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Facebook2015-02-14-Nachbarschaft

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Duplikat eines Facebook-Beitrags.

Gibt's kritische Ressourcen zu so StadtteilVernetzungs/NachbarschaftsVitalisierungs-Dingern wie "WirNachbarn.com" und "Polly & Bob"?

Ich überflog eben einen WirNachbarn-MailDigest, und dachte mir: Uh, wie der reflect-Verteiler, nur aus einem Spiegel-Universum, wo man sich statt zu Refugee-Küfas und HausBesetzerProjekten zu lokalen CharityMarathon-Gruppen und "lasst uns die Nachbarschaft schöner, grüner, sauberer machen"-Initiativen verabredet.

Schon länger bimseln bei mir irgendwelche schwer begründbaren (ressentimentösen?) Alarm-Glocken angesichts des Marketings, mit dem vor einer Weile "Polly & Bob", und vor Kürzerem "WirNachbarn.com" die AnlaufStätten meines geografischen Wohn-Umfeldes zukleistern.

Da waren z.B. die Polly-&-Bob-Aktiönchen ("Nacht der singenden Balkone") mit massiver PR, die für mich wie ein unangenehmer Mix aus "wir tun was voll Ungewöhnliches!", inhaltlicher Biederkeit, und Kiez-Romantik klangen. Die Anschläge hier wirkten auf mich heuchlerisch bis boshaft apolitisch zwischen den (spärlicher werdenden) Resten an HausBesetzer-PlakatWänden und "WIR BLEIBEN HIER!"-StraßenTransparenten einer NachbarschaftsKultur, die mit Staatsgewalt eher zwangsgeräumt/-befriedet statt vitalisiert wird – und dabei (anders als "Polly & Bob") keine Lautsprecher z.B. ins RBB-Abendjournal besitzt.

Dann jetzt WirNachbarn.com mit seinen schicken Flyern in z.B. meinen Stamm-DönerBuden hier. Ich habe mir nach einigem Hadern einen Test-Account angelegt. Das geht nur mit Identitäts-Überprüfung z.B. via zugeschicktem Postkarten-Code – die Seite legt wert auf "echte Namen, echte Nachbarn" (bei gleichzeitiger Betonung eines Datenschutzes "strenge[r] deutsche[r] Standards").

Einmal registriert, habe ich festgestellt, dass meine "Nachbarschaft" bisher nur spärlich auf WirNachbarn.com bewohnt ist. Ein Teil von mir findet das beruhigend/erleichternd. Ich weiß nicht so ganz, was von dem ganzen Dings halten: Vernetzungs-Tools finde ich prinzipiell gut, und es gibt auch explizit welche etwa zur geteilten Ressourcen-Nutzung (im Sinne von, wer meiner Nachbarn kann mir mal eben eine Bohrmaschine leihen?). Da spielt konzeptuell wohl die "sharing economy" rein, die man je nach Gewichtung als proto-kommunistisch (Experimente in Commons-Ökonomie!) oder Steigerungs-Stufe des Neoliberalismus (Uber-Taxis und Miete statt Besitz) markieren mag.

In welche Richtung sowas ausschlägt, dürfte abhängen von der Community, die sich da sammelt, und den technischen und politischen Akzenten, die die Betreiber setzen (Akzente, die wiederum die Community selektieren). Welche Akzente zu erwarten sind, – naja, wohl was mit dem Profit-Interesse der Firma zu vereinbaren ist. Es gibt aber auch spezifische Vorstellungen, welche Form von Nachbarschaftlichkeit gesucht, und wogegen diese in Stellung gebracht wird. Siehe dieses Interview mit einem der Gründer: http://www.junge-gruender.de/interviews/philipp-goetting-wirnachbarn/

Sorge bereite der Trend, "wie sich Menschen in den letzten Jahrzehnten immer weiter voneinander entfremden. Man kennt die Menschen in seiner näheren Umgebung nicht mehr richtig, man unternimmt allgemein weniger mit Menschen, egal, ob es Freunde oder Nachbarn sind." Man wolle "dem Anonymisierungstrend in der Gesellschaft begegnen […] und dass Menschen wieder zusammenfinden", "dass man sich kennt, dass man sich grüßt". "Unser Ziel ist es, Nachbarschaft wieder zu revitalisieren und Nachbarn zusammen zu bringen, sodass diese eine nachbarschaftliche Gemeinschaft bilden."

Das Interview liest sich teils nach altbekannten Klagen gegen die Massengesellschaft, den Verlust überschaubar-vertrauter Strukturen, und den damit verbundenen Abfall von Sitten ("dass man sich grüßt"). Den leicht konservativen Anstrich stärkt eine Passage, in der Strenge in Identitätsprüfung und Klarnamenspolitik verteidigt werden ("echte Namen, echte Nachbarn"): "Die Überprüfung ist sicherlich aufwendig, aber auch unheimlich vertrauensstiftend. Die Qualität der Interaktion ist eine ganz andere als auf Plattformen, auf denen man sich hinter Synonymen [sic] verstecken kann. Die Erfahrung der ersten Wochen zeigt auch, dass noch niemand etwas unflätiges geschrieben hat."

Nach Lektüre des Interviews dachte ich an "Polly & Bob" zurück. Das scheint auch als ein Nachbarschafts-SocialNetwork ins Web launchen zu wollen: Unter http://blog.pollyandbob.com/ kann man sich für PostLeitZahlen-Kieze vorregistrieren und kriegt als FrühBesteller mehrjährige kostenlose Premium-Accounts versprochen. Auch die Nachbarschaftlichkeits-Vision des Initiators klingt ähnlich wie bei WirNachbarn.com. Ein Porträt des Polly-and-Bob-Initiators auf einem Blog zu "Social Entrepreneurship & nachhaltige[n] Geschäftsideen" ( http://www.social-startups.de/polly-und-bob/ ) umreißt sie so: "Während es in einigen Regionen zum guten Ton gehört, mit Brot und Salz Neuankömmlinge in der Nachbarschaft zu begrüßen, hat diese Tradition heute Seltenheitswert. […] Ein gemeinschaftliches Miteinander, wie es in vielen Kleinstädten zum Alltag gehört, so wünscht sich Volker Siems das Zusammenleben in der Großstadt."

Mich macht das alles naserümpfen. Ich find nicht, dass es hier mehr Dörflichkeit, mehr Familienhaftigkeit braucht. Cool: Solidarische lokale Strukturen, etwa zur konkreten Unterstützung von Verdrängung Bedrohter, oder lokale Versuche im alternativen Wirtschaften/Teilen, um Abhängigkeit von kapitalistischen Kreisläufen zu mildern. Doch Polly & Bob & WirNachbarn wirkt auf mich alles irgendwie … anders akzentuiert. Kann sein, dass mich da Ressentiments reiten (etwa gegenüber den Vorzeige-Gründer-Biografien samt FDP-Phrasen in den zitierten Porträts/Interviews; oder gegenüber einem achtungsvollen "ach so neu" zu Praktiken, die weggeprügelt werden, wenn sie aus anderer Richtung kommen, siehe https://twitter.com/distelfliege/status/517030279828217856 ff.) und blind machen gegenüber tollen Potentialen.

Vielleicht ist die Biederkeit ja nur dekorativ und dient dazu, Leute ins Commonisieren zu holen, die von betont radikaler Squatter-Folklore abgeschreckt würden. Vielleicht ist der biedernde Tonfall aber auch Signal zur weiteren Befriedung und Bereinigung der Stadt von Störfaktoren für ein "kleinstädtisches" NachbarschaftsLeben im Kiez als aufgehübschter grüner Gated Community. Ich weiß nicht so recht. Deshalb zurück zur Eingangsfrage: Gibt's kritische Ressourcen zu so StadtteilVernetzungs/NachbarschaftsVitalisierungs-Dingern wie "WirNachbarn.com" und "Polly & Bob"?

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