Buch: "Demokratie. Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft" / Hrsg. Peter Decker, 2013 zusammengeführt aus diversen Beiträgen des "GegenStandpunkt" ohne Autoren-Nennung.
Lektüre-Notizen:
- "Editorial":
- "Die demokratische Wahl" (GegenStandpunkt 1-94):
- Sind die Wähler die aktiven und die Parteien/Politiker die passiven Teilnehmer der Wahl? Eher umgekehrt: Die politische Rolle des Wählers ist beschränkt aufs AnKreuzen einer unter mehreren vorgegeben Alternativen. Die der Parteien/Politiker umfasst das Gestalten dieser Alternativen, das Entwickeln/Verhandeln/Begründen von Positionen und das Informieren/Beeinflussen/Ermutigen des Wählers.
- Die DeutungsHoheit über die Wahl liegt bei den Parteien/Politikern, nicht beim Wähler. Die Positionen aller Wähler lösen sich in ein einfaches ZahlenVerhältnis zwischen parteilich organisierten Alternativen auf. Welche konkreten Forderungen, Interessen, Ansichten in dieses ZahlenVerhältnis aufgelöst sind, das interpretieren allein die Parteien/Politiker und leiten daraus her, was ihnen passt.
- Das WahlGeheimnis verdeutlicht nur die BedeutungsLosigkeit des WahlKreuzes: Die Wahl findet stumm statt, anonymisiert, nicht als politischer Dialog der Wähler untereinander. Das geheime WahlKreuz ist die leiseste, abstrakteste, isolierteste politische Handlung überhaupt.
- Impotenz des Protest-Wählens: Auch hier stehen nur die vorgegebenen Parteien/Politiker zur Verfügung, nur halt diejenigen ohne Aussicht auf Macht-eröffnende Prozente. Und gerade damit marginalisiert sich der auf sie summierte Protest: In der Demokratie wird ja gerade das zur politischen Irrelevanz erklärt, was nicht genug Prozente auf sich vereint. Der Protest bekennt offen seine Irrelevanz.
- Jede "Protest"-Wahl bleibt eine Wahl, also Anerkennung der Demokratie bzw. des Staates, der sich über sie legitimiert, also der Auswahl an Parteien/Politikern, die der Staat gewährt. Gewährt wird nur, was Legitimation, Prinzipien und GewaltMonopol des Staates nicht fundamental angreift. Die System-Frage lässt sich durch die Wahl nicht stellen, weil erst das System die Wahl bevollmächtigt.
- Logik des Nicht-Wähler-Bashings: Nur der darf über die Politik meckern, der auch wählt. Heißt: Nur wer das System in seinen Fundamenten anerkennt, darf das System kritisieren – also bloß noch Mängel am System gegenüber seiner BlauPause ankreiden bzw. VerbesserungsVorschläge machen, wie das System seinen unhinterfragbaren Ansprüchen besser gerecht werden könnte.
- Fiktion regelmäßiger demokratischer Wahlen als "Volks"-Souveränität: Sie stellen keine regelmäßig erneuernde "Volks"-Entscheidung über das Ob oder das strukturelle Wie des Staates bzw. des GewaltMonopols einer Regierung dar, sondern nur über das Wer der personellen Besetzung einiger weniger SchaltStellen mit eng umgrenzter GestaltungsFähigkeit in dieser Maschinerie.
- Daneben ist das "Volk" bloß eine Konstruktion des Staates zur Selbst-Legitimation. Eine große Verschiedenheit aus politischen Akteuren, Interessen, Klassen, SozialZusammenhängen wird abstrahiert bzw. negiert zu einer WählerMassen-Einheit, sortiert entlang apolitischer Kategorien wie Geografie, Sprache, Folklore. Die politischen Gräben untereinander auszublenden wird demokratische Tugend.
- Kein "Volks"-Begriff je ohne Staats-Projekt. Einerseits hierarchisiert der Staat die Menschen unter seiner Herrschaft entlang des Grads ihrer Volks-Zugehörigkeit, um etwa bestimmte InteressenGruppen zu marginalisieren. Und andererseits sortieren sich bestimmte Gruppen unter dem Staat nur zu einem eigenen "Volk" zusammen, wenn sie auch einen eigenen Staat wollen.
- Naturalisierung staatlich geschaffener Ordnung: Staat wird als stark eingeschränkt in seinen GestaltungsMitteln, einigermaßen machtlos wahrgenommen gegenüber "SachZwängen", gegenüber einer Ordnung, die er teils verwalten, aber nicht umdefinieren könne. Dabei sind diverse solchermaßen "vorgefundene" Verhältnisse allesamt erst durch staatliches GewaltMonopol durchgesetzt und abgesichert.
- Ohne Staat nix Justiz, PrivatEigentum oder Geld, also: kein Kapitalismus. Durch Schutz der EigentumsRechte verwehrt der Staat die kollektive Aneignung der ProduktionsMittel und verhindert unentgeltlichen Zugriff auf deren Erzeugnisse. So sichert er die Armut, die in die Lohn-Abhängigkeit treibt. Als SozialStaat eignet er sich zugleich Initiativen gegen die Armut an.
- Die als GegenEntwurf zur staatlichen Initiative vielgepriesene Privat-Initiative ist unter Bedingungen von Staat und Kapitalismus auch nur so stark und freibeweglich wie das staatlich gesicherte PrivatEigentum/Kapital hinter ihr.
- "Der demokratische Wahlkampf"(GegenStandpunkt 1-94):
- Die zur Wahl stehenden Politiker bewerben sich beim Wähler nie als InFrageSteller des Staates (dann wird ihre Partei verboten), nur als die jeweils besseren Beamten im Staat. Die Interessen, für die sie einzutreten behaupten, sind stets vorgefiltert auf ihre Konformität mit einem (nur vielleicht von Partei zu Partei anders verstandenen) Projekt völkisch-national-staatlichen Erfolgs.
- Bei Auswahl zu vertretender Interessen kein Rütteln an GrundFesten von WirtschaftsSystem/KlassenEinteilung. Elend derer am Ende, Rand des ArbeitsMarkts wird nicht zur Frage nach Sinnigkeit des ArbeitsMarktes, sondern, wie den ArbeitsMarkt fördern, wie seine Opfer stärker in ihn integrieren oder wie, damit sie sich nicht gegen ArbeitsMarkt oder System radikalisieren, sie mit Almosen ruhig stellen.
- Solches "sozial-staatliche" Mildern der durch seine eigene Ordnung (die Eigentum, MarktWirtschaft, Kapital schützt) verursachten Schäden verkauft der Staat noch als WohlTat, die ihn legitimiert. Gleichzeitig erweitert er so seine VerfügungsGewalt über die von seiner Ordnung Benachteiligten, denn die Almosen kann er als Teil seiner VerwaltungsMasse politisch motiviert erhöhen oder kürzen.
- In ihrem demokratischen BildungsAuftrag vermitteln die Politiker dem Bürger, seine Interessen der national-staatlich-kapitalistischen Perspektive einzupassen und unterzuordnen: Dein Leiden an Armut ist doch im Wesentlichen ein Leiden an dem schwachen ArbeitsMarkt, also an unserem mangelnden WirtschaftsWachstum, also an unserer mangelnden DurchSetzung auf den WeltMärkten, usw.
- Ein weiteres Mittel, die Radikalisierung der Verlierer des Systems gegen das System zu verhindern: Sie in Konkurrenz zueinander stellen. Jedes härtere Arbeiten oder Kürzen ist notwendig für das nationale Projekt, aber wenn es die einen mal härter trifft, heißt das wohl, dass es ihnen bisher zu gut ging auf Kosten der Übrigen.
- Die Verfassung kommt der Politik immer recht, wenn es gilt, dem bürgerlichen System widerstrebende VeränderungsWünsche als rechtlich undurchführbar abzulehnen. Wo das dem Erhalt dieses Systems oder dem Ausschluss seiner Gegner dient, gibt es aber keine großen Probleme, diese verfassungsrechtlichen Grundsätze in Frage zu stellen oder auch gar zu ändern.
- Ähnlich scheinheilig jedes Diktat des Sparens: Nicht nur ist jeder HausHalt sowieso ein SchuldenHausHalt; auch gebietet das "Sparen" stets nur das Erhöhen von den Untertanen in Masse zu tragender Beiträge bzw. das Kürzen ihnen verfügbarer Leistungen; die WirtschaftsFörderung indes darf nicht gehemmt werden. Hier rechtfertigt pseudowissenschaftlicher WirtschaftsWeisen-Humbug jeden Exzess.
- Kampagnen zur "Inneren Sicherheit" profilieren Kriminalität, die aus der staatlichen Ordnung erwächst (die Leute in Armut zwängt, Konkurrenzdruck steigert usw.), zum Argument für Stärkung der staatlichen Gewalt. Da der RechtsStaat den meisten Untertanen kaum Freiheiten schenkt, eher nimmt, braucht es harte Argumente, damit sie sich seinem allumfassenden GewaltMonopol beugen.
- Der KonkurrenzKampf der Parteien ist Zirkus. Einmal an der Macht, unterscheiden sie sich in ihrer konkreten Politik nicht; nur in der moralischen Bedeutung und den "Themen", die sie ihr zuschreiben ("christlich", "sozial gerecht"), und den KrokodilsTränen, die sie gegenüber den für jede Partei gleichen SachZwängen vergießen.
- Die Konservativen versprechen einen Staat durch autoritäre Stärke und christliche Sittlichkeit (die sich schon immer auf Appelle an Untertänigkeit verstand). Die Sozialdemokraten versprechen einen Staat durch Einschwörung der Arbeiter auf denselben durch "soziale" Politik, also Fortführung von Bismarcks SozialStaats-Projekt.
- Die kleineren Parteien innerhalb des respektablen Spektrums, da gibt es vor allem die Liberalen. Deren Forderung auf Reduzierung des Staates sind minimal; eigentlich geht es ihnen auch nur um etwas andere SchwerPunkte bei der WirtschaftsFörderung. Sie spielen besonders gewitzt das Spiel des WirtschaftsWeisen-Humbugs.
- Die PDS (es ist das Jahr 1994) ist eigentlich eine (die einzige bedeutende) regionalistische GegenPartei zu den nationalistischen Parteien. Sie bemüht sich aber selbst um einen nationalistischen Kurs: Sie will doch eine der Nation würdige GleichStellung der östlichen LandesTeile über nationale Solidarität! Dem restlichen bürgerlichen ParteienSpektrum riecht sie aber noch zu sehr nach SED.
- Dann gibt es die Grünen. Deren Umwelt-Friedens-Projekt war von Anfang an national gedacht, als anfängliche BürgerBewegung-statt-Partei hatten sie aber viele radikale Elemente, die mit bürgerlicher ParteienDemokratie nicht konform gingen. Vor der Entscheidung, "etwas bewirken" zu wollen, entschied sie sich aber zum demokratischen MachtSpiel und wurde so ganz gewöhnliche bürgerliche Partei.
- Heute sind die einst systemkritischen grünen Punkte systemkonform integriert. Es gibt ein Umwelt-Ministerium; aber UmweltPolitik ist eben jetzt auch nur WirtschaftsFörderungsPolitik. FriedensPolitik, ja; aber das heißt natürlich, KriegsEinsätze für den Frieden. Andere Elemente grüner Alternativität als harmlose Dekorationen duldbar (Stricken im Parlament); SystemKritiker dagegen sind draußen.
- Ansonsten scheitern BürgerBewegungen am politischen System entweder als zu radikal in ihrem Ansinnen oder werden, wenn das Ziel integrierbarer erscheint, von existierenden Parteien kooptiert, die sich zu ihrem Champions ernennen, dafür aber auch Einschwörung der Bewegung auf parteiliche Normen und Anpassung ihrer Forderungen aufs Partei- und SystemKonforme verlangen.
- Die verfassungsrechtlich noch duldbar systemkonformen Republikaner unterscheiden sich inhaltlich eigentlich nicht groß von rechten Ausläufern der Christdemokraten, aber dienen letzteren als RechtsAußen zu AbgrenzungsZwecken. Wehe nur, man würde in eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Republikanern eintreten, das geriete aufgrund mangelnder inhaltlicher TrennLinien peinlich.
- Im WahlKampf lobt sich die RegierungsPartei, viel getan zu haben (unabhängig von Folgen fürs Leben der Bürger), wirft Opposition vor, im Gegensatz dazu nichts erreicht zu haben (wie auch, als Opposition) und kein Gespür fürs politisch Notwendige oder Machbare zu zeigen. Opposition kontert, RegierungsPartei habe qua Amt in sie gesetzte Ansprüche nicht erfüllt, nicht genug geleistet.
- Beide Seiten werden inhaltlich nicht zu radikal in ihren politischen Anfeindungen gegeneinander. In den GrundFragen des Staates, seiner Ansprüche und Aufgaben, sind sie sich einig (sonst wären sie ja nicht im Parlament). Und sowieso sind sie über vergangene Projekte, Koalitionen usw. verstrickt. Bleibt wenig zur Wahlkampf-Differenzierung, außer eben: Moralismus, Personalisierung, Boulevard.
- "Politik und Persönlichkeit in der Demokratie: Der Beitrag der Charaktermaske zur Freiheit der Staatsmacht" (GegenStandpunkt 1/2-96):
- Demokratische Legitimation: Das Mittel heiligt den Zweck. Also: Eine MachtStruktur, deren Führung durch demokratische Wahl besetzt wird, ist so als MachtStruktur bereits gerechtfertigt.
- Wer sich Bürger nennt, macht sich mit dem Staat gemein. Angesichts des Staates ÜberMacht muss der Untertan tun, was der Staat von ihm verlangt. Der Citoyen aber sieht sich als Teilhaber am Staat bzw. den Staat als Mittel seiner Wahl; in Folge die Verteidigung des Staates und seiner Interessen als die der seinen; und akzeptiert in Folge seine Repression durch den Staat als in seinem Interesse.
- Aller Streit über ein Mehr/Weniger an bürgerlicher Freiheit geht hiervon aus: Dass es Sache des Staates sei, Freiheit zu gewähren / einzuschränken. Der Bürger verlangt Freiheit für sich, indem er auf Rechte pocht / sie fordert. Rechte aber stehen / fallen mit dem Staat. Man kann kein Recht fordern ohne Staat, und so des Staates Autorität, dieses Recht nach seiner Räson "notfalls" einzuschränken.
- Das "notfalls" entsteht aus "SachZwängen", die der Staat angeblich respektieren muss (aber eigentlich selbst schafft). Anerkannte "Politik" anerkennt diese Zwänge. "Politische" Diskurse werden darüber geführt, wie diese Zwänge in ihren notwendigen Konsequenzen interpretiert werden, welche FreiRäume man unter ihnen sieht. InFrageStellen der Zwänge selbst wird als "Politik" nicht anerkannt.
- Eine Partei gilt nur als "politisch", soweit sie alle aus diesen Zwängen rührenden Probleme zu behandeln beansprucht. Sonst gilt sie als "Ein-Punkt-Partei", die äußerst undemokratisch nur ein Partikular-Interesse vertritt, ohne Plan, wie das mit den restlichen notwendigen Interessen zu vermitteln sei. Wer ernst genommen will, muss versprechen, ein Herrschafts-VollProgramm zu fahren.
- WahlKampf verläuft über "Glaubwürdigkeit" bzw. persönliches Charisma der sich bewerbenden FührungsKräfte. Das ist keine Degeneration der Demokratie. Der WahlKampf filtert darwinistisch die Kandidaten empor, die der unpersönlichen Herrschaft am wirksamsten ein menschliches Antlitz verleihen, über das die Untertanen sich mit der Herrschaft identifizieren, "anfreunden" können.
- Alle Politiker sind sich im Arsenal der GrundWerte und -Zwänge einig; sie legen die Wirklichkeit nur unterschiedlich etwas mehr zugunsten der einen oder anderen aus. Noch die PDS vertreten durch GregorGysi kleidet ihre parteipolitischen Angriffe als: Wir verlangen nur eine strengere Umsetzung des im GrundGesetz eigentlich Geforderten, als ihr korrupten Parteien der BonnerRepublik bietet.
- Seltenst schafft es eine Partei in Abweichung vom alten Werte- und SachZwänge-Konsens, lang genug die Anfeindungen bezüglich ihrer NormAbweichung zu überleben. Schafft sie es (wie die Grünen), dann indem ihre Abweichungen (hier: das neue Issue "Umwelt") in den von allen Parteien, jeder "Politik" als Gesamtheit zu bedienenden (und nun erneuerten) Katalog von Zwängen/Werten integriert wurde.
- Beliebte Politiker-SelbstProfilierung: als der, der aus der Parteilichkei seiner Partei herauswächst; der im IdeologieGrabenkampf vernachlässigte überparteiliche SachZwänge anerkennt; der sich als im-Gegensatz-zu-Anderen (eigener wie anderer Partei) Experte zu deren Verwaltung weiß; der Parteilichkeit nur noch durch Zielgruppen-spezifische EinfühlungsVersprechen und WortWahlen vermittelt.
- Auch ist es keine Degeneration, dass Demokratie die MachtMenschen nach oben bringt. Die Demokratie-Logik legitimiert, was seine relative Stärke gegenüber dem Rest nach Kriterien des Systems beweist: Wer sich nicht als WahlKämpfer durchzusetzen, nicht im Rahmen des Systems zu taktieren, nicht Konkurrenz zu erniedrigen oder sich anzupassen weiß, der taugt nicht nur nicht, der liegt falsch.
- PolitikRhetorik. Regierende: Was failed, liegt an zwingenden äußeren Umständen bzw. der Opposition. Was klappt, liegt an eigener Politik. Wo die bisher noch nicht fruchtet, beweist das nur, dass sie intensiviert, durchgehalten werden muss. Opponierende: Fails folgen aus RegierungsPolitik. Gutes geschieht trotz derselben, durch äußere Umstände oder Politik, als die Opponierenden regierten.
- DemokratieLogik: Opposition hat unrecht, sonst hätte sie ja genug Prozente für die RegierungsMacht bekommen. Umgekehrt: Regierung hat Unrecht, sonst wären ihre letzten UmfrageWerte besser. (Demokratische Argument qua Umfrage-Wert begründet die ganze Industrie der Umfrage-Institute, die Demoskopie. Die FDP wollte die Institute verklagen, ihre miesen UmfrageWerte schädigten sie politisch.)
- Weitere Verfahren, DiskussionsBeiträge der demokratischen Konkurrenz zu disqualifizieren: Sie seien bloße Ideologie (statt Anerkennung der realen Verhältnisse, also der alles diktierenden "SachZwänge"); und die im DiskussionsBeitrag geäußerte Meinung werde von anderen Autoritäten, dem Volk, den Gewerkschaften oder gar einigen Leuten aus der Partei, aus der der Beitrag kommt, nicht geteilt.
- Man kann aber auch einfach sagen, ohne das je zu belegen müssen: Sie haben keine Argumente! Ihnen fehlen die Konzepte! Das ist unanständig! Das glauben Sie doch selbst nicht! Ausdruck von Unverständnis, Empörung und Belustigung tragen sehr weit in der Abgrenzungs-Profilierung gegen die Konkurrenz und erfordern dabei keinerlei Sach-Argumente. Konkurrenz als Zirkus der Leidenschaften.
- Noch diverse weitere kleinere Formeln der Politiker-Rhetorik an wunderschönen Beispiel-Zitaten vorgeführt; sicher ließe sich daraus ein MartinHaase-Vortrag basteln.
- "Wie die Unzufriedenheit der Bürger produktiv gemacht wird für die Fortschritte der Herrschaft" (GegenStandpunkt 1-09):
- Beispiel Kandidat Obama. Die Leere der Kernphrasen "Change", "… we can believe in", "Yes we can!" Prima IdentifikationsVorlage für jede Unzufriedenheit. Obama führt aber auch konkrete Unzufriedenheiten auf. Kübelweise. Und erklärt sie alle zur alleinigen Funktion der Unfähigkeit der Vorgänger-Regierung.
- Nicht die Politik zählt, die Obama vorschlägt, sondern die man ihm zutraut. Haupt-Argument: sein Charisma. Die Aufgabe verspricht Obama vollends zu erfüllen: unpersönlicher Herrschaft ein persönliches Gesicht, einen kumpelhaften AnknüpfungsPunkt zur Identifikation mit der Herrschaft bieten. Presse lobt, wie er zynisch gewordenen Massen wieder für Demokratie, das nationale Projekt usw. begeistere.
- Wie ein roter Faden zieht sich durch seine Reden: Die Nation muss wieder ihren Idealen gerecht, ihre Ansprüche wieder durchsetzen. Das Übel der Bush-Regierung: die Nation vernachlässigt, ihre Ansprüche unzureichend durchgesetzt, ihre Macht nicht klug genug ausgespielt zu haben. Helft alle mit, der Nation zu ihrer alten, gerechten Größe zurück zu verhelfen!
- "Amerika spendet den Völkern der Welt freie Wahlen" (GegenStandpunkt 1-05):
- So erbittert der WahlKampf, so unschön das Ergebnis für den Kandidaten auch war, stets schließt er mit DankSagung an die Wähler und Anerkennung des WahlSiegers. Sieger wie -Verlierer betonen, wie wichtig nun Überwindung der Gräben sei. Denn letztlich ist für ihre Macht, selbst die der OppositionsPartei, Bestätigung des Systems und des nationalen Gemeinsamen eigentliches Gewinnen der Wahl.
- KulturLeistung des Wählers (die die Kandidaten zu vermitteln beauftragt sind) ist die Auftrennung seiner Unzufriedenheiten in zwei Blöcke: einer dessen, was sich nicht ändern lässt, ob äußerer Umstände außerhalb der staatlichen VerfügungsGewalt; und einer der Unuzfriedenheit mit dem, wofür sich einzelne Amts-Inhaber verantwortlich machen lassen. Erst hierzu fähiges Volk ist Demokratie-reif.
- Die Elite dankt dem Pöbel für Bestätigung ihrer Ordnung im Wählen, aber misstraut ihm auch. Wahlen dürfen Politik nicht zu sehr unter Druck setzen oder auf Abwege bringen: Drum Klagen über Populismus; dass nun WahlJahr sei und echte Politik unmöglich; daher der aufgeklärte Zynismus gegenüber WahlVersprechen; daher der Ausschluss von Parteien über VerfassungsTreuePrüfung und FünfProzentHürden.
- Im imperialistischen Demokratie-Diskurs wird unterschieden zwischen den funktionierenden (westlichen, kapitalistischen, stabilen) Demokratien, den instabilen Demokratien und den Diktaturen. In funktionierenden Demokratien sind Staat und Recht hinreichend gesichert (und sei's via Demokratie-Einschränkung), dass Wahlen ihre Aufgabe der sozialen Befriedung erfüllen, keine System-Umstürze mehr drohen.
- Auch Diktatoren verstehen sich oft als höchste Diener ihres Volkes, ihrer Nation. Ihr Fehler ist, dass sie das System von ihrer Personalie abhängig glauben und machen. Demokratie ist Herrschaft, deren Stabilität aus ihrer Unpersönlichkeit rührt: Austauschbarkeit der Köpfe im HerrschaftsBüro ist das, was das HerrschaftsBüro an sich legitimiert, stabilisiert und der Untertanen Freiheit behauptet.
- Oppositionelle Gruppen fordern in Diktaturen nicht Demokratie, weil sie den politischen WettStreit wollen, sondern weil sie glauben, hoffen, herbei führen wollen, dass der Diktator ab- und sie hochgewählt werden. Wie die frühen SozialDemokraten glauben sie in der Demokratie den sicheren Weg zur Umsetzung ihrer eigenen SystemVorstellungen über die StaatsHerrschaft.
- Die SozialDemokraten, übrigens, verfielen bald ganz ihrem ZweckDemokratismus, wurden zu puren Demokraten, stießen ihren Sozialismus ab und bekannten sich stattdessen zur bürgerlichen Ordnung. Bürgerliche Ordnung integrierte die ArbeiterKlasse, indem sie ihr einen anerkannten, wenn auch eben erniedrigten, impotenten Platz zuwies. Die sozialdemokratisierte ArbeiterKlasse schluckte das.
- Demokratisierung als US-imperialistische Politik: Diktatoren werden über Invasion gestürzt, die Besatzer richten Wahlen nach ihren (gewünschte Ergebnisse fördernden, feindliche Parteien exkludierenden usw.) Bedingungen aus, die Teilnahme (egal wie umkämpft oder mit wievielen Unregelmäßigkeiten) an diesen zählt dann als demokratische Bestätigung der Invasion und BesatzungsMacht.
- Imperialistische Demokratisierung erfordert keine Ungewähltheit oder bisherige Instabilität der ZielRegierungen. Irgendeine Gruppe notfalls exilierter unzufriedener Extremisten, die (in Hoffnung auf eigene Erhöhung) Verhältnisse als undemokratisch anklagt, findet sich immer; mit hinreichender propagandistischer, technischer, finanzieller Unterstützung lässt sie sich zum Sieger aufbauschen.
- Ungenehme gewählte Regierungen bzw. Wahl-Ergebnisse lassen sich imperialistisch diskreditieren durch InfrageStellung der WahlVorgänge: Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, wurde manipuliert, waren die WahlGesetze fragwürdig usw. Hier wird notfalls mit doppeltem Maß gemessen. Gerrymandering in den USA und abwaschbare FingerTinte in Afghanistan gehen ok, so lange Ergebnisse stimmen.
- "Das Letzte über Nutzen und Nachteil der Demokratie" (GegenStandpunkt 4-93):
- Es gibt Momente, wo Ausnutzung/Ergebnis demokratischer Prinzipien über das hinaus-schießen, was die Prediger der freiheitlich-demokratischer GrundOrdnung für gut und richtig halten. Überbordende Inanspruchnahme des DemonstrationsRechts. Unverbietbarkeit als feindlich empfundener Parteien. Wenn das, was die demokratische Duldung neutralisieren soll, plötzlich darin stärker wird als geplant.
- Eilig kommt dann der Ruf nach der "wehrhaften" Demokratie. Nach einer engeren Auslegung bisheriger Rechte- und Freiheits-Garantien. Nach zivilgesellschaftlicher Ausgrenzung dessen, was sich über die Gesetze nicht untersagen lässt (keinen Extremisten RedePlatz in den öffentlichen Foren einräumen, den Nazi-Parteien Veranstaltungs-Orte und Talkshow-Plätze kündigen usw.).
- Ein beliebter Mechanismus auch in der Bewertung der Demokratie anderswo: Wo der eigenen anerkannt demokratischen Nation ungenehme Wahl-Ergebnisse entstehen, beweist ein fremdes Volk seine Demokratie-Unreife. Da werden dann diktatorische Maßnahmen legitimierbar und nachgerade "demokratisch", weil sie (und sei es unter Ausschaltung jeder Opposition) "anti-demokratische Kräfte" ausschalten.
- Reif sind die anderen Länder erst für die Demokratie, wenn sie die oppositionellen Parteien hinreichend entzahnt haben, sei es über Verbote, ParlamentEinzugsHürden oder Anpassung. Erst wenn Wahlen nicht mehr drohen, ernsthafte Kommunisten oder SchuldenRückZahlVerweigerer oder EU-Gegner an die Macht zu bringen, kann von einer funktionalen Demokratie gesprochen werden.
- Die Sorge um die eigene Demokratie ist immer, wenn Wahlen drohen, am Größten: Dann drohen wichtige Fragen in "die Niederungen" der WahlKampfDebatten gerissen zu werden, wo sie doch am Klügsten außerhalb des WettKampfs um WahlStimmen geführt würden. Dann droht "Populismus", der dem WahlPöbel AnspruchsHaltungen einpflanzt, statt ihn auf notwendige Opfer für die Nation einzuschwören.
- Im Zweifel steht der "Demokrat" auf Seite des Staates, gegen einen VolksWillen, der dem Staat gegenüber zu fordernd wird. (An diesen Stellen im Buch wird der Begriff "Volk" gefühlt etwas weniger kritisch verwendet.) Demokratie ist dann kein Zweck-für-sich mehr, sondern ein Mittel (zur Legitimation von Herrschaft, zur Sicherung der staatlichen Ordnung), das zu wünschen übrig lässt.
- Unterm Eindruck einer ihrer staatsstabilisierenden Aufgabe so nicht mehr nachkommenden Demokratie wird der bürgerlich-liberale Demokrat dann doch ganz schnell zum Diktaturen-Freund, zum Faschisten. Das ist insofern lustig, als dies eine der häufigsten Diskreditierungen linker Demokratie-Kritik ist: Dass wer die Heiligkeit der Demokratie nicht anerkenne, wohl Despotismus fordere.