht des Standes: Kinder gelten jetzt als sozial herabgesetzter, gesondert zu behandelnder Spezialfall, egal woher sie kommen.
+     * Zum 18./19. Jahrhundert wird das Kontroll-Modell der Kindheit fluider: Anstatt mit der Rute jetzt eine statische Korrektheit durchzusetzen, zerbricht man sich jetzt den Kopf über Erziehung. Kindheit ist jetzt nicht einfach ein gesondert behandelnder Stand der Schwäche, sondern einer der Entwicklung hin zum Erwachsensein, die es zu begleiten, zu fördern gilt.
+   * '''II.6: "Vom Externat zum Internat"''':
2011-02-12 17:12:26 (rückgängig machen): (plomlompom):
75a76,87
+     * Thomas Platter (* 1499) verlässt früh das Elternhaus, wird Hirte. Als er neun Jahre alt ist, kommt ihm die Idee, sich schulisch zu bilden, und er schließt sich einem vagabundierenden Scholasten an. So durchquert er Mitteleuropa und diverse Schulen. Dabei lernt er erst mit 19 Jahren lesen; den Donat kann er trotzdem schon auswendig, qua Gehör und Aufsagen. Jetzt entwickelt er sich noch zum erfolgreichen Humanisten. Im deutschsprachigen Raum war das Schulsystem auch Anfang 16. Jh. noch recht mittelalterlich.
+     * Insofern sie der Gleichzeitigkeit und endlosen Weiterführbarkeit, Altersblindheit des Lernens verschrieben ist, entspricht die mittelalterliche Schule eher dem humanistischen Bildungsideal als das aufkommende neuzeitliche Schulsystem. Das drängt mehr und mehr zur allgemeinen Berufsqualifikation. Der mittelalterliche Scholastiker steht oftmals nicht am Beginn, sondern in der Mitte seines Werdegangs, stand schon prä-schulisch im Berufsleben (und sei es als Neunjähriger).
+     * Im Mittelalter lernte man über die Lehrzeit. Man trat in die Erwachsenenwelt und den Beruf ein und lernte dann einfach durch die Praxis und den Meister; auch für aristokratische, intellektuelle Tätigkeiten. Nur die Kirche bildete eine Ausnahme. Mit Erfolg der Kollegs wird die Lehrzeit nun verdrängt, die kirchliche Vorbereitungsform breitet sich auf alle Berufsarten außer die handwerklichen aus, Lehrzeiten verkürzen sich und verschwinden dann. Heute haben wir nur noch Praktika.
+     * Im 16./17. Jahrhundert gibt es zwar schon eine Lernstufen-Klassenabfolge; mit welchem Alter aber man sie betritt, wie schnell und wie kontinuierlich (überspringt man ein paar Jahre?) man sie absolviert, das ist noch recht chaotisch. Ein Bartträger als Schul-Einsteiger verwundert ebensowenig wie ein Dreizehnjähriger, der nach anderthalb Jahren Schulzeit fertig ist (vielleicht hat Kollegs-externe Bildung geholfen). Überhaupt springt man immer noch viel zwischen Lehrmeistern und Schulen hin und her.
+     * Damals als Zwölfjähriger in den Militärdienst eintreten, gar in eine Offizierslaufbahn, auch das war nicht unüblich. Auch die Kriegskunst lernte man direkt auf dem Schlachtfeld.
+     * Im 17. Jahrhundert war es üblich, die Kinder vom frühesten Zeitpunkt an mit fremdsprachigen Hauslehrern, Bediensteten, Kindermädchen zu umgeben. So konnte es sein, dass sie in einer nahezu rein Lateinisch sprechenden Welt aufwuchsen, mit nur wenigen Personen in ihrer Muttersprache verkehrten. Andere beliebte Sprachen in Frankreich: Deutsch, Englisch. (Peter Greenaaways "The Draughtsman's Contract" führt markant die Lektionen eines deutschen Kindermädchens im England der Zeit vor.)
+     * Eine europäische Bildungsreise besorgte weitere Qualifikationen für den Eintritt in die feine Gesellschaft und ihre Berufe, die die Artes liberales nicht boten: Reiten, Fechten, Tanzen, Musizieren, Schönschreiben, Mathematik, lebende Sprachen, Weltkenntnis. Im 17. Jh. dem adligen Elternhaus aber oft zu kostspielig. Hier springt die Akademie ein, die all das in einem Paket und analog dem Kolleg in einem Lebens-kontrollierenden, -disziplinierenden Rahmen anbietet.
+     * Ein weiterer Grund für die Akademie deutet bereits eine neue Altersklassenmoral an: die Europa-Reise scheint nicht passend für allzu junge und damit unreife Knaben, die, wenn besonders eifrig, vielleicht schon mit zwölf das Kolleg abgeschlossen haben. Dem verwandt ist vermutlich die Gewohnheit, zur bloßen Ausdehnung der Kollegszeit Klassen wiederholen zu lassen, damit man nur nicht zu schnell fertig werde.
+     * Je später der Schuleintritt, desto niedriger vermutlich der Stand. Die feine Gesellschaft fasst von Anfang an Schulkarrieren ins Auge und hat dafür auch ohne Weiteres die Mittel; die Schlechtergestellten müssen schonmal darauf warten, dass der Sohn sich dort selbst versorgen kann, bis sie ihn in eine fremde Stadt schicken.
+     * Bis ins 19. Jahrhundert bilden sich immer strenger durchgesetzte Standards für Altersklassen durch. Man beginnt, Klassen-Überspringer kritisch zu beäugen, warnt vor Unreifen in höheren Klassen, hält mehr und mehr einen bestimmten Entwicklungsstand einem bestimmten Alter für angemessen. Mehr und mehr entspricht eine Klasse einem typischen Lebensjahr. Zuerst sortiert man die Zu-Jungen aus, dann die Zu-Alten: der Spät-Einstieg wird immer schwieriger.
+     * Nun gilt mehr und mehr der Schul-Eintritt als Zäsur einer frühen Kindheit; sind jüngere Jahrgänge vor der Vermischung mit älteren zu bewahren; zeichnet sich das Bürgertum ein klares Perioden-Modell der Persönlichkeitsentwicklung an einer Schulkarrieren-Abfolge nach. Bei Unterschicht und Arbeiterklasse bis ins 20. Jh. wird das nicht so feinziseliert; hier bleibt der Eintritt ins Leben der Erwachsenen und der Lehre recht früh nach einer Primär-Ausbildung.
+   * '''II.5: "Die Fortschritte der Disziplin"''':
2011-02-12 12:18:29 (rückgängig machen): (plomlompom):
70a71,75
+     * Im Mittelalter: große Unbestimmtheit des Alters, der Entwicklungsstufe. Heute: in der Kindheit/Jugend aufs Jahr genau, durch die Schulklasse, die jedem Entwicklungsjahr einen eigenen Charakter zuschreibt, diskret getrennt vom vorhergehenden oder nachfolgenden.
+     * "Er stellt in aller Deutlichkeit fest, daß die Einteilung in Klassen für eine ordentlich funktionierende Schule unerläßlich ist; früher, so sagt er, 'war alles durcheinander gegangen und vermengt worden'." (p. 274) Die diskrete Schulklasse (fest umrissen: eine Lernstufe, eine Schülergruppe, ein Lehrer, ein Raum) ist ein weiteres Instrument gegen's mittelalterliche Gewusel. Es galt, Betten und Esstische aus den viel zu einladend großen Schulsälen zu vertreiben.
+     * Bis ins 15. Jh. Gesamtunterricht einer ganzen Schülerschaft in einem Raum/Saal. Ansätze einer Ausdifferenzierung: verschiedene Lektionen für verschiedene Gruppen in diesem Raum, teils verschiedene Betreuer. Bald weitere Isolation, verschiedene Gruppen um verschiedene Säulen in der Halle, teils voneinander getrennt durch Vorhänge. Schließlich der eigene Raum. Größere Enge von Geographie von Personenzahl verbessert auch die Kontrollierbarkeit.
+     * Zunehmende Strenge in der Lernstufen-Einteilung des Grammatikstudiums. Dem darauf folgenden höheren Studium gönnt man humanistisch höhere Freiheit, Länge, Fluidität. Ein Sonderbereich am Anfang des scholastischen Lebenslaufs zeichnet sich ab, der eine eigene Entwicklungs-Pädagogik erfordert. Es ist im 16. Jahrhundert unüblicher, Ältere im Anfängerstudium der Grammatik vorzufinden, wo sich nun zahlenmäßig vor allem Minderjährige tummeln.
+   * '''II.4: "Die Altersklassen"''':
2011-02-12 11:22:48 (rückgängig machen): (plomlompom):
59c59
-     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und etwas Anderes an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt.
+     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und etwas Anderes an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt. Wildes Fluktuieren zwischen Kursen.
2011-02-12 11:19:33 (rückgängig machen): (plomlompom):
64a65,70
+     * Im Spätmittelalter bilden sich Kollegs heraus, Pensionen für mittellose Studenten, unterhalten von wohlhabenden Stiftern, ausgeführt im monastischen Geist, mit klösterlichen Ordnungen, Hausregeln für die Untergebrachten. Diese Disziplin macht sie bald auch für Wohlhabende attraktiv, die Stundenten dorthin schicken, um sie vor der Disziplinlosigkeit des mittelalterlichen Studienlebens zu bewahren.
+     * Anfänglich in den Kollegs keine klare Trennung zwischen Schülern und Lehrenden; oftmals ja ein und dieselbe Person. Da bietet es sich an, auch im Kolleg den einen oder anderen Unterricht zu machen. So erfüllen die Kollegs neben einer Pensions- bald auch eine Schul-Funktion, die die Pensions-Funktion oft sogar bei Weitem überflügelt; aus Pensionen werden Internate und aus Internaten werden Externate.
+     * Die disziplinierende Einkapselung im Kolleg wird immer mehr auch zu einer von verschiedenen Unterrichts-/Bildungs- und darüber tendenziell auch Altersklassen. Aus dem Nebeneinander der Unterrichts-Inhalte wird mehr und mehr ein Nacheinander gemacht. Draußen ist ein Dreizehnjähriger freier Erwachsener, im Kolleg aber unterliegt er einer Ordensregel, die ihn mit Jüngeren zusammen gegenüber Älteren abkapselt.
+     * Unter steigendem Andrang wird aus einer monastischen Selbstverwaltung unter Gleichen immer mehr eine autoritäre Hierarchie, die Schüler und Lehrer, Verwalter klar trennt, ausgehend von einem Prinzipal an der Spitze. Aus vergleichsweise groben Haus- und Ordens-Regeln wird ein strenger Stunden- und Verhaltensplan. Tendenz hin zum militärischen Drill des Absolutismus und den Jesuiten-Schulen, wo Mönche Bürgerkinder erziehen.
+     * Trotz Abkapselung der Jugend noch keine pädagogische Altersdramaturgie per se. Die strenge Hausordnung zielt nicht ab auf eine Psychologie der Erziehung, sondern entspringt klösterlichen Traditionen, den Geistlichen vor weltlichen Verwirrungen zu schützen. Erst im 15./16. Jahrhundert strömen Laien auf die Kollegs.
+   * '''II.3: "Die Anfänge der Schulklassen"''':
2011-02-12 09:52:17 (rückgängig machen): (plomlompom):
59c59
-     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und die Logik an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt.
+     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und etwas Anderes an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt.
2011-02-12 09:40:55 (rückgängig machen): (plomlompom):
55c55
-     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und ''self-contained'' und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
+     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und ''self-contained'' und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren verselbständigten Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
62a63
+     * Die Artes liberales werden mal hier, mal da gelehrt, mal unter kirchlichem Dach, mal in gemieteten Räumen, mal in der Straßenecke; mal auf Stroh, später auf Bänken; reger Konkurrenzkampf, man macht sich gegenseitig Schüler abspenstig.
2011-02-12 09:32:45 (rückgängig machen): (plomlompom):
51a52,63
+     * Die antike Schule (erhielt sich in Byzanz noch lange) war hellenistisch, städtisch, weltlich. Vor Zusammenbruch der Antike stützte sich auch die Kleriker-Ausbildung auf diesen Grundstock literarisch-kosmologisch-künstlerischer Bildung; danach musste sie ihn selbst besorgen, in ihren eigenen Räumen.
+     * Wie noch heute bei den Mohammedanern, spielte das Hören und Nachsprechen ins Auswendige im kirchlichen Unterricht eine große Rolle, eine größere Rolle nach als der Umgang mit der Schrift; in jener war nur fixiert, was man schon qua Gehör intus hatte, vielleicht bei Vergessen mal nachschlagen konnte. Schriftkenntnis war nicht mehr und noch nicht dazu da, Neues zu erkunden.
+     * Mit der Karolingerzeit kehren die Artes liberales in die Domschulen ein, und damit eine Ausdifferenzierung des Unterrichts weit über die Singschule hinaus, der bis ins 12. Jahrhundert mehr und spezialisiertere Lehrkräfte einfordert, was schließlich in der Entstehung der Universitäten mündet.
+     * Ab 13. Jh. differenzieren sich die Artes liberales weg zu einer Art Vorbereitungsstudium für das 'richtige' Hochschul-Studium von Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Solcherart abgetrennt und ''self-contained'' und zum Mittelalter-Ende auch mehr und mehr den Laien offen, wird sich aus ihren Lateinschulen dann das moderne Schulsystem entwickeln.
+     * Erst später verneigt sich Latein als Lehrsprache vor humanistischer Klassiker-Vorliebe. Im Mittelalter ist Latein die Sprache der Schule, weil das nunmal die Sprache der Kirche ist.
+     * Die Artes liberales enthalten keinen Elementar-Unterricht: das Alphabet musst du schon woanders gelernt haben, z.B. daheim oder in der Lehre.
+     * Aries deduziert arkane Details der modernen Universitäts-Programme und ihrer nationalen Unterschiede aus mittelalterlichen Entwicklungen.
+     * Die Pädagogik des Mittelalters setzt auf die Repetition des Immergleichen statt auf eine aufbauende Dramaturgie. Nebeneinander statt Nacheinander; die Grammatik am Wochen- und die Logik an Feiertagen. Wer einen Gegenstand ein paar Jahre länger studiert hat, hat ihn halt schon öfter wiederholt.
+     * Die Grammatik ist eine aufwendige, viele Jahre studierbare Wissenschaft, vergleichbar der Philologie
+     * Der Schuleintritt erfolgt spät und unter allen Altersklassen. Es bilden sich zwar gewisse Altersdurchschnitte heraus, aber es irritiert niemanden, wenn alt wie jung denselben Donat lernen. Die Bildung hat noch keine Altersdramaturgie.
+     * Der Student/Schüler wohnt selten bei Lehrer oder Familie, ist meist mit Anderen aller Altersklassen bei Ortsansässigen untergebracht und dann außerhalb des Unterrichts vollends sich selbst und diesen überlassen.
+   * '''II.2: "Eine neue Institution: das Kolleg"''':
2011-02-12 08:20:41 (rückgängig machen): (plomlompom):
51c51,52
-   * ...
+   * '''II.1: "Junge und alte Schüler im Mittelalter"''':
+     * ...
2011-02-12 08:19:26 (rückgängig machen): (plomlompom):
46c46
-     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition; einer Gesellschaft, in der Kinder verbreitet sind, die sich für Kindischkeit auch nicht zu schade ist, in der es keine grundlegende moralische Trennung zwischen Erwachsenheit und Kindheit zu geben scheint.
+     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition; einer Gesellschaft, in der Kinder eingebunden sind, die sich für Kindischkeit auch nicht zu schade ist, in der es keine grundlegende moralische Trennung zwischen Erwachsenheit und Kindheit zu geben scheint.
2011-02-12 08:18:09 (rückgängig machen): (plomlompom):
42c42
-     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört durchgesetzt.
+     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört entgegen einer widerstrebenden Natur durchgesetzt.
2011-02-12 08:17:19 (rückgängig machen): (plomlompom):
42c42
-     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört durchgesetzt.
+     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung statt als Natur-Fakt gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört durchgesetzt.
2011-02-12 08:15:42 (rückgängig machen): (plomlompom):
37c37
-     * Mit der Erfindung der Kindheit erst wird ausdifferenziert, was an Spielformen für Kinder adäquat ist statt für Erwachsene und vice versa. Zum Teil auch ein Kompromiss mit der moralischen Empörung über diese Spielformen; plötzlich ist es verpöhnt, Kinder um Geld glücksspielen zu lassen, vorher war es ganz normal. Differenzierung ist oftmals nicht nur eine zwischen Altersklassen, sondern auch zwischen Ständen: Oberschicht und Erwachsene auf der einen, Unterschicht und Kinder auf der anderen Seite.
+     * Mit der Erfindung der Kindheit erst wird ausdifferenziert, was an Spielformen für Kinder adäquat ist statt für Erwachsene und vice versa. Zum Teil auch ein Kompromiss mit der moralischen Empörung über diese Spielformen; plötzlich ist es verpöhnt, Kinder um Geld glücksspielen zu lassen, vorher war es ganz normal. Differenzierung ist oftmals nicht nur eine zwischen Altersklassen, sondern auch zwischen Ständen: Oberschicht und Erwachsene und Männer auf der einen, Unterschicht und Kinder und Frauen auf der anderen Seite.
2011-02-12 08:14:10 (rückgängig machen): (plomlompom):
32c32
-     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiert gewesen mag.
+     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiert gewesen sein mag.
2011-02-12 08:12:59 (rückgängig machen): (plomlompom):
30c30
-     * Die Frühreife Ludwig XIII. Mit anderthalb Jahren bringt man ihm Tänze und Violine bei, mit zwei kann er sprechen, ab dreieinhalb lernt er lesen, mit vier lesen und Pfeil und Bogen, spielt Schach und Karten, mit sechs tanzt er Ballett. Mit sieben Jahren spielt er Glücksspiele, und man bereitet ihn auf den Eintritt ins Männerleben mit acht vor.
+     * Die Frühreife Ludwig XIII. Mit anderthalb Jahren bringt man ihm Tänze und Violine bei, mit zwei kann er sprechen, ab dreieinhalb lernt er lesen, mit vier schreiben und Pfeil und Bogen, spielt Schach und Karten, mit sechs tanzt er Ballett. Mit sieben Jahren spielt er Glücksspiele, und man bereitet ihn auf den Eintritt ins Männerleben mit acht vor.
2011-02-12 08:12:34 (rückgängig machen): (plomlompom):
26c26
-     * Die Knaben wurden dadurch von den Männern differenziert, dass sie Mädchenkleidung trugen. Die Mädchen trugen das Gleiche wie die Frauen, die funktionale Differenz schien hier weniger bedeutend. In beiden Fällen aber: Gängelbad und falsche Ärmel nur bei Kindern.
+     * Die Knaben wurden dadurch von den Männern differenziert, dass sie Mädchenkleidung trugen. Die Mädchen trugen (abgesehen von Gängelband und falschen Ärmeln -- das auch nur als Kinder) das Gleiche wie die Frauen, die funktionale Differenz schien hier weniger bedeutend.
2011-02-12 08:09:17 (rückgängig machen): (plomlompom):
16c16
-     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem steht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff vor, der im Wesentlichen besagt: "extrem sozial abhängiges Geschöpf", und genausogut Feudal- wie Familienverhältnisse beschreibt.
+     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem geht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff zuvor, der im Wesentlichen besagt: "extrem sozial abhängiges Geschöpf", und genausogut Feudal- wie Familienverhältnisse beschreibt.
2011-02-12 08:08:09 (rückgängig machen): (plomlompom):
7c7
-   * Entromantisierung der Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
+   * Entromantisierung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
2011-02-12 08:07:34 (rückgängig machen): (plomlompom):
11c11
-   * Rückzug der Familie im 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe Rybczynski.
+   * Rückzug der Familie ab dem 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe Rybczynski.
2011-02-12 08:06:55 (rückgängig machen): (plomlompom):
8c8
-   * Erst zum 19. Jahrhundert hin wird die Kindheit erfunden, und damit auch der familiäre Affekt, die Liebes-Heirat, der Schmerz schon ums verstorbene Kleinkind. Dem Kind wird nun ein besonderer Wert beigemessen, es muss geschützt und erzogen werden, in Isolation von der Welt, in der Schule, und besser weniger Kinder denen man sich mehr widmen kann als mehr die man vernachlässigt.
+   * Bis zum 19. Jahrhundert wird dann die Kindheit erfunden, und damit auch der familiäre Affekt, die Liebes-Heirat, der Schmerz schon ums verstorbene Kleinkind. Dem Kind wird nun ein besonderer Wert beigemessen, es muss geschützt und erzogen werden, in Isolation von der Welt, in der Schule, und besser weniger Kinder denen man sich mehr widmen kann als mehr die man im Einzelnen vernachlässigt.
2011-02-11 16:07:46 (rückgängig machen): (plomlompom):
46c46
-     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition.
+     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition; einer Gesellschaft, in der Kinder verbreitet sind, die sich für Kindischkeit auch nicht zu schade ist, in der es keine grundlegende moralische Trennung zwischen Erwachsenheit und Kindheit zu geben scheint.
49c49
-    * Im 18. Jh. kommt zur moralischen die physisch-gesundheitliche Kontrolle/Gestaltung der Kinder als Problem hinzu.
+     * Im 18. Jh. kommt zur moralischen die physisch-gesundheitliche Kontrolle/Gestaltung der Kinder als Problem hinzu.
2011-02-11 16:06:18 (rückgängig machen): (plomlompom):
50c50
- *'''II: 'Das Schulleben'":
+ * '''II: "Das Schulleben"''':
2011-02-11 16:05:01 (rückgängig machen): (plomlompom):
46c46,51
-     * ...
+     * Zuerst ist folgende Einstellung: Es gibt keine Kindheit als besondere Lebensphase des beseelten Menschen. Entweder, er ist noch nicht entwöhnt, noch zu abhängig; dann muss man wohl für ihn sorgen, dann ist sein Tod aber auch keine Tragödie. Oder er ist über diese Phase hinaus: Dann gilt er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, ohne Sonderposition.
+     * Dann setzt ins 16. Jh. hinein eine besondere affektive Würdigung der Kindheit ein, zuerst als Hätschelei, die schamlose Würdigung der Kinder als reizender Äffchen. Manchem geht das auf die Nerven, Montaigne & Co. entwickeln ein Ressentiment gegen Kinder-Narretei.
+     * Im 17. Jh. setzen sich die Kindheits-Begriffe der Reformer, Pädagogen, Geistlichen gegen die Hätschelei durch: Das Kind ist jetzt kein Spielzeug mehr, sondern ein Problem. Es muss streng kontrolliert und zu einem guten Christen erzogen werden, gerade weil seine Unschuld nun so hoch gehalten wird. Die Hätschelei gilt der Oberschicht nun als Unterschichtsphänomen.
+    * Im 18. Jh. kommt zur moralischen die physisch-gesundheitliche Kontrolle/Gestaltung der Kinder als Problem hinzu.
+ *'''II: 'Das Schulleben'":
+   * ...
2011-02-11 15:46:59 (rückgängig machen): (plomlompom):
43c43
-     * Der Kampf der Reformer wendet sich einerseits gegen die Zulassung "unvernünftiger" Narretei, Verspieltheit, freiheitsgebende Hätschelei; andererseits gegen riskant empfundene Zutraulichkeiten binnen und über Alters- wie Geschlechtergrenzen hinweg, gegen Körperkontakt-Gelegenheiten, gegen gemeinsames Schlafen im selben Bett von Geschwistern und anderen Familienangehörigen oder gar mit Bediensteten.
+     * Der Kampf der Reformer wendet sich einerseits gegen die Zulassung "unvernünftiger" Narretei, Verspieltheit, freiheitsgebende Hätschelei; andererseits gegen riskant empfundene Zutraulichkeiten binnen und über Alters- wie Geschlechtergrenzen hinweg, gegen Körperkontakt-Gelegenheiten, gegen gemeinsames Schlafen im selben Bett von Geschwistern und anderen Familienangehörigen oder gar mit Bediensteten, sogar gegen allzu entkleidende körperliche Züchtigungen (bitte kein Hose-Runterlassen für Rutenschläge!).
2011-02-11 15:39:22 (rückgängig machen): (plomlompom):
38a39,45
+     * Ludwig XIII. erfreut sich qua Geburt des Spiels mit seinem "Piephahn", und die ihn umgebenden Erwachsenen ermutigen ihn, beteiligen sich, verdeutlichen ihm seine sexuelle Funktion (er ist ja bereits verlobt, und seine Fortpflanzungsaufgabe wird erörtert) und deren Ausführung. Dann, plötzlich, mit sieben/acht, gilt all das als unschicklich, er soll sich zurückhalten. Mit vierzehn dann wird er die Infantin vögeln geschickt und man prüft an der Rötung seines Penis, ob er sich gut angestellt hat.
+     * Bis ins 17. Jh. gilt das Bild des Kindes als reizendem Äffchen ohne eigene Sexualität oder Verderbbarkeit; Teilhabe an der Sexualwelt der Erwachsenen wird also ohne Sorge betrachtet. Es gibt Reformer, die das anders sehen, und Zurückhaltung von den Erwachsenen gegenüber den Kindern fordern, doch sie setzen sich nur langsam durch.
+     * Jean Gerson interessierte sich ja schon im 15. Jahrhundert für die Sexualität der Heranwachsenden. Er erkannte die Verbreitetheit, Unvermeidbarkeit von Erektion und Masturbation; anstatt sie aber infolge für harmlos zu erklären, warb er für diese Kenntnis als Kontroll-Instrument: Ein Knabe, der solcherlei nicht beichtet, ist als Lügner identifizierbar!
+     * Im 17. Jh. gewinnen die Reformer, Pädagogen, Geistlichen die Oberhand und fordern eine größere Kontrolle und Isolation der Kinder, um sie vor der Sexualität zu bewahren, deren Einschränkung auf die Erwachsenenwelt nun als Herausforderung gilt. Damit einher geht eine neue religiöse Idealisierung der Kindheit, das Christkind tritt in den Vordergrund, Engelhaftigkeit ist Kindlichkeit, die Idee des unverdorbenen Kindes, der göttlich privilegierten kindlichen Unschuld entsteht -- und gehört durchgesetzt.
+     * Der Kampf der Reformer wendet sich einerseits gegen die Zulassung "unvernünftiger" Narretei, Verspieltheit, freiheitsgebende Hätschelei; andererseits gegen riskant empfundene Zutraulichkeiten binnen und über Alters- wie Geschlechtergrenzen hinweg, gegen Körperkontakt-Gelegenheiten, gegen gemeinsames Schlafen im selben Bett von Geschwistern und anderen Familienangehörigen oder gar mit Bediensteten.
+     * Es ist der Kampf gegen das mittelalterliche Gewusel. Verbot des aneinander klebenden Du; alle sollen lernen, übers Sie miteinander zu kommunizieren.
+   * '''I.Schlussbemerkung: "Die beiden Einstellungen zur Kindheit"''':
2011-02-11 00:30:13 (rückgängig machen): (plomlompom):
32c32
-     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiertggewesen mag.
+     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiert gewesen mag.
2011-02-11 00:29:37 (rückgängig machen): (plomlompom):
32c32
-     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümliches Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiertggewesen mag.
+     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümlichem Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiertggewesen mag.
2011-02-11 00:28:55 (rückgängig machen): (plomlompom):
33,34c33
-     * "In Avignon erfreuten sich die Studenten am Fastnachtsdienstag des Privilegs, die Juden und die Huren zu verprügeln, es sei denn, diese kauften sich frei." (S. 145)
- merkwürdige moralische Bewertung des Glücksspiels
+     * "In Avignon erfreuten sich die Studenten am Fastnachtsdienstag des Privilegs, die Juden und die Huren zu verprügeln, es sei denn, diese kauften sich frei." (S. 145) 
2011-02-11 00:27:51 (rückgängig machen): (plomlompom):
29a30,39
+     * Die Frühreife Ludwig XIII. Mit anderthalb Jahren bringt man ihm Tänze und Violine bei, mit zwei kann er sprechen, ab dreieinhalb lernt er lesen, mit vier lesen und Pfeil und Bogen, spielt Schach und Karten, mit sechs tanzt er Ballett. Mit sieben Jahren spielt er Glücksspiele, und man bereitet ihn auf den Eintritt ins Männerleben mit acht vor.
+     * In der Kindheit verstaut das Ancien Regime ehemalige Erwachsenen-Bräuche.
+     * Das mittelalterliche Gewusel wird zusammengehalten von Spiel, Fest, Tanz, Musik, volkstümliches Schauspiel, Zerstreuung; Arbeit wie Familie treten als soziale Formen hierhinter zurück. Kinder sind hier eng sozial integriert statt in ihre Familie segregiert, mit festen zeremoniellen Rollen, die auf eine frühere Kultur hindeuten, in der die Gesellschaft noch nach Altersgruppen organisiertggewesen mag.
+     * "In Avignon erfreuten sich die Studenten am Fastnachtsdienstag des Privilegs, die Juden und die Huren zu verprügeln, es sei denn, diese kauften sich frei." (S. 145)
+ merkwürdige moralische Bewertung des Glücksspiels
+     * Kein Wunder, die ganzen musikalischen Wunderkinder des Barock: Wie bei Ludwig XIII. war es früher üblich, Kinder qua Windel in den gesamtgesellschaftlichen Kitt Musizieren einzuführen.
+     * Tanz als Bindemittel des mittelalterlichen Gewusels war oft gar nicht so erotisch konnotiert, wie er das heute ist.
+     * Kirche, Reformer, öffentliche Ordnung bekämpfen die Spielformen des Gewusels, mit viel moralischer Empörung und wenig Wirkung. Die Jesuiten und der militärische Drill werden die Bewegungsformen schließlich versuchen, zu kooptieren und in Kontroll-Bahnen zu lenken.
+     * Mit der Erfindung der Kindheit erst wird ausdifferenziert, was an Spielformen für Kinder adäquat ist statt für Erwachsene und vice versa. Zum Teil auch ein Kompromiss mit der moralischen Empörung über diese Spielformen; plötzlich ist es verpöhnt, Kinder um Geld glücksspielen zu lassen, vorher war es ganz normal. Differenzierung ist oftmals nicht nur eine zwischen Altersklassen, sondern auch zwischen Ständen: Oberschicht und Erwachsene auf der einen, Unterschicht und Kinder auf der anderen Seite.
+   * '''I.5 "Von der Schamlosigkeit zur Unschuld"''':
2011-02-10 17:53:08 (rückgängig machen): (plomlompom):
24a25,29
+     * Bis ins 16. Jahrhundert trägt das Kind nach der Windel sofort Erwachsenenkleidung. Dann gehen die höheren Stände einen Sonderweg: Der Zehnjährige mag Erwachsenenkleidung tragen, davor aber trägt er Kleid, Häubchen, Gängelband and falsche Ärmel.
+     * Die Knaben wurden dadurch von den Männern differenziert, dass sie Mädchenkleidung trugen. Die Mädchen trugen das Gleiche wie die Frauen, die funktionale Differenz schien hier weniger bedeutend. In beiden Fällen aber: Gängelbad und falsche Ärmel nur bei Kindern.
+     * Im 17. Jahrhundert setzt der Trend ein, Kinder so zu kleiden, wie man sich hundert Jahre früher allgemein kleidete. Merke: Im Mittelalter trugen auch die Männer Kleid. Heute tun das Priester und Richter ja immer noch.
+     * So setzt sich dann auch die Hose als Kinderkleidung mit Verspätung durch; die Mode, Knaben als Matrosen zu kleiden, kommt im 19. Jahrhundert. Allgemein hält die Kostüm-Verweiblichung der Knaben noch bis zum selben Zeitpunkt.
+   * '''I.4 "Kleiner Beitrag zur Geschichte der Spiele"''':
2011-02-10 05:19:56 (rückgängig machen): (plomlompom):
19c19
-     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-freundlich zeichneten.
+     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man bei uns prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-freundlich zeichneten.
21,23c21,23
-     * Auf weltlichen Darstellungen lassen sich Kinder als Kinder ab dem 15./16. Jahrhundert erkennen; allerdings vor allem als Beiwerk in Erwachsenen-Szenen, die auf ihre Eingebundenheit in Erwachsenen-typischen Alltag verweisen. Die Hervorhebung ihrer kindlichen Züge scheint weniger einem neuen kulturellen Wert der Kindheit zu entspringen als der Vorliebe dieser Zeit fürs Pittoreske, die eigene Ästhetik der kindlichen Züge.
-     * Ab dem 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext auch Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entsteht gerade erst. Madame-de-Sévigné-Zitat aus dem 17. Jh. über eine verstorbene Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
-     * Ab dem 17. Jh. wird das Abbilden von Kindern zum Selbstzweck, im Sinne des modernen Baby-Fotos. Auf Familienbildern ist es kein Beiwerk mehr, sondern Mittelpunkt. Das Kind wird zu einem eigenen Gegenstand, man begeistert sich für seine Sprache, seine Form; man bildet es nicht mehr in Erwachsenenkleidung ab, sondern nackt. Der "putto" des 15. Jahrhunderts bildet die Vorlage und war wohl noch dem antiken Eros entlehnt.
+     * Auf weltlichen Darstellungen lassen sich Kinder als Kinder ab 15./16. Jh. erkennen; allerdings vor allem als Beiwerk in Erwachsenen-Szenen, die auf ihre Eingebundenheit in Erwachsenen-typischen Alltag verweisen. Hervorhebung ihrer kindlichen Züge scheint weniger einem neuen kulturellen Wert der Kindheit zu entspringen als der Vorliebe dieser Zeit fürs Pittoreske, die eigene Ästhetik kindlicher Züge.
+     * Ab 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entwickelt sich noch. Madame-de-Sévigné-Zitat (17. Jh.) bezügl. einer verstorbenen Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
+     * Ab 17. Jh. wird das Abbilden von Kindern zum Selbstzweck, im Sinne des modernen Baby-Fotos. Auf Familienbildern ist es kein Beiwerk mehr, sondern Mittelpunkt. Das Kind wird zum eigenen Gegenstand, man begeistert sich für seine Sprache, seine Form; man bildet es nicht mehr in Erwachsenenkleidung ab, sondern nackt. Der "putto" des 15. Jahrhunderts bildet die Vorlage und war wohl dem antiken Eros entlehnt.
2011-02-10 05:17:27 (rückgängig machen): (plomlompom):
22c22
-     * Ab dem 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext auch Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entsteht gerade erst. Kühles Madame-de-Sevigne-Zitat aus dem 17. Jh. über eine verstorbene Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
+     * Ab dem 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext auch Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entsteht gerade erst. Madame-de-Sévigné-Zitat aus dem 17. Jh. über eine verstorbene Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
2011-02-10 05:15:57 (rückgängig machen): (plomlompom):
19c19
-     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-Wichsvorlagen-freundlich zeichneten.
+     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-freundlich zeichneten.
2011-02-10 05:15:21 (rückgängig machen): (plomlompom):
18a19,24
+     * In vergangenen Epochen und in anderen Kulturen ist es üblich, Kinder als zwerghafte Erwachsene darzustellen; ihnen eine visuelle Andersartigkeit zu gönnen, findet man prä Spätmittelalter gerade mal noch bei den Alten Griechen, die ihre "Erosknaben" Pädophilie-Wichsvorlagen-freundlich zeichneten.
+     * Ums 14. Jahrhundert rum hat zumindest das Christkind die Darstellung als kleiner Erwachsener verlassen, und zaghaft gesellt sich weitere religiöse Ikonographie wie zum Beispiel die der Kindheit der Jungfrau Maria dazu.
+     * Auf weltlichen Darstellungen lassen sich Kinder als Kinder ab dem 15./16. Jahrhundert erkennen; allerdings vor allem als Beiwerk in Erwachsenen-Szenen, die auf ihre Eingebundenheit in Erwachsenen-typischen Alltag verweisen. Die Hervorhebung ihrer kindlichen Züge scheint weniger einem neuen kulturellen Wert der Kindheit zu entspringen als der Vorliebe dieser Zeit fürs Pittoreske, die eigene Ästhetik der kindlichen Züge.
+     * Ab dem 16. Jh. finden sich in Familienporträts und im Grabsteinkontext auch Kinderbilder; zunehmende Christianisierung scheint den Wert auch toter Kinder zu steigern. Trotzdem, die Demografie schreibt die meisten noch als "notwendige Vergeudung von Menschenleben" ab, Sentimentalität zum Kindstod entsteht gerade erst. Kühles Madame-de-Sevigne-Zitat aus dem 17. Jh. über eine verstorbene Tochter: "Sie ist sehr betrübt und sagt, daß sie nie wieder eine haben wird, die so hübsch ist."
+     * Ab dem 17. Jh. wird das Abbilden von Kindern zum Selbstzweck, im Sinne des modernen Baby-Fotos. Auf Familienbildern ist es kein Beiwerk mehr, sondern Mittelpunkt. Das Kind wird zu einem eigenen Gegenstand, man begeistert sich für seine Sprache, seine Form; man bildet es nicht mehr in Erwachsenenkleidung ab, sondern nackt. Der "putto" des 15. Jahrhunderts bildet die Vorlage und war wohl noch dem antiken Eros entlehnt.
+   * '''I.3 "Die Kleidung des Kindes"''':
2011-02-10 04:46:16 (rückgängig machen): (plomlompom):
10c10
-   * Die Zunahme des Durchschnittsalters über die letzten Jahrhunderte lässt sich vor allem auch darauf zurückführen, dass man sich weniger Kinder leistete und die dafür stabiler durch die ersten Lebensjahre peppelte.
+   * Die Zunahme des Durchschnittsalters über die letzten Jahrhunderte lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass man sich weniger Kinder leistete und diese dann dafür stabiler durch die ersten Lebensjahre peppelte.
2011-02-10 04:43:40 (rückgängig machen): (plomlompom):
9a10
+   * Die Zunahme des Durchschnittsalters über die letzten Jahrhunderte lässt sich vor allem auch darauf zurückführen, dass man sich weniger Kinder leistete und die dafür stabiler durch die ersten Lebensjahre peppelte.
2011-02-10 04:16:47 (rückgängig machen): (plomlompom):
15c15
-     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem steht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff vor, der im Wesentlichen besagt: "extrem abhängiges Geschöpf"; Verwandtschaft der Kindheits- und der Sozial-Abhängigkeits-Vokabel.
+     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem steht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff vor, der im Wesentlichen besagt: "extrem sozial abhängiges Geschöpf", und genausogut Feudal- wie Familienverhältnisse beschreibt.
2011-02-10 04:15:51 (rückgängig machen): (plomlompom):
14c14
-     * Populär bis in die frühe Neuzeit: das mittelalterliche Bild der Lebensalter. Entsprach der Vorliebe für transzendent-holistische, zyklisch-kosmologische Ordnungen. Absolut in seiner Einteilung, über verschiedene Quellen hinweg wechselhaft in seinen Grenzziehungen und beigeordneten Qualitäten.
+     * Populär bis in die frühe Neuzeit: das mittelalterliche Bild der "Lebensalter". Entsprach der Vorliebe für transzendent-holistische, zyklisch-kosmologische Ordnungen. Absolut in seiner Einteilung, über verschiedene Quellen hinweg wechselhaft in seinen Grenzziehungen und beigeordneten Qualitäten.
2011-02-10 04:14:31 (rückgängig machen): (plomlompom):
16a17,18
+   * '''I.2: "Die Entdeckung der Kindheit"''':
+     * ...
2011-02-10 04:13:58 (rückgängig machen): (plomlompom):
13c13,16
-     * ....
+     * Heute: Der Staatsbürger weiß sein Geburtsdatum bis auf die Stunde, bekommt qua Geburt einen Namen, hat eine eindeutige Sozialversicherungsnummer. Gestern: war alles viel vager. Der Oberschichtsjunge hatte vielleicht einen prachtvollen Namen und wusste sein Alter, in der Bauernschicht dagegen hatte man einen Vornamen und dann noch einen identifizierenden Zusatz und konnte vielleicht grob das eigene Alter abschätzen.
+     * Populär bis in die frühe Neuzeit: das mittelalterliche Bild der Lebensalter. Entsprach der Vorliebe für transzendent-holistische, zyklisch-kosmologische Ordnungen. Absolut in seiner Einteilung, über verschiedene Quellen hinweg wechselhaft in seinen Grenzziehungen und beigeordneten Qualitäten.
+     * Viel aufs Französische fokussierte Begriffsverwendungsanalyse, schwer folgbar. Aber offenbar entwickelt die Oberschicht ab dem 17. Jahrhundert ein altersmäßig ausdifferenziertes Vokabular für Kindheit; dem steht ein altersmäßig undifferenzierter Kindheitsbegriff vor, der im Wesentlichen besagt: "extrem abhängiges Geschöpf"; Verwandtschaft der Kindheits- und der Sozial-Abhängigkeits-Vokabel.
+     * Verschiedene Epochen bedienen sich beim Lebensalter-Vokabular und stellen gerne mal ein bestimmtes Lebensalter in ihren Mittelpunkt und füllen das dann mit Bedeutung. Im 19. Jahrhundert war die "Kindheit" dran.
2011-02-10 03:27:15 (rückgängig machen): (plomlompom):
7c7,13
-   * ...
+   * Entromantisierung der Familie und ihrer Affekte: Die Ehe ist eine Zweckgemeinschaft, Liebe Glücksfall, die Summe menschlicher Nähe ergibt sich aus größerem Rahmen umgebender Gemeinschaft. Die Großfamilie ist historisch höchst selten. Kinder sind bis zu einem gewissen Alter verhätschelnswerte Äffchen, so anonym, dass ihr Tod kein Drama darstellt; unmittelbar darauf sind sie kleine Erwachsene, und meist verlassen sie dann auch schon das Elternhaus.
+   * Erst zum 19. Jahrhundert hin wird die Kindheit erfunden, und damit auch der familiäre Affekt, die Liebes-Heirat, der Schmerz schon ums verstorbene Kleinkind. Dem Kind wird nun ein besonderer Wert beigemessen, es muss geschützt und erzogen werden, in Isolation von der Welt, in der Schule, und besser weniger Kinder denen man sich mehr widmen kann als mehr die man vernachlässigt.
+   * Noch bis ins 17. Jahrhundert fanden Eltern nicht groß was dabei, ihre Kleinkinder sterben zu lassen, auch wenn die Kirche es verdammte. Schulterzuckend merkt er an, heute propagieren wir halt Abtreibung.
+   * Rückzug der Familie im 16./17. Jahrhundert in ein deutlich vom Draußen abgegrenztes Familien-Haus, mit funktional ausdifferenzierten Räumen usw., siehe Rybczynski.
+ * '''I: "Die Einstellung zur Kindheit"''':
+   * '''I.1: "Die Lebensalter"''':
+     * ....
2011-02-10 02:31:35 (rückgängig machen): (plomlompom):
4c4,7
- * ...
+ * '''"Vorwort zur deutschen Ausgabe"''':
+   * übersprungen
+ * '''"Einleitung"''':
+   * ...
2011-02-10 02:29:38 (rückgängig machen): (plomlompom):
0a1,4
+ Buch: Philippe Ariès, "Die Geschichte der Kindheit" / "L'Enfant et la vie familiale sous l'Ancien Régime"
+ 
+ Lektüre-Notizen
+ * ...
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