Buch: Andrew I. Port, "Conflict and Stability in the German Democratic Republic" / 2007.
Lektüre-Notizen:
- "Introduction: The Puzzle of Stability":
- Das Buch schaut auf die DDR-Geschichte bis 1971, dem Jahr, wo Ulbricht abtritt und die DDR vielleicht den Höhepunkt ihrer inneren und äußeren Stärke erreicht hat. Warum? Weil, im Gegensatz zu Anderen, dieses Buch fragt, was die DDR so stabil machte (viel stabiler als Weimarer Republik oder Drittes Reich!), statt, was sie auseinander fallen ließ.
- Fokus auf den Distrikt Saalfeld, gerade auch, weil es kein privilegierter Ort ist, weil hier vor allem Arbeiter und Bauern zu beobachten sind. Weniger bürgerlicher Fokus?
- Auflistung diverser Thesen zur Stabilität der DDR, vom Druck durch Stalins Panzer über die Nischengesellschaft bis zur Anerkennung sozialer Errungenschaften und ihrer befriedenden Wirkung. Das Buch möchte untersuchen, wie sich die verschiedenen untersuchten Trends in der DDR-Gesellschaft zueinander verhielten.
- Besonderer Fokus des Buches: Es geht nicht nur um die Vertikale zwischen Regime und Bevölkerung, sondern um die Horizontale der verschiedenen Gruppen unter- und gegeneinander. War die DDR wirklich so klassenlos, wie selbst ihre Kritiker gerne meinen?
- "Creating a 'New Order'":
- Amerikaner in Thüringen, geben an die Russen ab, die setzen mal Sozialdemokraten und mal Kommunisten als Funktionäre ein. Gelegentlich auch alte SS-Schergen. Keine lupenreine, eher eine pragmatische Entnazifizierung. Im Apparat gibt es darüber zuweilen Streit. Aber die Notwendigkeiten siegen. Nazis integrieren in der NDPD (tritt nach der Wende in die FDP ein).
- Wohn-Notstand. Häuser zerbombt, Armee und Flüchtlinge müssen plaziert werden, und vor allem: das Maxhütte-Werk soll laufen, einziger Hochofen des Warschauer Paktes (oder so ähnlich), und dessen anwachsende Arbeitermengen müssen plaziert werden. Ganze Dörfer werden für Wohn-Versorgung beschlagnahmt. Wer seine Wohnung nicht freiwillig aufgibt, wird von Soldaten rausgezerrt.
- Auch die Enteignung der Großgrundbesitzer verläuft eher wischi-waschi. In der Region Saalfeld gibt es auch nur wenige richtig große; die Kleineren lässt man gewähren, soweit sie keine Nazis. Hin und Her von Interesse-geleiteten Denunziationen oder Persilscheinen. Oft lokaler Widerstand. Land geht an Flüchtlinge und frische SED-Mitglieder, die nach Erwerb wieder austreten.
- Großer Druck, die Industrie wieder auf Vordermann zu bringen. Alles Wichtige wird zum VEB. Arbeiter müssen motiviert werden; schlechte Grundlagen hierfür im Nachkriegs-Chaos. Arbeitskampf gegen Forderungen und Quoten. Von oben werden heftige Maßnahmen verlangt, die auf Fabrik-Ebene oft in faulen Kompromissen enden, um die Arbeiterschaft nicht zu sehr zu erzürnen.
- "Leistungsprinzip"-AkkordLöhne und höhere Bezahlung besonders benötigter Berufe. Aber so lange man mit dem Geld nichts kaufen kann, ist das Geld auch kein großes Lockmittel.
- "The GDR's 'First Strike'":
- Die Region hat Uran. Da gehen die Augen der Sowjets ganz groß auf. Die Wismut wird gegründet, um es abzubauen, und Abertausende von Arbeitern werden reinrekrutiert. Vordergründig durch privilegierte Arbeitsbedingungen, tatsächlich aber durch Zwangsrekrutierung mit mehr oder weniger drastischen Mitteln. Für die Privilegien sind die Mittel nämlich nicht da.
- Teil des allgemeinen Nachkriegsproblems, im Stalinismus besonders ausgeprägt, erstmal die Großindustrie-Projekte aufzubohnern statt das, was der kleine Mann für sein Überleben sich wünscht. Große Unzufriedenheit bei den Menschen.
- Die zwangsverpflanzten, zwangsrekrutierten Arbeiter leben unter fürchterlichen Bedingungen, weil auch in Unterbringung und Versorgung die Mittel knapp sind. Sie geraten mit der örtlichen Bevölkerung aneinander. Arbeitsbedingungen sind grausam, werden eh alle an Krebs sterben. Flucht in den Alkohol.
- Rangeleien mit der Polizei eskalieren 1951 schließlich zu einem kleinen Aufstand, einem Streik, dem Stürmen örtlicher Ämter, der Flucht von Funktionären, der Befreiung von Gefangenen. Die Sowjets verweigern eingreifen, soll kein internationales Problem werden. Kurzfristig setzen die Behörden auf Deeskalation, Gefangenen-Freilassung und hoffen (erfolgreich) aufs Zerlaufen des Protests.
- Langfristige Maßnahmen: Die Lebensbedingungen der Arbeiter müssen verbessert werden, Kultur-Angebote, mehr verfügbare Waren. Einigermaßen durchgesetzt wird erstmal nur der Ausbau von Behausungen, denn Mittel nach wie vor knapp. Desweiteren: Rädelsverführer verurteilen, Erhöhung der Polizeipräsenz.
- SED sucht Rädelsführer in Westspionen, Kriminellen und Menschen mit unmoralischem Lebenswandel: Erfassen und Umsiedeln von Ex-Häftlingen, rezent aus dem Westen Hinzugezogenen und vor allem von Frauen mit verdächtigtem breiten sexueleln Umgang, fort aus der wertvollen Wismut-Region. Ähnlich wird mit anderen kritischen Regionen, vor allem an den Grenzen verfahren.
- Die Sowjets wollen ihr Uran, der Rest ist ihnen egal, ob ein paar Kneipen oder lokale Funktionäre zerdeppert werden, Hauptsache, die Förderung steht nicht still, Hauptsache kein Streik. Die örtlichen Machthaber dagegen denken bereits darüber nach, wie Sozialer Friede langfristig durchgesetzt werden könnte.
- Problem: keine sozialdemokratische Situation. Entwurzelte und rabiat zusammengezwungene Arbeiterschaft unter militärischem Mobilisierungsdruck, etwas ganz Anderes als die in westlichen Ländern schon in früheren Arbeitskämpfen etablierte Gewerkschafts- und Tarifverhandlungskultur. In Saalfeld eher Verhältnisse mittelalterlicher Bauernaufstände-Zündeleien.
- Der totalitär politische Charakter des SED-Regime macht jede Auseinandersetzung zu einer politischen, auch wo die Gründe rein materielle sind. Bestreikte Betriebe sind Staatsbetriebe, der Streik ist direkter Angriff auf den Staat. Von den Arbeitern wird teilweise mit dieser Frontstellung gespielt. Sie provozieren eine Antifa-legitimierte Herrschaft mit dem Horst-Wessel-Lied.
- "The Revolution Manquee of June 1953":
- Hier und da bessert sich die Lage langsam. Das nimmt die SED zum Anlass, einen Gang draufzuschalten beim Aufbau des Sozialismus -- mit neuen Gängelungs- und Zwangsmaßnahmen. 1953: Stalin ist tot, die Sowjets raten der SED, es nicht zu bunt zu treiben, keinen Aufstand provozieren. Die SED knickt ein und macht diverse Zugeständnisse.
- Zugeständnisse, aber eben nicht allumfassend. Vor allem die Quoten für die Arbeiter werden belassen, wo sie sind. Die fühlen sich nun verarscht, verhöhnt: Die Arbeiterpartei lässt alle gewähren, nur die Arbeiter nicht? Sauer, sauer! Deshalb ist der Aufstand von 1953 vor allem ein Arbeiter-Aufstand.
- In Saalfeld zeigt sich, dass die Unzufriedenheit selbst innerhalb der Arbeiterschaft unterschiedlich gewichtet ist. Die Bauerbeiter wollen Zoff, aber die Stahl-Arbeiter weigern sich, mitzumachen. Die sind nämlich seit ihrem Aufstand 1951 besonders gefördert und privilegiert. Sie vertreiben die Agitatoren der Bauarbeiter, und auf sich allein gestellt, zerfieselt deren Widerstand.
- Die Unruhen dieser Zeit liegen nur zum Teil begründet in den objektiven Umständen und ansteigendem Druck seitens des Regimes (die Quoten bspw. waren vorher künstlich niedrig gehalten, Erhöhung also gar nicht so unverfrohren); es geht vor allem auch darum, dass man sich im Vergleich mit Anderen ungerecht behandelt fühlt. Warum erhalten die Butter-Sonderzuteilungen?
- Selbst in den LPGs sieht es nicht besser aus. Hier herrscht untereinander das Gefühl, die einen würden besser gestellt als die Anderen. Wenn schon Zwangsgemeinschaft, dann wenigstens solidarisch! Schon deshalb großer Misserfolg, die Bauern davon zu überzeugen. 1953 kein großer Aufstand aber ein leises Sich-Zurückziehen aus den LPGs, die nach und nach zerfallen.
- Der Kampf gegen die Großbauern beißt sich so ein bisschen die Zähne daran aus, dass sich die Großbauern gar nicht so widerständig verhalten. Sie würden sogar oft gerne die LPGs joinen, dürfen aber nicht. Sie sind auch beliebt beim Volk, das nicht anerkennt, dass das alles fiese Kulaken sind.
- "The Limits of Repression":
- Die DDR erfährt ihre wesentlichen Krisen, Aufstände unterm Stalinismus bzw. den Monaten unmittelbar nach dem Tod Stalins. Danach wird es ruhig. Danach, als in Ungarn, in Prag, in Polen alles ins Wackeln gerät. Warum?
- Bis 1961 steht die Möglichkeit zur Flucht offen, und sie wird sehr rege benutzt. Das Regime muss die staatsfeindlichst Gesinnten gar nicht alle einsperren, die packen einfach ihre Koffer.
- Ein gewisses niedrigschwelliges Grummeln der Leute wird geduldet, soweit es nicht in offene laute politische Opposition umschlägt. Es gibt geringfügige Strafmaßnahmen für kleinere Vergehen, zum Beispiel berufliche Demotion, aber oft genügt es, sich reuevoll zu zeigen, ein gutes Gespräch. Keine Einweisung ins Gulag für ein falsches Gesichtszucken.
- Die Stasi ist unterbesetzt und glaubt, daran liegt es, dass sie die großen Verschwörungen nicht aufdeckt, von denen sich die SED verfolgt sieht. Schon die Unfähigkeit, diese zu finden, führt zum kleinlichen Rumstochern nach Unwichtigkeiten wie etwa der 8-Leute-Observierung einer Toilette, auf der jemand gerne Hakenkreuze auf die Wand malt.
- Die Ausweitung der Stasi durch informelle Mitarbeiter soll das Netz um subversive Kräfte enger ziehen, die Auskünfte sind aber erstmal wenig ergiebig, die IMs selbst oft nicht so ganz enthusiastisch. Stärker die Wirkung durchs offene karrieristische Denunzieren von Kollegen, oder auch das Einstimmen in einen Denunziations-Chor, wenn ein ungeliebter Kollege klein gemacht wird.
- Das Regime entwickelt eine sensible Politik von Zuckerbrot und Peitsche, beides auf oft nicht allzu hohem Niveau: Zuckerbrot ist keines da, und bei zuviel Peitsche befürchtet man Unruhe. Geraune gegen das Regime wird gewährt, so lange es in Grenzen bleibt, isoliert, sich nicht zu einem Mob verbindet.
- "Exit, Voice, and Apathy":
- Der Widerwille gegen SED-Politik und Leben in der DDR schlägt sich nieder in Republikflucht (bereinigt die Masse um ihre Unzufriedensten), Grummelei (reden statt handeln) und Apathie (Nischengesellschaft).
- Zwischen 1953 und 1961 flüchten jedes Jahr bis zu einer Viertelmillion / 1,5% der Bevölkerung. Schlägt sich empfindlich im Fachkräftemangel nieder. In Saalfeld ist man nahe der Grenze. Wer sich hier im Wald gut auskennt, findet nach drüben. Dass die alle von West-Agenten gelockt wurden, glauben selbst Funktionäre nicht; sie ziehen aber "persönliche Gründe" als Ursache vor.
- Vor allem die jungen Leute tragen die Re-Militarisierung nur widerwillig, stellen sich vor der Einführung der Wehrpflicht kaum freiwillig für die NVA oder ihre Freizeit für paramilitärische Ausbildung zur Verfügung. Die Alten fühlen sich von der NVA teils an die Wehrmacht erinnert oder schelten die jungen Leute, zu dienen sei gut für den Charakter, sie hätten es zu gut.
- Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und die Furcht, bald gegen andere Deutsche, vielleicht sogar Verwandte kämpfen zu müssen, so wie den Eindruck, nicht länger am eigenen Großmacht-Hebel zu sitzen, sondern so oder so in einem Krieg als Front von beiden Großmächten links und rechts aufgerieben zu werden, machen die Deutschen zu Pazifisten -- in Ost wie West.
- Diverse Bekenntnisse und Solidaritäten, die das Regime einfordert, vordergründig freiwillig, praktisch verbunden mit der einen oder anderen Drohung, stoßen immer wieder auf Verweigerung als Widerstand. Warum den Vietcong unterstützen, wenn die SED nichts für die eigenen Leute tut?
- "Der Russe" ist für viele noch immer kein Sympathieträger und sie sehen im politischen Kontext des Regime eine Demütigung, eine Unterwerfung, ein Reparations-Diktat. Heimgekehrte Zwangsarbeiter treffen in ihren ehemaligen Betrieben auf leere Fabrikhallen, weil alles in die Sowjetunion zurückgebracht wurde.
- Besonders trifft es die Empfindlichkeit von Funktionären in ihrer antifaschistischen Legitimation, wenn Bürger sich hierin und darin ans Dritte Reich erinnert fühlen.
- Gemurmel, Kritik usw. wird vom Regime zum Teil als Ventil geduldet, zum Teil sogar händeringend gesucht. Man will ja wissen, was die Menschen denken, statt dass sie einem alles verschweigen. Die sehen aber einen ansteigenden Stasi-Apparat um sich entstehen und fürchten Benachteiligungen, wenn sie den Mund aufmachen. In der Apathie sieht die SED ein Versagen an politischem Bewusstsein.
- "Power in the People's Factories":
- Der Arbeiter nimmt die Ideologie durchaus beim Wort, soweit sie ihm Rechte und Privilegien zuspricht. Da schaudert er auch nicht, sich mit Beschwerden zu Wort zu melden. Zuweilen pocht man aber auch noch auf Privilegien prä '45, zum Beispiel bei den Zeiss-Werken. Dort fühlte man sich schon immer gut behandelt und misst nun das Regime sehr streng an diesen Maßstäben.
- Die Gewerkschaftsfunktionäre sollen die Quadratur des Kreises hinbekommen: einerseits die Interessen der Arbeiter von Unten vertreten, andererseits die der Partei von Oben. Überraschenderweise besteht zwischen beiden oft ein ziemlicher Graben. Funktionäre pendeln zwischen den Seiten, beide gleichzeitig lassen sich nie zufrieden stellen.
- Betriebe ziehen Funktionäre vor, die aus den eigenen Reihen kommen und näher an deren Wirklichkeit dran sind. Die Partei zieht Funktionäre vor, die aus den eigenen Reihen kommen und näher an deren Ideologie dran sind.
- Trotz ihrer Schizophrenie schafft es diese Vermittelungsetage, den sozialen Frieden zu bewahren, wenn auch oft unter viel Zähneknirschen auf beiden Seiten und der Anerkennung klaffender Löche zwischen Wirklichkeit und dem von der Partei Geforderten.
- "Economic Struggles on the Shop Floor":
- Nach 1953 fürchtet sich das Regime vor den Arbeitern und lässt ihnen viel informellen Spielraum: unrealistisch niedrige Quoten (die permanent zum Abgreifen von Prämien übererfüllt werden), ein ständiges AugenZuDrücken hier und da.
- Jede Maßnahme, um ansteigende Auszahlung der Arbeiter an ansteigende Produktivität zu koppeln, egal wie streng, lässt sich nur durchsetzen, wenn sie auf dem Fabrikflur durch ausgleichende Zugeständnisse ad absurdum geführt wird.
- Die Arbeiter drücken die Norm durch oftmaligen Unter-Einsatz und langsames Arbeiten und verfolgen jeden, der ein zu fleissiges Arbeiten als leicht machbar erscheinen lässt, als "Lohndrücker". Sie fürchten sich nicht so sehr vor Erhöhung ihrer Arbeitsmenge als davor, dass eine höhere Norm zur Verringerung über Norm-Übererfüllungs-Prämien führt, auf die sie sich angewiesen sehen.
- Viele falsche Krankmeldungen, zum Teil, um daheim den kleinen Privatacker zu bewirtschaften. Alkoholkonsum am Arbeitsplatz. Zu spätes Kommen und zu frühes Gehen. Rumlungern statt Arbeiten. Das sind die Privilegien, die sich die Arbeiterschaft aus der Furcht des Regimes vor ihnen erkauft, und auch aus chronischem Arbeitskräfte-Mangel: Sie haben das mit der proletarischen Reserve-Armee verstanden.
- Statt schlechtem Gewissen, durch Verringerung der Produktivität selbst zu diversen Engpässen beizutragen, die sie beklagen, schieben sie die Schuld (genauso zurecht) auf infrastrukturelle Probleme, Mangelhaftigkeit ihrer Maschinen und Material-Lieferungen, unzureichende Personen-Transport-Infrastruktur für Hin- und Rückweg, ungesunde Arbeitsbedingungen.
- Die Stabilität des Regime beruht im Fall der Arbeiter nicht nur (aber auch) auf Repression, sondern auf Zugeständnissen und Regelungsfeigheit zwecks Sicherung eines als fragil empfundenen sozialen Friedens.
- "Divide and Rule?":
- Das Regime versucht, Produktivität durch Wettbewerb zu steigern, zwischen Schichten, zwischen "Brigaden" usw. Die bekriegen sich untereinander, zum Teil auch durch Sabotage. Und statt eines sozialistischen Bewusstseins wird Rivalismus geboren. Zerschlagung des Klassenbewusstseins, hemmt Aufstandspotential. Unklar, ob das vom Regime so beabsichtigt war.
- Gruppen, die gegeneinander: Alt gegen Jung, Schicht gegen Schicht, Männer gegen Frauen. Gläserne Decken auch in den DDR-Fabriken, keine Emanzipation von heute auf morgen, offensiver Sexismus am Arbeitsplätz. Reine Frauenbrigaden schneiden oft gut ab, in gemischten Brigaden gibt es Mobbing. Bei Affären wird die Frau gefeuert und der Mann nur ermahnt.
- "'I Comes Before We' in the Countryside":
- Ende der Fünfziger zweiter Kollektivierungsschub. Das Regime merkt, dass es mit Freiwilligkeit immer noch nicht so recht klappt. Also übt man mehr Druck aus, bis die LPGs schließlich über Hand nehmen.
- Aber was genau meint man mit LPG? Es gibt drei Stufen, von denen sich diejenigen in der Stufe I noch ihr eigenes Land bewahren und meist mehr oder weniger ihr eigenes Ding drehen. Privilegien greifen sie gerne ab, aber nix mit Kollektiv-Geist. Stufe III wäre dann: nur noch persönliche Gegenstände sind PrivatBesitz.
- Oft noch großes Gegeneinander in den LPGs, man eifersüchtelt gegenüber den Kollegen, unterstellt ihnen, Zeugs für sich zu horten oder über die eigenen Köpfe hinweg zu entscheiden.
- Die Bauern betrachten es als Arbeitsmotivation, ihr Eigenes zu besitzen, und fühlen sich darum betrogen durch die Kollektivierung. Sie raten ihren Kindern, lieber in die Stadt zu gehen, und die wissen nacht, was an "Knechtschaft" in der LPG soviel besser sein sollte als ein sehr viel einträglicherer Job als Fabrik-Arbeiter. NachwuchsProbleme in der Landwirtschaft.
- Für diese NachwuchsProbleme macht das Regime natürlich auch wieder westliche Verschwörungen verantwortlich. Sie spiegeln aber einen allgemeinen globalen Trend der Urbanisierung.
- Bauern und Arbeiter können nicht miteinander. Letztere werden abgestellt, ersteren zu helfen, aber die beiden ArbeitsKulturen und auch WeltSichten sind sehr inkompatibel. Beide Seiten werfen einander vor, dass es ihnen jeweils zu gut gehe. Die Arbeiter sagen: Die Faulheit der Bauern ist dran schuld, dass wir hungern; die sollten auch mal von NahrungsRationsKarten leben.
- Arbeiter und Bauern unterliegen ähnlichen Kämpfen mit dem Regime um Quoten-Drückerei, Misstrauen gegen politische Modernisierungs-Maßnahmen usw., betrachten sich aber zugleich stark als Gegner. Regime erfolgreich darin, die Gegängelten zu spalten, gegeneinander auszuspielen.
- "'Whatever Happend to the Classless Society?'":
- Offiziell gibt es nur Arbeiter, Bauern und die Intelligentsia im sozialistischen Einklang miteinander. In der Praxis gibt es viele kleine Zerklüftungen, die sich gegenseitig als miteinander im Widerstreit um Privilegien stehend sehen.
- Es gibt handfeste Gründe, Einzelne und Gruppen zu privilegieren: Experten im Land halten, taktisch an brenzligen Punkten Aufruhr-Potentiale abfangen, Arbeitssituationen an kritischen Punkten optimieren. In der sozialistischen Mangelwirtschaft bedeutet das Privileg des Einen aber stets die Benachteiligung des Anderen.
- Jede Gruppe fühlt sich selbst schlechter behandelt als ihr Nachbar. Neid und Misstrauen gegeneinander. Deshalb keine Solidarisierung und kein Aufstandspotential mehr.
- Neotraditionalismus: Klientel-Beziehungen zwischen Einzelnen und Interessen-Gruppen mit Funktionären, die über ihre Privilegien entscheiden.
- "Conclusion: A Divided Society in a Divided Nation":
- Die beiden relevanten Aufstände in der DDR finden unterm Stalinismus und auf der Höhe der Stasi statt -- also auf dem Höhepunkt der Verfolgung von Dissenz. Es war also nicht einfache Repression, die die Ostdeutschen in der ZwischenZeit ruhig hielt. Es war ein komplexes Hin und Her von Zugeständnissen, Einschüchterungen, Ventilen, Korruption ...
- Es war vor allem die horizontale Zerklüftung der Interessen. Im Grunde litt jede Gruppe an denselben Problemen, sah sich aber als Gegenspieler der übrigen. Regime-Politik zur Befriedung durch Zugeständnisse führte oft zu noch mehr Unzufriedenheit wegen Privilegien-Ungleichheiten; diese Unzufriedenheit schlug sich aber in Entsolidarisierung nieder und stabilisierte so das Regime.
- Der "Eigensinn" der Menschen. Er erlaubte ihnen, sich gegen das Regime ihre eigene Nische zu behaupten, sich dem Regime die Erfüllung von Bedürfnissen abzuluchsen. Er sicherte gleichzeitig, dass sie allesamt nicht zu sehr aus der Reihe tanzten. EigenSinn: nicht das Große Ganze verschönern wollen, sondern nur den eigenen Vorgarten.
- Woraus erwuchs '89? Manche meinen: verschiedene resistente Inseln fanden in einem gemeinsamen Widerstand zueinander; unklar aber, wie die Gräben überwunden wurden. Autor stellt eine viel naiver klingende (nicht unbedingt falsche) These auf: Eine neue Generation war herangewachsen, die sich mit der alten Befriedung nicht mehr zufrieden gab.
- Nach der Wende grummeln die Ostdeutschen weiter, diesmal gegen das neue System, den Westen. Ihre Resistenz findet ihr Ventil im Wählen systemfeindlicher Parteien. Wird die BRD an dem instabil werden, was die DDR stabil hielt?