Buch: Mircea Eliade, "Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen" / 1956.
Lektüre-Notizen:
- Vorwort (1964):
- Das Werk versucht, bisherige Untersuchungen Eliades Laien-tauglich zu verknappen. Es gab Beschwerden über diese Verknappung seitens des falschen Publikums, aber allen recht machen kann man es eh nie.
- Andeutung einer Spekulationen über die Entsakralisierung / Profanisierung der Welt; was heißt das -- Verlust des Religiösen? Eintritt einer neuen, nur halt Gott-losen Religion? Nur eine weitere Stufe im selben Sinn-Produktions-Prozess, der mit der Sakralisierung begann und nun sich aberdurch das Profane definiert?
- Einleitung:
- Rudolf Otto utersuchte mit "Das Heilige" das religiöse Erleben, erfüllt von der Ehrfurcht vor einer gewaltigen Macht des ganz Anderen und Irrationalen, das vom profanen, darunter auch dem philosophischen Begriffs-Apparat, nur unzureichend beschrieben werden kann, aber als das Numinose vom Gläubigen erlebt wird.
- Eliade interessiert das Heilige als frühgeschichtliche Sinnproduktion, und als Gegensatz zum Profanen. Der frühe Mensch sucht die Nähe des Heiligen; es ist das, was der Welt Wirklichkeit gibt, und das Profane ist demgegenüber unwirklich. Eine Handlung ist bedeutsam, soweit sie (z.B. rituell) einen Faden zum Heiligen hat.
- "Hierophanie": eine Manifestation des Heiligen, z.B. in einem geheiligten Gegenstand, Stein, Baum, oder Jesus Christus. Paradoxer Zustand: diese Dinge sind zugleich Teil der profanen Welt und werden doch auch als Teil des Heiligen erfahren.
- Der homo religiosus lebt in einer Welt, die durch ihre geheiligten Bestandteile definiert ist; der moderne Mensch dagegen in einer mehr und mehr ganz profanen Welt, weshalb es ihm schwer fällt, den homo religiosus zu verstehen.
- Studium des homo religiosus nicht allein als religionsgeschichtliche Aufgabe, sondern als eine der "philosophischen Anthropologie", der Psychologie usw. Die religiöse Erfahrung kehrt über weite Kulturkreise immer wieder; darum auch ist es legitim, sie in großer Breite zu vergleichen und Gemeinsamkeiten zu suchen.
- Das Buch könne als Einleitung in die ReligionsGeschichte verstanden werden, soweit es GrundElemente und Vielfalt der Ausprägungen derselben übergreift; aber es macht keine Chronologie von Veränderungen und historischen Bedingtheiten auf; dafür bräuchte es ein anderes, mehrbändiges Werk (später dann …)
- "Der heilige Raum und die Sakralisierung der Welt":
- Der profane Raum ist Chaos, ungeordnet, un-erschaffen, amorph, homogener Brei. Aber für den religiösen Menschen wird er durchbrochen von Rissen, in denen sich eine andere, eine Geometrie des Heiligen manifestiert. Hier ist Ordnung, Sinn, Sein. Ihre Pfeiler und Tempel geben Orientierung. Von hier strahlen Kosmos und Welt aus.
- Heiliger Berg, axis mundi (WeltSäule, verbindet UnterWelt, Diesseits, Himmel), heilige Stadt sind Zentrum heiliger Welt/des Kosmos; in ihrer Nähe: Ordnung, Fruchtbarkeit, Leben. Hier gruppiert sich die Zivilisation; fern davon: Barbaren. Die Völker sehen stets ihre Stadt, ihr Land um sie gruppiert, also dem Heiligen am Nächsten.
- Der Mensch kann nur leben, die Stadt nur florieren, soweit sie über ein solches Zentrum geheiligt ist; darum werden Dörfer um einen leeren Platz herum gebaut, auf dem später die Kirche entsteht, darum hat jede Jurte ihre Himmels-Achse. Die Multiplikation des Zentrums erscheint als paradox nur nach profaner Geometrie.
- Erst mit der AgrarWirtschaft und den sesshaften Völkern formieren sich Riten zur nachträglichen Heiligung eines Ortes (oder zur Entdeckung eines heiligen Ortes) -- denn wo ich mich niederlasse, das ist eine bedeutsame, eine religiöse Entscheidung. Die Jäger und Sammler tragen dagegen ihre axis mundi mobil mit sich herum.
- Der moderne, profane Mensch dagegen lebt in einer Welt, die dem religiösen ein chaotischer Brei gewesen wäre. Jeder Ort, jede Handlung ist austauschbar, kann ohne große Rituale der Heiligung, also Sinn-Einbindung gewechselt werden. In der profanen Geometrie unterliegt alles dem selben Raster von Größe, Mächtigkeit, Gesetzmäßigkeiten.
- Weihung eines Ortes, also seine Einbindung in den Kosmos, seine Befreiung aus dem Chaos, ereignet sich über Nachvollzug der ursprünglichen heiligen Welt-schöpferischen Akte (Kosmogonien). Schöpfungs-Mythen sind oft blutige OpferGeschichten (Tötung eines Drachen, Zerstückelung eines Riesen usw.); so Opfer-Charakter der Rituale.
- Später Schritt in der Geschichte des Heiligen: die Tempel, Kathedralen, Städte in direkter Nachbildung eines heiigen Bauplans errichten, der in elaborierter Symbolik des Kosmos (immer dran erinnern: der Kosmos umfasst nur das Geheiligte!) nachbildet; die heiligen Orte heiligen so nochmal symbolisch den ihnen äußeren Kosmos.
- Die Bedeutung der Tempel und der Tür-Schwellen: Sie markieren die Risse im profanen Raum, durch die man ins Heilige eintritt, oder zumindest Übertritte zwischen verschiedenen Abstufungen der Heiligung. Eintritt ins Andere, wenn du den Tempel betrittst; Eintritt auch in eine besonders geheiligte Sphäre, so du ein Heim betrittst.
- "Die heilige Zeit und die Mythen":
- Im Großen und Ganzen, was in "Der Mythos der ewigen Wiederkehr" steht, etwas knapper zusammengefasst. Das klärt manches aber auch etwas auf: etwa die geschichts-theologische [sic] Revolution im jüdischen und dann noch dringlicher im christlichen GeschichtsBild, und wie's dort weiter-geht zu Hegels WeltGeist-GeschichtsPhilosophie.
- Kleine Apologie des Kannibalen. Das MenschenOpfer, das er vollzieht, vollzieht er aus religiöser Ernsthaftigkeit, als Gebot der Mythen; nicht aus Primitivität. Der Kannibalismus scheint nämlich erst vergleichsweise spät in die Kultur zu treten, bei den ganz Primitiven finden sich keine Spuren von ihm.
- Der in der mythisch-zyklischen Zeit verfangene Mensch ist nicht mutloser, hifloser, dümmer als der moderne; er channelt seine erfinderischen, politischen, wagnishaften Tätigkeiten nur eben durch andere Vorstellungswelten als der moderne Mensch in seinem Rationalismus und seiner industrialistischen Psychologie.
- "Naturheiligkeit und kosmische Religion":
- Herleitung diverser verbreiteter religiöser Deutungen natürlicher Phänomene (Himmel, Wasser, Erde, Fruchtbarkeit, Vegetation usw.), Andeutungen ihrer Einordnungen in EntwicklungsGeschichten des Religiösen (dies ursprünglich, jenes später, dieses ab AckerBau, jenes bereits als Vorstufe einer Entsakralisierung usw.).
- Transparenz des Kosmischen: Dass der kosmische Teil der Natur von den Göttern geschaffen ist, offenbart er in seiner Lesbarkeit hin auf heilige Vorgänge und Bedeutungen; man sieht der kosmischen Natur an, dass sie das Heilige trägt.
- Der Himmel vielleicht ursprünglichste Erfahrung des Kosmischen: unberührbar, übergewaltig, wohlgeordnet, Ort der größten Zeichen, abstrakt. Nicht gleich Gott, aber sicherlich die angemessenste Manifestation des Göttlichen. Früh schon eignet sich das Heilige Attribute des Himmlischen an, die ersten Götter assoziieren sich ihm usw.
- Doch mit der weiteren Erfindungskraft der Kultur werden zunehmend auch konkreter anfassbare, nutzbare Dinge in den Kosmos integriert und so geheiligt; niedere Götter entstehen und verdrängen den himmlischen UrsprungsGott immer weiter in die Ferne. Er bleibt letzte Instanz. Im Judentum kehrt man immer wieder zu ihm zurück.
- Das Aus-der-Welt-Befördern des höchsten Göttes zeigt sich in der Delegation von WeltSchöpfung und -Regierung an diese niedereren Götter und Figuren; Stellvertreter. (Ob sich da auch Christus ein-arbeiten ließe?)
- Wasser-Symbolismus: oft assoziiert mit einer regenerativen UrSubstanz -- trete ein, sterbe und werde neu geboren. Wasser ist auflösend und zugleich vital. Die Taufe ist nur eine von vielen Umsetzungen; das Christentum hat sich hier sehr direkt einer NaturHeiligung bedient und sie durch viel Scholastik zu rechtfertigen versucht.
- Erde, Fruchtbarkeit, Frau/Mutter; tritt offenbar mit dem AgrarZeitalter ein. Ideen von der Erde, die spontan (also ohne männliche Befruchtung) Leben gebären kann, assoziiert der Idee, auch die Frau könne das; EhrFurcht, die zum Matriarchat führte? Später dann: Erde wird befruchtet, z.B. vom HimmelGott; Ritus Sex auf dem Acker.
- Weitere Assoziationen: Vegetation, LebensZyklus, LebensBaum; Mond, LebensZyklus; Stein, Unveränderlichkeit, Ewigkeit. Schön, mehrfach bereits in Eliades Büchern passiert: "Von Folgendem zu reden habe ich hier nicht die Zeit: [es folgt ein immer noch recht ausführliches Davon-Reden]."
- "Existenz des Menschen und Heiligung des Lebens":
- Das Kosmische, Urtümliche lässt sich in Europa am Ehesten noch im bäuerlichen AberGlauben, selbst dem christianisierten finden; viel mehr als im Christentum der antiken Intellektuellen zeigen sich hier noch Spuren der Vorstellungen, die mit der frühen AgrarWirtschaft entstanden.
- Diverses zu Initiations- und Übergangs-Riten, das mich etwas langweilt, das ich etwas überfliege, denn ich habe davon bei Eliade schon genug gelesen. Aber: Die ewige Verquickung aller Rituale mit Tod und WiederGeburt ordnet auch die echten Varianten dieser Vorgänge in einen ewigen Zyklus der Initiationen und Übergänge ein -- sorgt also dafür, dass Geburt nie der Anfang und Tod nie das Ende ist.
- Dem religiösen Menschen gelingt es, verschiedenste Dinge der Welt und seines Lebens in einem kosmischen Zusammenhang zu sehen; er lebt nicht nur für sich und nicht nur in seiner Zeit, er nimmt Teil an einemrabsoluten und wirklichen, Sinn-haften Über-Erzählung. Eliade bemitleidet den profanen Menschen, dem dies abgeht.
- Der (theoretische; ob er wirklich existiert, das zweifelt Eliade an) profane / säkularisierte Mensch lebt nur in der Enge und Flüchtigkeit der Subjektive und Bedeutungslosigkeit seiner Handlungen. Schon das späte Christentum bereitet das vor: Der moderne Christ sieht sein Heil und seine Schuld, individuell, anstatt einen vollständig göttlich geheiligten Kosmos.
- Tatsächlich aber ist das Erbe des Religiösen mächtig, selbst bei jenen, die sich für a-religiös halten; da gibt es die diversen Ersatz-Mythologien (Kino, Marxismus); da gibt es aber vor allem das Unbewusste, das noch immer in uns wirkt, bei aller Mühe, rational zu werden, und uns immer noch religiöse Intuitionen eingibt.