Buch Frank Rieger, Constanze Kurz: "Die Datenfresser" / 2011.
Lektüre-Notizen:
- "Einleitung":
- "Bezahlen Sie mit ihren guten Daten":
- Das Netz entwertet das Geld und macht die Daten zur neuen Währung. Statt Profit durch Verkauf von Produkten an mündige Konsumenten, schlägt der Werbemarkt seinen Profit durch den Verkauf von Konsumenten verwandelt in Daten. Sie sind das neue Kapital, der neue Selbstzweck, um dessen Maximierung sich letztlich alles neu (?) ausrichtet.
- Bürger, lasse dich nicht blenden von Funkel und Kostenlos, ergründe Gier und Manipulations-Spielchen hinter shiny Web-Fassaden, die skrupellosen ökonomischen Strukturen, die Korruption, die Kollaboration mit Staat und Mafia. Solcher Blick ist gefährlich, drum wenden sie alles auf, um ihre Absichten zu verschleiern, von JuraSprech bis Lüge.
- Die Erzählung von den naiven Unternehmern mit Rest-Ethik, die unterm Druck der Investoren, des Marktes, des Staates zerrieben, aufgegeben wird. Eben noch Lachen, bald Zähneknirschen, Resignation, Verkauf an die Großmacht, die ein DatenMonopol aufbaut.
- Und was droht dem verdateten Bürger? Vor allem die Manipulation, "unnütze, ressourcenverschlingende Ausgaben" (S. 49) zu tätigen, durch das, was vorher noch nur Werbung war. Und Identitäts-Diebstahl natürlich.
- "Die schlauen Maschinen":
- Anwachsende algorithmische Maschinen-Intelligenz nützt uns nicht nur, sondern unterwirft uns dem Diktat der Rationalisierung, Optimierung, Taylorisierung, Entfremdung, schafft Normen, die eingehalten werden müssen, und wirft sich so gegen das Andere, die Abweichung, das Besondere, das Eigensinnige. Wer Algorithmen Daten liefert, hilft mit.
- Die algorithmisch aus der Statistik hergeleiteten Empfehlungen richten sich eben nicht nur nach dem, was dir nützt, sondern auch nach dem, was verkauft werden soll. Sie sind also nicht nur Prothese deines Willens und Denkens, viel mehr sind sie Prothese der profitgierigen Manipulateure in diese, in dich hinein.
- "Kein Vergeben, kein Vergessen?":
- Das Internet vergisst nicht. Streisand-Effekt, Speicher-Billigkeit, Kopier-Wille und vor allem auch, wie bei Facebook, Informations-Architekturen, die alles mit allem verknüpfen und so ein Herauslösen einzelner Teile unpraktikabel machen: Benutzer werden sauer, wenn ihre Kommentare mit dem kommentierten Bild verschwinden.
- Kunden-Bindung durch Daten-Monopolisierung. Wenn ich all meine Daten-Arbeit in Facebook reingesteckt habe und Facebook es mir schwer macht (durch die Vernetzung der Daten mit dem Rest-Facebook, und durch politischen Unwillen), das Ergebnis dieser Daten-Arbeit herauszulösen für Wechsel nach Anderswo, muss ich auf Facebook bleiben.
- Die sanfte Sprache der Daten-Sparsamkeits-Ratschläge: "wohl eher fragwürdig" (S. 83), "sicher nicht weise" (S. 86) ist dieses oder jenes Verdatungs-, Verknüpfungs-, Hochlade-Verhalten, da soll man doch bitte dreimal drüber nachdenken.
- "Die Datenprofiteure":
- "Nur noch mit Maske zum Einkaufen?":
- "Wir wissen, wohin du gehst!":
- "Aber ich habe doch nichts zu verbergen!"
- Vermutlich das ideologische Kern-Kapitel. Hier geht's rund in Sachen Werte-Rechtfertigung, politische Vorstellungs-Welten, Ideologie-Kritik.
- "Der Post-Privacy-Irrtum" (S. 183) wird strohmännisch aber belesen zugespitzt angerissen / dargestellt, jedoch in seinen Thesen mehr durch ein Vokabular wie "geistige[r] Kurzschluss" (S. 184) als durch argumentative Widerlegung angegriffen. Post-Privatler sind halt irgendwie naiv und teilen augenscheinlich diverse Prämissen der Autoren nicht.
- "Wissen ist Macht", diese Formel wird in großer Einfachheit behauptet ("gilt schon von alters her", S. 194). Außerhalb dieses Wissens zu sein, ist dann ein Sein außerhalb der Macht. Privatsphäre ist darum der Schutzschirm über dem Einzelnen (und seiner "Menschenwürde", S. 205) gegen intolerante Nachbarn und den Repressions-Staat.
- Einerseits wird Angst geschürt, wie tief die Algorithmen uns in unserem Tun und Sein erfassen können, andererseits "wird [nicht] hinter dem schubladisierten Persönlichkeitsabbild das verborgene einzigartige Menschenwesen sichtbar." (S. 197) (Christentum, ick hör dir trappsen!) Ja was von beidem denn nun?
- Die Formel, unsere Freiheit gelte, bis sie mit der Freiheit der Anderen in Konflikt gerate, leidet unter zuviel Transparenz. In deren Allwissenheit finden sensible Gemüter im jeweils Anderen mehr Anlässe, sich gestört zu fühlen. (Der Lösungs-Vorschlag der Kontrollverlust-Fraktion ist bekannt: Lernt Ignorieren / FilterSouveränität!)
- Hauptangriff des Kapitels gilt Datenschutz-ist-Täterschutz-SicherheitsStaatlern, dem obsessiven Präventions-Staat mit seinen Hausbesuchen usw. Feindbild wird aufgepusht durch Krisen-Bilder von verunsicherten Alten und Mächtigen, die den sozialen Frieden durch Druck auf die gefährlichen Jungen und wehrlosen Marginalisierten sichern wollen.
- Wer betont nichts zu verbergen hat, ist unsolidarisch mit denen, die etwas zu verbergen haben. Er erklärt sich selbst zum rechtschaffenen Bürger und legitimiert so die Verfolgung derer, die sich dieses Label nicht so eifrig auf die Brust klatschen. Es mangelt ihm an Lebens-Erfahrung in einem System, wo Unrecht als Recht gilt.
- "Wohin die Reise geht":
- Kleiner Science-Fiction-Roman, dessen Qualitäten vielleicht gerade in den umfangreichen Passagen liegen, die sich mit ganz Anderem als dem (in den vorherigen Kapiteln in seinen Potentialen und Gefahren ja bereits hinreichend erörterten und daher leicht überlesenen) Datenfraß beschäftigen: Energie-, Ernährungs-, Gesundheits-Politik.
- DatenMacht-technisch wird erzählt von Mitarbeiter-Überwachung zur Durchsetzung unternehmerischer Intransparenz. Letztlich siegt aber der KontrollVerlust, und der Unternehmens-Skandal dringt über einen nach Island umgesiedelten Fefe ("Felix von Lohenstein") doch erfolgreich an die Öffentlichkeit. Transparenz siegt!
- Eine angenehm un-extreme Vision. 2021 ist nicht besser oder schlechter als 2011, nur heißen manche Problemfelder anders. Politik, Kapitalismus, Ausbeutung, bürgerlicher Konformismus laufen genauso wie heute, und gleichzeitig gibt es ebenso viele oder wenige Freiheiten/Fluchtmöglichkeiten.
- "Das digitale Ich":
- Nochmal härtere Bandagen gegen die Post-Privatisten: Ihre "romantische Vorstellung" (S. 251) von Toleranz durch Transparenz werde torpediert durch Selbstmorde zwangsgeouteter Schwuler und tauge letztlich nur als Selbstbehauptung für einen Kreis Privilegierter.
- Die gefährliche Konsumenten-Manipulation durch DatenFresser-Werbung wird (natürlich nicht, mangels Quellen-Angaben) "belegt" mit Verweis auf ein Mehr an nutzlosem Plunder, der in den Haushalten dank eBay herumlagere, und einem Mehr an Privatinsolvenzen.
- Für Sicherung der informationellen Souveränität müsse man ja kein Asket werden, nur halt reflektiert mit den eigenen Daten umgehen. Die anschließenden Erzählungen anwachsender KontrollVerluste durch immer hinterhältigere Erfassungs- und Auswertungs-Mechanismen unterlaufen die Glaubwürdigkeit dieser These aber.
- Gib keine Informationen an, die dir nicht notwendig erscheinen, und notfalls halt falsche. Meide hippe neue Dienste, morgen sind sie eh vergessen. Verkehre unter Pseudonymen, und zwar mit verschiedenen, und halte deine Identitäten sorgfältig voneinander getrennt. Verbrenne alte Pseudonyme, kappe Verbindungen in ihre Lebenswelten.
- Sichere den Wert der Privatsphäre durch stärkere Kontrolle deiner selbst und der Anderen. Definiere dir eine Privatsphäre, verschriftliche sie zur Verhaltens-Vorschrift, verinnerliche sie. Sei Anderen in deinem Privatismus ein Vorbild. Bleue sorglosen Jugendlichen "Daten-Benimmregeln" ein, notfalls mit "sozialen Sanktionen" (S. 263).
- Ruf nach dem Staat, "bessere Regulierung" (S. 268), gesetzlichen Verboten, internationalen Rechts-Initiativen: "Schließlich hat Deutschland als Vorreiter in Sachen Datenschutz einen Ruf zu verlieren." (S. 270) Verpflichtung zu Opt-In statt Opt-Out. Datenbrief-Auskunftsrecht explizit auch zum Zweck, dass Verdatung zu teuer werde.