Buch: Daniel Kulla, 2003, "Der Phrasenprüfer. Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs".
Lektüre-Notizen:
- "Zum Geleit":
- Projekt unmittelbar nach dem Tod von Holland, quasi als Gedächtnis-und-Personen-bzw.-Gedanken-Bewahrung?
- "Erster Aufzug: Chaos, Hamburg 1987":
- Sehr witzig, das parallel zu Levys "Hackers" zu lesen, was die unterschiedliche thematische Gewichtung unterm Überbegriff "Hacker" betrifft. Bei Levy geht es um die Erschaffung einer neuen Technik-Welt, hier geht es um Kriminalität und Subversion, soziale Verantwortung, Datenschutz ... schwer zu beschreiben, eine andere Kategorie des Politischen jedenfalls.
- Der "Inverse Panoptismus": Die deutschen Hacker obsessieren über Überwachungsstaat / Überwachungsmacht und sehen die Lösung in der Umdrehung des Überwachungsverhältnisses: Wir gegen Die.
- Der Chaos Computer Club findet seine Aufgabe darin, die SicherheitsVersprechen der Großen in Frage zu stellen.
- Die traditionell Computer-feindliche Linke, verkörpert durch die Erinnerungen von Christian Y. Schmidt. In deren Dunstkreis ist Holland zwar eingeübt, aber da findet er keinen Raum für seine Technik-Begeisterung.
- Rumphilosophieren mit Peter Glaser.
- "Wer schützt uns vorm Datenschutz?" fragt bereits in den 70ern Ausgabe 23 der Zeitschrift Kompost. Den Artikel unter dieser Überschrift würde ich ja nur zu gerne ...
- Holland macht es wie auch einige Levy-Helden: kündigt seinen Computer-Job, weil der Arbeitgeber Militär-Aufträge annimmt.
- "Zweiter Aufzug: Grenzen, Löhrbach 1990":
- Wer Werner Pieper kennen lernt, lernt auch Timothy Leary, Robert Anton Wilson und Captain Crunch kennen.
- Bei Werner Pieper treffen sich die coolen Leute zum entspannten "Vollmondessen", aber Spannungen innerhalb der deutschen Hackerszene begleiten die Protagonisten auch dorthin.
- In der zweiten Hälfte der 80er wird es ernst mit der Hackerei. Abseits des "ethischen" BTX-Hacks gab's aus dem Club-Umfeld auch Einbrüche bei CERN und NASA usw., die nicht ganz so glimpflich ausgingen, und schließlich die Karl-Koch-Geschichte. Der Holland'sche CCC in der moralischen Defensive: Diese Hacker sind nicht unsere Hacker! Oder, besser: Es sind gar keine Hacker! Distanzierung via einer sozial-verantwortlich ausgebauten "Hacker-Ethik". Beharren auf Gesetzes-Treue.
- Die Grenzziehung zwischen amerikanischer und deutscher Daten-Moral. Die Deutschen betrachten sich als politische Avantgarde der Hackerei: Hier ist man Computer-kritisch. Der CCC wird staatstragend, Experte im Dienst der Verfassung. In Amerika dagegen ist man von der Sichtweise Clifford Stolls geprägt: Die Hacker vom deutschen CCC sind unmoralische Skriptkiddies!
- Die Hack-Skandale zerlegen den CCC. Man gerät in Kontakt mit Regierungen, Geheimdiensten, zwielichtigen Gestalten. Gegenseitige Verdächtigungen, Unterstellungen, Misstrauen. Am Ende wird der Club von Andy Müller-Maguhn gerettet, der es irgendwie schafft, Drama-unberührt zu bleiben.
- Bei Levy wird Joseph Weizenbaum für seine Sichtweise der Hacker-/Computer-Kultur als kurzsichtig kritisiert. Hier dagegen wird er als moralische Referenz angeführt.
- "Dritter Aufzug: Polytechnik, Jena 1999":
- Distanz zwischen Holland und dem CCC. Zerwürfnisse hinter sich lassen; Holland als bloß noch dekoratives Alters-Maskottchen eines CCC, der sich zur Staats-nahen NGO zähmen lässt. Außerdem die eigene Firmen-Pleite. Zeit für Tabula Rasa. Neu-Anfang in Thüringen. Ganz neue, andere Welt. Spuren der Freiheit, des Vakuums zwischen DDR und BRD.
- Ostdeutsche Neonazis sind mit Hilfe des westdeutschen Verfassungsschutztes gezüchtet. Holland verteidigt Ausländer gegen Behörden.
- Exkurs zur Polytechnik: Die Sozialisten glauben daran, dass der Mensch allgemein-technisch umfassend ausgebildet gehört, statt hoch-spezialisiert-ignorant. Die DDR setzte das um. Holland saugt diesen Erfahrungshintergrund begierig auf.
- Es war nicht alles schlecht in der DDR. Die offiziellen Dokumente zeigen nur die offizielle Machtstruktur. Informell ging mehr.
- Holland war weniger Macher, konnte sich aber unter den jungen Leuten im Osten in der Rolle wälzen, die er am Besten beherrschte: als Pädagoge, als Lehrmeister, als Erzähler.
- "Vierter Aufzug: Meine zu kurze Zeit mit Wau":
- Persönliche Anekdoten.
- Exkurs Postfordismus. Als das Chaos Teil der Ordnung wurde. Wo Individualisierung das System macht, liegt die Flucht in der menschlichen Nähe.